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Fußball als Grundlagenforschung

Die FU-Fighters sind im September 2000 bei der Vierten Weltmeisterschaft in Roboterfußball in Melbourne, Australien, Vizeweltmeister in der Liga der kleinen Roboter geworden.
Die Weltmeisterschaft im Roboterfußball, RoboCup, wird jährlich ausgetragen. Es wird in vier Ligen gespielt: Simulationsliga, kleine Roboter bis maximal 18 cm Durchmesser, große Roboter bis maximal 50 cm Durchmesser und die Liga der Sony Roboter-Hunde.

Die FU-Nachrichten sprachen mit Teamchef Prof. Dr. Raúl Rojas, dem Geschäftsführenden Direktor des Instituts für Informatik, nicht nur über Fußball.

FU-N: Wie fing das an mit dem Fußball?
Prof. Dr. Raúl Rojas: Das geschah 1997 auf der Internationalen Tagung über Künstliche Intelligenz (KI) in Japan. Nachdem Deep Blue Gari Kasparow im Schach geschlagen hatte, wurde klar, dass derlei logische Probleme für den Computer eigentlich einfach sind. Bis dahin galt Schach als der Königsprüfstein für maschinelle Intelligenz. Man erkannte aber jetzt, dass die Herausforderung hieß, Roboter zu bauen, die sich in der realen Welt autonom zurecht finden können. Sie sollten dynamisch sein, sie mussten "sehen" können, sie mussten in Echtzeit reagieren können – anders als der Schachcomputer, der ja im Grunde beliebig viel Zeit hat, um seine Rechenoperationen durchzuführen. Die Roboter mussten darüber hinaus äußere Einflüsse verarbeiten können, und sie sollten zusammen arbeiten: Sie mussten teamfähig sein.

FU-N: Was ist die besondere Herausforderung beim Bau und in der Funktion eines FU-Fighters? Kurz: Wie funktioniert ein Roboter?
Rojas: Roboter gibt es ja jede Menge. Manche können schweißen, Staub saugen oder Klötzchen stapeln. Unsere Roboter sind reaktiv, das heißt, dass die Maschinen reflexartig reagieren. Wenn der Ball an einer bestimmten Stelle im Blickfeld des FU-Fighters auftaucht, heißt das: Schießen! Gerd Müller wurde einmal gefragt, was er denke, wenn er aufs Tor schieße. Nichts, sagte er. Sonst träfe er nicht. Dasselbe gilt für den Roboter. Er "denkt" nicht über seine Aufgabe nach, er tut sie einfach. Der Torwart der FU-Fighters, z.B., versucht, ungefähr die Mitte zu decken. Der Feldpieler dreht sich, wenn er gegen die Bande läuft. Und es gibt einen "Kollisionsvermeidungsreflex", weil ein Roboter keinen anderen berühren darf.
Noch ein Beispiel: Wir haben zwei Flügelspieler, die Flanken blind abgeben. Der Mittelstürmer nimmt den Ball an und macht das Tor. Der menschliche Beobachter sieht einen gelungenen Pass und denkt an intelligentes Verhalten, wobei wir davon noch weit entfernt sind. Es ist die Summe dieser Reflexe, die das Verhalten erklärt. Beim Schach dagegen kommt die "Intelligenz" von "oben", es gibt einen kognitiven Plan. Irgendwo in der Mitte zwischen kognitivem Plan und reaktivem Verhalten wird man sich treffen bei der Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz. In diesem Sinne ist Fußball Grundlagenforschung.
Humanoide Roboter baut man, um Menschen besser zu verstehen, um zu lernen, wie sie "funktionieren". Denn nur was ich reproduzieren kann, kann ich auch wirklich verstehen. Aber man will natürlich auch die Leute verblüffen – es ist auch immer eine Leistungsschau.

FU-N: Sie sind Mitglied im Graduiertenkolleg "Signalerkennung in lebenden Systemen". Wo ist denn Ihre Schnittstelle zu den lebenden Systemen.
Rojas: Die Biologen können Neuronen untersuchen, sie können sich fragen: Wie agieren die Zellen? Sie brauchen aber Werkzeuge, um ihre Hypothesen zu testen. Wir können solche abstrakten Modelle im Computer verarbeiten und den Biologen liefern. Konkret denken wir an die Entwicklung eines Simulators für biologische Neuronen, der so effizient und komfortabel sein wird, wie die besten Simulatoren für das Chip-Design sein sollen.

FU-N: Was ist für Sie das Faszinierende an der Robotik?
Rojas: Mich fasziniert es herauszufinden, wie der Mensch funktioniert. Wie funktioniert zum Beispiel Spracherkennung? Die Roboter in der Sciencefiction können alle Sprache verstehen und sprechen. Dabei ist dies ein unglaublich komplizierter Vorgang. Wie funktioniert Sehen? Wie kann ich das Blatt Papier von der Tischplatte unterscheiden, auf der es liegt? Woher weiß ich, wo die Kante ist (über die Roboter vor nicht allzu langer Zeit gern und häufig abstürzten)? Wie funktioniert Gehen und das dann alles zusammen genommen? Die Faszination liegt gleichermaßen im Erkenntnisgewinn und im Staunen über die Reproduzierbarkeit dieser menschlichen "Funktionen". Ein Teil der Faszination für diese Dinge liegt aber sicher auch darin begründet, dass diese komplexe Technologie von verspielten Forschern für spielende Menschen in Form von Spielzeugen gebaut wird. Nehmen Sie nur die Sony-Hunde: Sie sind ein Renner.
Was für Spiele und für Roboter gebaut werden, hat übrigens eine Menge mit der jeweiligen Kultur zu tun. Die Amerikaner sind im Roboterfußball nur deshalb keine Konkurrenz, weil sie sich nicht für Fußball interessieren. Andernfalls würden sie uns schnell überrollen. Dafür bauen sie War-Roboter, die sich gegenseitig "erschießen". Wer übrig bleibt, hat gewonnen.

FU-N: Wäre es möglich, dass die Robotik (außerhalb der streng definierten scientific community) in einer "Trivialkultur", die von künstlichen Intelligenzen nur so wimmelt, gar nicht mehr angemessen gewürdigt wird?
Rojas: Diese Roboter zu bauen, ist ziemlich schwierig. Aber wir sind bis jetzt bei Wettbewerben erfolgreich gewesen. Die Zuschauer denken allerdings oft, die Spieler würden mit Joysticks gesteuert. Wenn sie dann erfahren, dass es autonome Roboter sind, ist die Verblüffung groß. Gelegentlich möchten Leute, dass wir die Fighter "mal eben" für sie spielen lassen. Da spielt schon die Vorstellung rein, es sei trivial, sie zu bauen. Der am weitesten verbreitete Irrtum ist allerdings zu glauben, Roboter seien intelligent. Wir stecken einfach mehr hinein als drin ist; diese Art Projektion ist ganz normal. Außerdem: Was heißt schon Intelligenz? Unsere Roboter sind ungefähr so intelligent wie Muscheln, nur eben schneller.

FU-N: Angesichts der Forschung zu KI im weitesten Sinne werden ja immer wieder Szenarien wie die von Hans Moravec entwickelt, die Roboter würden in ca. 40 Jahren das Denkvermögen des Menschen erreichen – mit allen möglichen Konsequenzen.
Rojas: Moravec unterschätzt uns Menschen gewaltig. Es wird nämlich immer wieder derselbe Fehler gemacht: Das Gehirn, das ja massiv parallel arbeitet, wird in seiner Komplexität systematisch verkannt. Wir können es noch lange nicht reproduzieren. Irgendwann sicher – ich sehe keine prinzipielle Schranke – doch nicht in so kurzer Zeit. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass Computer immer noch zentralistisch, planwirtschaftlich arbeiten. Das Gehirn ist aber ein dezentrales, quasi demokratisches System. Und es stellt sich die Frage, aus welchem Material man so eine Maschine bauen würde. Aus Metall und Gummi oder aus einer Kombination aus künstlichen und natürlichen Materialien? Vielleicht hat die Natur die beste Lösung ja schon gefunden. Immerhin produziert jede Gehirnzelle ihre eigene Energie. Aber Moravec und andere Visionäre haben durch ihre spektakulären Voraussagen natürlich ein großes Publikum.

FU-N: Sprechen diese Publikumserfolge nicht für einen ausgeprägten Wunsch des Menschen, sich selbst technisch zu reproduzieren?
Rojas: Ja, dieser Traum zieht sich durch die ganze Menschheitsgeschichte: Pygmalion, der die Galatea schuf, die Ge-schichte vom Golem – und unsere heutigen Hightech-Mythen unterscheiden sich eigentlich gar nicht von diesen alten Erzählungen. Auch HAL, der Computer in "2001 – Odyssee im Weltraum", kann Sprache verstehen, Schach spielen, und er hat Gefühle. Der Roboter hat nicht nur das Faszinosum des Reproduzierten, er dient uns auch als Projektionsfläche. Unsere Fußballroboter sind noch so primitiv wie Bakterien, verglichen mit Menschen. Aber es ist doch ein schönes Gefühl zu denken, dass man auf diese spielerische Weise der Natur noch ein paar Geheimnisse entlocken kann. Uns interessiert maschinelle Intelligenz vor allem, weil wir die echte menschliche Intelligenz verstehen wollen.

Interview: Susanne Weiss

 
 
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