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Mehr Demokratie oder der Weg zum Volksentscheid

In der Gesellschaft beobachte ich zwei Entwicklungen. Auf der einen Seite werden die politischen Dimensionen immer größer, so erleben wir eine ständige Ausweitung des europäischen Raums, die nicht einmal vor den Weiten Russland halt zu machen scheint. Andererseits werden politische Entscheidungen auf immer kleinere Kreise beschränkt, so werden vor bedeutenden Entscheidungen der Politik immer häufiger die Entscheidung der 16 Richter in Karlsruhe abgewartet. Mich interessiert, welche Möglichkeit besteht, die Gefahren der Erweiterung und der Verkleinerung zu verringern. Meine Idee ist, das Volk mittels direkter Demokratie in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Am Anfang sollen die Worte Roman Herzogs des ehemaligen Bundespräsidenten und Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts stehen: "...ob das zunehmende Kompliziertwerden der politischen Probleme und damit auch der politischen Entscheidungen überhaupt weitgehend den intellektuellen Rahmen sprengt, der Voraussetzung echter politischer Entscheidungen durch das Staatsvolk selbst ist." (Roman Herzog im Maunz/Dürig). Auch im Gesetzestext findet sich eine Passage zu dieser Fragestellung. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." (Artikel 20 Grundgesetz). Ich will noch eine repräsentative Forsa - Umfrage anfügen:

"Sind Sie für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene?"

Ja 70%
Nein 19%
Unklar 11%

Forsa Umfrage vom Januar 1999

Das Meinungsfeld ist, wie man oben sieht, weit gefächert. Leider kommt im Lehrbetrieb und in der Literatur der Souverän oder das Volk und seine direkte Beteiligung höchstens sehr kurz zur Sprache. Aber aktuelle Vorhaben des Vereins "Mehr Demokratie in Deutschland e.V." geben Anlass sich etwas genauer mit der unmittelbaren Demokratie (siehe auch Interview mit Johannes Stüttgen in diesem Heft) zu beschäftigen. "Mehr Demokratie e.V." ist ein gemeinnütziger bundesweit aktiver Verein und wurde 1998 gegründet. Sein Ziel ist es den Bürgern das Instrument zu geben in wichtigen Sachfragen selbst zu entscheiden - sprich ein Recht auf Volksentscheid in Bund und Ländern. In den Jahren 1998 und 1999 wurden in mehreren Bundesländern Volksentscheide durchgeführt. Der größte Erfolg konnte in Bayern erzielt werden, denn hier wurde trotz eines konkurrierenden Entwurfs der bayrischen Landesregierung der Vorschlag von "Mehr Demokratie" angenommen. Im Frühjahr dieses Jahres soll eine bundesweite Volksabstimmung herbeigeführt werden.


Warum Volksentscheide?

Durch die Einführung des Volksentscheides könnte eine breite Öffentlichkeit in die Diskussion mit eingezogen werden. Weiterhin wäre ein Weg gegeben, die Parteiverdrossenheit einzudämmen. Durch den Volksentscheid würde der Wille der Bürger und Bürgerinnen ernst genommen werden und wichtige Sachfragen könnten sie selbst entschieden werden. Wichtige Entscheidungen ständen auf einer großen gesellschaftlichen Basis, so würde auch die Umsetzung dieser Entscheidung erleichtert, da die Akzeptanz der so getroffenen Entscheidungen natürlich auch steigt.


Beginn Frühjahr 2001

Eine mögliche Variante, die Volksabstimmung bundesweit einzuführen, besteht darin, politischen Druck durch Aktionen auf den Strassen des Landes auszuüben. Auf der Bundesebene werden ab dem 03. Mai Unterschriften gesammelt werden, um so den Bundestag wach zu rütteln. Eine weitere Möglichkeit wäre in den Bundesländern Volksabstimmungen durchzuführen, die den Ministerpräsidenten auffordern, sich im Bundesrat für Volksabstimmungen einzusetzen. Und für die Nachhaltigkeit dieser Aktion spricht, daß ein Gesetzesentwurf von "Mehr Demokratie" vorliegt. Dieser wurde in dreijähriger Arbeit erstellt und soll kurz vorgestellt werden: Für eine Volksinitiative werden 100.000 Unterschriften benötigt. Danach wird der Vorschlag der Bürgerinitiative dem Bundestag vorgelegt, und, falls dieser ihn ablehnt, ist der Weg frei für ein Volksbegehren. Nach dem Sammeln von einer Millionen Unterschriften kommt es zu einem Volksentscheid, wobei die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet.


Mögliche Probleme

Natürlich bestehen viele faktische Probleme, die mit dem Sammeln solcher großen Unterschriftenzahlen zusammenhängen. Aber weiterhin gibt es auch viele juristische Bedenken und einige Argumente gegen die Einführung direktdemokratischer Elemente. Es gibt weder eine Rechtsgrundlage für die Einführung bundesweiter Volksabstimmungen, noch kann der Bundestag durch Unterschriftensammlungen verpflichtet werden sich überhaupt mit diesem Thema zu beschäftigen. Die einzige Hoffnung ist die mögliche politische Aufmerksamkeit aufgrund der Aktionen. Die Schwächen solcher Hoffnungen offenbarten sich im letzten Studentenstreik. So könnten sich viele Personen für eine Verbesserung aussprechen und nach einiger Zeit das Thema wieder vergessen.


Einige Einwände

Gegen unmittelbare Demokratie wird oft die mangelnde Intelligenz des Volkes angesprochen, was Roman Herzog oben so schön darstellt. Mit diesem Argument wurde schon Anfang des Jahrhunderts das Frauenwahlrecht bekämpft. Ich glaube aber, daß die Menschen zu politischen Entscheidungen fähig sind. Eine Verbesserung des Informationssystems hilft die größten Defizite mindern. Aber vom Ideal, dass der Gesetzgeber in Form der Abgeordneten umfassend informiert ist, sollte man sich verabschieden. Die problematischsten Punkte des vorliegenden Gesetzesentwurfs sind das Fehlen jeglicher Abstimmungsklauseln und jeglicher Hürden bei einer Änderung der Verfassung. Ich glaube, dass hier noch Nachbesserungen nötig sind. Aber das Konzept im ganzen überzeugt mich.


Mehr Demokratie an der Universität?

Die Demokratisierung soll natürlich vor den Toren der Universität nicht stehen bleiben. Zur Zeit ist das größte Hindernis für jede wirkliche Veränderung der universitären Strukturen die professorale Zwangsmehrheit in fast allen Gremien. Ein kleiner Beleg ist ein Zitat aus der Berliner Landeshochschulstrukturkommission im Jahr 1993: "Jede Änderung der Ressourcenverwaltung ... hat ... in den Gremien nur dann eine Chance, wenn eine Mehrheit der Professoren zu den Gewinnern zählt." Diese Strukturen wurden durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1973 (BVerfGE 35, S. 79 ff.), das die Mehrheit der Stimmen und Sitze den Professoren in fast allen Gremien zusichert, für die nächsten Jahrhunderte befestigt. Sehr interessant ist die abweichende Meinung zwei Richter bei dieser Entscheidung. In deren Begründung findet sich folgender Satz: "Ihre Begründung leidet zudem an Unklarheiten über die verfassungsrechtliche Bedeutung objektiver Wertentscheidungen mit der Folge, dass das vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsrecht des Art 5 Abs. 3 GG einerseits der Gefahr der Relativierung ausgesetzt, andererseits sinnwidrig in ein ständisches Gruppenprivileg und Herrschaftsrecht umgemünzt wird."

Welche Möglichkeiten gibt es also für die Studierenden, den Weg zur Demokratisierung zu beschreiten? Der Vorschlag, Vertreter der Professoren von anderen Statusgruppen wählen zu lassen, welcher versucht das Urteil, zu umgehen, kann kein Ausweg sein. Wenn der Artikel 5 GG die professorale Mehrheit schützt und so überholte Strukturen der Unfreiheit festschreibt, muss sich entweder die Auslegung dieses Grundrechts ändern oder über den Weg der Volksabstimmung wird der Artikel 5 GG geändert. Ich finde, dass es Zeit wird, sich wieder mit grundsätzlichen Fragen auseinander zu setzen.

Jörn Hökendorf

(erschienen im DEFO-Info Nr. 43 vom SS 2001)



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