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Susanne Weiss Jens Beckert: Auf der Suche nach den kulturellen Grundlagen ökonomischen Handelns Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen, lautet eine populäre Gewissensfrage. Kommt darauf an, sagt der Autokäufer, wie sieht er denn aus? Hat er einen guten Ruf? Hat ihn jemand empfohlen, die Nachbarin, der Chef? Für den schottischen Nationalökonom Adam Smith (1723-1790) und mit ihm die neoklassische ökonomische Theorie wäre das kein Problem: Rein rational handelnde Personen können sich ihrer Ansicht nach am besten am Markt bewegen. Doch für rein rational handelnde Akteure hält der Markt für Gebrauchtwagen eine Falle bereit: Der Autohändler weiß über das Auto mehr als der Käufer eine asymmetrische Verteilung der Information. Der Käufer weiß, dass die Information asymmetrisch verteilt ist und argwöhnt, er könne betrogen werden was wiederum der Autohändler weiß usw. Der Preis sinkt, und für die ökonomisch rein rational handelnden Akteure entsteht ein rekursiver Zirkel, bei dem nichts mehr geht. Jens Beckert fährt mit dem Fahrrad ins John-F.-Kennedy-Institut. 1987 kam der 33-Jährige aus Frankfurt am Main zum Studium an die FU. Nach dem Vordiplom wechselte er nach New York und machte an der New School for Social Research den MA in Soziologie. 1991 kam er zurück und wurde 1993 noch Diplom-Kaufmann. Von 1993 bis 1999 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der FU Berlin beschäftigt. Ab 1994 ist er ein Jahr lang Research Fellow in Princeton, eine produktive Zeit. Mitgerissen vom dortigen Enthusiasmus, legte er seine Dissertation schneller vor als erwartet. 1997 erscheint "Die Grenzen des Marktes. Die sozialen Grundlagen wirtschaftlicher Effizienz" als Buch. Soziale Grundlagen und die Einbettung ökonomischen Handelns in kulturelle Systeme sind Beckerts Thema. Insbesondere das "Handeln unter der Bedingung der Ungewissheit" fasziniert den Soziologen: "Ich kann nie genau sagen, welche Methode zum besten Ergebnis führt", erklärt Beckert. Wie der Markt dennoch funktioniert, wenn dem Einzelakteur zum einen die "Optimierungsalternative" fehlt und er außerdem nicht nach reinen Effizienzgesichtspunkten ökonomisch korrekt seine Mitmenschen übers Ohr haut, ist Beckerts übergeordnetes Forschungsziel: Er will eine neue Theorie des wirtschaftlichen Handelns entwickeln, die mit hergebrachten grundlegenden ökonomischen Überzeugungen bricht. Und zwar mit Hilfe der Soziologie. Die harte Ökonomie, zumal die Volkswirtschaftslehre, kümmert sich kaum um "weiche Faktoren" wie kulturelle Institutionen, Gewohnheit, soziale Bedingungen, Macht oder Kommunikation unter Menschen und ist deswegen bei vielen Fragen schnell mit ihrem empirischen Latein am Ende. "Betriebswirte tun sich damit leichter, weil sie näher an der Praxis sind", sagt Beckert und nennt das Stichwort 'Humanisierung der Arbeitswelt'. "Das ist schon ein wichtiger Einbruch der Soziologie in die Ökonomie." 1890 warnt Andrew Carnegie, einer der reichsten Männer der USA, in seinem "Gospel of Wealth" davor, sein Vermögen an die eigenen Kinder zu vererben, denn das verderbe den Charakter. 40 Jahre später wurde in den USA die Erbschaftssteuer auf bis zu 77% angehoben. Dann wäre von Carnegies Vermögen ohnehin nicht viel übrig geblieben. In Deutschland hingegen sind diese Steuern so niedrig, dass man trotz des Bekenntnisses Chancengleichheit herzustellen, von Chancenungleichheit durch Geburt sprechen kann. Warum überhaupt vererbt wird, bleibt für die Ökonomie eine offene Frage, denn für ökonomisch rein rational handelnde Einzelakteure gibt es keinen Grund, etwas zu vererben für Angehörige verschiedener Kulturen mit unterschiedlichen Eigentumsbegriffen schon. Auch in seinem von der DFG gefördeten Habilitationsprojekt über die Entwicklung des Erbrechts in Deutschland, Frankreich und den USA nähert sich Jens Beckert ökonomischen Fragen mit soziologischen Antworten. Sehr viel weiter entfernten Disziplinen nähert sich der Sozialwissenschaftler in der "Jungen Akademie" in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, neu gegründet zum 300-jährigen Bestehen der altehrwürdigen Gesellschaft. "Mit großem Interesse habe ich meine naiven Fragen an die Naturwissenschaftler gestellt. Ich konnte ihre persönliche wissenschaftliche Faszination über ihr jeweiliges Fach gut nachvollziehen". Vier Arbeitsgruppen, angesiedelt im "Zwischenreich" zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, haben er und seine 19 Kolleginnen und Kollegen gebildet, um Fragen (neu) zu stellen: Wer prägt das Bild von Wissenschaft hier zu Lande und anderswo? Welche Fragen werden von der Gesellschaft an die Wissenschaft gestellt? Und umgekehrt. Gibt es noch Visionen für die Gesellschaft? Ist mit Wissenschaft noch Fortschritt verbunden? Die Antworten werden fächer- und grenzüberschreitend gesucht, ausgetretene akademische Pfade werden verlassen, doch ohne dass der Einzelne seine disziplinäre Identität aufgeben müsste. Und an dieser Schnittstelle will die Junge Akademie auch ein Forum für Nachwuchswissenschaftler sein. Vorstandsmitglied Beckert: "Es wird zwar viel über junge Wissenschaftler geredet, aber nicht mit ihnen.". |
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