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Heiligabend in Eis (sprich ICE)

Pünktlich war der ICE Krumme Lanke am Heiligen Abend in Berlin gestartet, was allgemein für Verwirrung sorgte. Nutzte man die üblichen Minuten der Verspätung, um noch einen Kaffee zu trinken und endlich die Koffer zu packen, so herrschte Hektik. Despotisch schnellen Sätze durch die Luft, wie ick-hab-resaviert!! oder Guten Morgen, ich bin Paul Stenkel, Ihr Zugchef .... Die Rollen sind klar verteilt, es kann also losgehen.

Lokführer Harald F. ist 51 Jahre alt und seit genau dreißig Jahren bei der Bahn. Eine typische Karriere: Wurde als Kind zum Terroristen, wenn das selbst geschossene Foto der Baureihe VT4565-XYZ-88899 22 Baujahr 19 Pipi verwackelt aus dem Entwickler kam oder so ein Depp quer durchs Bild rannte. Machte seinen Traum zum Beruf und wurde Weichenunterhilfssteller am Dresdner Hauptbahnhof (Harald hat beim Anblick des gefluteten Bahnhofs geweint und war zwei Monate krank geschrieben). Dann bekam er seine erste Draisine mit Stützrädern und machte seinen ersten Führerschein. Seit Sommer 2000 darf er den ICE fahren und seitdem hört man Harald nach drei Bier den beschwörenden Satz sprechen: Früher mussteste vorne noch richtig anne Räder drehen und heute drückste eenen Knopp und meistens spinnt der Computa ... An diesem Morgen spinnt sein Computa nicht und der Zug beschleunigt auf etwas über 200!!! Fürchteten unsere Vorfahren das Durchbrechen der 30-km-Marke, so fürchtet der moderne Bahnkunde den älteren Herren, der mit altersschwacher Hand einen Kaffeebecher (ohne Deckel!) vom Bordrestaurant durch sechs Wagen zu seinem Platz trägt. Dazu kommt noch der Anblick, den die Zugtoilette meist bietet, nachdem sie im Stehen benutzt wurde, während der Wagen zwei Weichen abrupt überquerte - das sind wahre Eisenbahnkatastrophen! Die folgende Stunde ist begleitet vom monotonen Rauschen und den geräuschvollen Ambitionen von Lukas und Ilka, die zwischen Wagen drei und sieben ihren Bruder jagen. Zugchef Stenkel hat auch diese Situation voll im Griff. Er baut sich vor den drei Kindern auf und fragt väterlich Na, wo ist denn Eure Mami? Seit dieser Szene sucht der freundliche (jetzt wütende) Bahner sein Kursbuch, dass ihm von dieser Räuberbande (O-Ton Stenkel) gewaltsam entrissen wurde.

Plötzlich stoppt der Zug. Draußen regnet es. Die Kälte lässt den Regen an der Scheibe gefrieren. So sieht das Fenster aus, als wäre es Opfer jugendlicher Kreativität geworden, die man in Berlins Nahverkehrsmitteln oft bestaunen kann. Die Beleuchtung flackert etwas. Der Zug steht. Stille. Selbst Lukas und seine Geschwister geben jetzt eher gurgelnde Laute von sich, die im Vergleich zu der bisher gebotenen Interpretation einer rostigen Kreissäge als angenehm empfunden werden können. Heiligabend, vormittags, irgendwo bei Hannover steht ein ICE im Eis, welch eine herrliche Ironie. Hier können sich die humorigen Vertreter unter den Linguisten zufrieden die Hände reiben. Doch selbst in der ersten Klasse herrscht nun das Schweigen. Wann werden sich die Passagiere gegenseitig aufessen? Entgleist der Super-Zug auch im Stand? Warum wird die Heizung im ICE nicht mit Kohle befeuert? Zugbegleiterin Stefanie B. (24) steht mit trauervoller Miene im Gang. Man möchte ihr ein Taschentuch reichen. Dabei wünschen sich alle nun Max, den Maulwurf, herbei. Der kann auch nicht helfen. Es wäre ja doch nur ein Student im Maulwurfskostüm, der Glühwein verteilen müsste und seine Augen in der Brust des übergroßen Tieres hätte. Zum Schluss hörte man vielleicht Schmerzschreie, wenn verärgerte Reisende das arme Tier treten würden ...

In den frühen Morgenstunden des zweiten April setzt der ICE Krumme Lanke seine Reise nach Hannover fort. Die Bahn hatte vorsorglich den Winter verstreichen lassen. Über zweihundert Menschen waren über drei Monate in einem Hochgeschwindigkeitszug eingeschlossen. Zum nächsten Fahrplanwechsel verbindet der neue Sprinter Bibber-Frier Frankfurt/Main mit Berlin/Spree. Alle reden vom Wetter, wir zeigen es Ihnen. Danke. Vorsicht am Bahnsteig!

Lord Ness

(erschienen im DEFO-Info-Update 46/1 im WS 2002 / 2003)



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