„Ich bin nicht Freundin, ich bin professionelle Beraterin”

Diplom-Psychologin Brigitte Reysen-Kostudis. Foto: Brigitte Reysen-Kostudis

„Ich bin nicht Freundin, ich bin professionelle Beraterin”

Diplom-Psychologin Brigitte Reysen-Kostudis arbeitet für die psychologische Beratung an der FU-Berlin. In einem Interview erzählt sie über ihre Arbeit mit Studierenden und die Veränderungen durch Corona.

von Lucie Schrage

Starke Zunahme von psychischen Erkrankungen, immer mehr Depressionen und Angststörungen aufgrund der Pandemie zu verzeichnen, Kinder- und Jugendliche sind am stärksten betroffen. Schlagzeilen, wie diese, gibt es überall zu Lesen.

Seelsorgestellen, Therapeut*innen und Psychologen*innen sind mit den Nachwirkungen von der zweijährigen Corona-Pandemie täglich in ihrem Berufsalltag konfrontiert. Wie hat die Pandemie ihre Arbeit verändert? Welche Probleme sind für Menschen entstanden, die mentale Arbeit leisten? Diplom-Psychologin Brigitte Reysen-Kostudis ist eine davon.

Taschentücher stehen neben der Kunstpflanze immer bereit. | Foto: Lucie Schrage

In ihrem Büro im Studierenden Service Center der Freien Universität Berlin, steht immer eine Packung Taschentücher auf dem Tisch bereit. Für die Einrichtung setzt sie auf warme Farben und Holzelemente. An der hohen Wand hängt ein großes Bild, auf dem eine Hängebrücke abgebildet ist, die im Ungewissem endet. Das Bild hat sie ausgewählt, da es in der Beratung auch oft um Wege geht. Als einzige Beraterin aus dem Team der psychologischen Beratung hat Reysen-Kostudis gemütliche Sessel zum Zurücklehnen für ihr kleines Büro im Raum 220 besorgt. Dass die Beratungen wieder in ihrem Büro stattfinden können, freut sie sehr. Auch die Studierenden würden es bevorzugen sich in Präsenz zu treffen. Schließlich würde es einfach besser passen, denn die typische Beratungsstruktur sei eben „etwas Aufsuchendes“. Durch die Online-Beratungen über Webex wurde Reysen-Kostudis plötzlich mit ganz neuen Eindrücken in das Privatleben der Studierenden konfrontiert. Diese zusätzlichen Infos, wie die Einrichtung des Zimmers, die sie sonst nie erhalten hätte, empfand sie jedoch nicht als unangenehm. Im Gegenteil. Sie beschreibt es als ein „Zeichen von Vertrauen“, wenn jemand in seinem Zimmer sitzt und die Haare vielleicht noch nicht gemacht sind. Jedoch fehlen ihr durch Webex auch viele Informationen. Wie sich jemand gibt oder wie jemand in den Raum kommt, sind für sie auch wichtige Informationen, um einen Menschen in seiner Gesamtheit einschätzen zu können. 

Die Arbeitsstelle: Das Studierenden-Service-Center in der Illtstraße 4 | Foto: Lucie Schrage

Online-Beratungen per Webex anzubieten, war dabei nicht die einzige Veränderung, die die Corona-Pandemie für sie und das Team der psychologischen Beratung bedeutet hat. Auch für die seit 30 Jahren tätige Diplom-Psychologin hat die Pandemie eine Zäsur bedeutet. Plötzlich von zuhause arbeiten, nur noch über Mails, Telefon und Webex zu kommunizieren. „Ich habe die Kollegen nicht mehr gesehen, was mir sehr gefehlt hat, weil ich die Arbeit im Team auch sehr wichtig finde, wenn es darum geht sich auch mal kurz auszutauschen. Wenn zum Beispiel ein Gespräch nicht so gut gelaufen ist, kann ich immer zur nächsten Tür, zum Kollegen gehen und sagen: „Oh ich weiß nicht, habe ich irgendwas vergessen oder weißt du eine Beratungsstelle, wo ich jemanden nochmal hinschicken könnte?“. Die Selbstverständlichkeit immer ein Team aus Kollegen*innen um sich haben, war plötzlich weg. Etwas sehr Gewöhnungsbedürftiges für Reysen-Kostudis.

Eine sehr lohnende Arbeit

Für die Arbeit ins Grüne zu fahren und zurück ins vertraute Umfeld: das bedeutet die FU für Reysen-Kostudis. Nach ihrem Diplom hat sie die Uni verlassen und sich niemals erträumen können wieder hierher zurückzukommen. Die Arbeit mit Gruppen führte sie erstmals wieder an die FU zurück. Als dieses Projekt nicht mehr weiter ging, erprobte sie sich auch in anderen Berufsfeldern. Als sie an Familienplanung dachte, war die Arbeit für sie im Strafvollzug nicht mehr passend. Dann wurde eine unbefristete Stelle an der FU frei.

Vor allem die Studierenden sind für sie der wesentliche Unterschied bei ihrer Arbeit in der psychologischen Beratung gegenüber ihren ehemaligen Berufsfeldern. Denn: „Menschen, die zu uns kommen, haben eine Offenheit ihre Probleme zu schildern“. Dabei wird ihr nie langweilig, da sie sich unterschiedlichen Problemen zuwendet. Von Liebeskummer, zu Problemen mit der Arbeitsstelle, das Aufschieben von Hausarbeiten, aber auch Todesfällen in der Familie, die Studierende verzweifeln lassen. Mit welchen Problemen die Studis zu ihr kommen, weiß sie vorher oft nicht. Allerdings stellt das für sie kein Problem dar, stattdessen erklärt sie: „Ich finde das spannend, ich finde es immer noch, nach 30 Jahren spannend wer kommt“. Auch die Lebensphase der studentischen Klientel empfindet sie als interessant, diese gestaltet ihren Beruf so abwechslungsreich. „Ich finde es gut mit Menschen zu arbeiten, die noch so viel vor sich haben, also dabei helfen zu können Weichen zu stellen. Und das ist bei den Studierenden auch so und sie dabei ein wenig begleiten zu können, finde ich eine sehr lohnende Arbeit“.

„Ich bin nicht Freundin”

Reysen-Kostudis in ihrem Büro im Raum 220 | Foto: Lucie Schrage

Menschen zu helfen war auch das erste Bedürfnis für sie, das ihren Wunsch Psychologin zu werden, angestoßen hat. Jedoch gibt sie zu, dass sie dann auch Ärztin oder Krankenschwester hätte werden können. Es ist die Nähe zu den Menschen, ihre Geschichten zu hören, die sie an ihrem Beruf so sehr schätzt. Ihre Erfahrungen für ihr Berufsfeld sammelt sie aus den Lebensgeschichten der Personen, die ihr gegenübersitzen. „Ich habe manchmal das Gefühl, ich habe so einen Schatz gesammelt von dem was alles passieren kann und ich bin auch immer noch neugierig“

Aber wie genau schafft sie es nun sich bei all den Sorgen, den Ängsten und den Problemen zu helfen ohne zu sehr mitgerissen werden? Wie setzt sie sie als Psychologin Grenzen für sich selbst? In ihrem Studium lernte sie das nicht, aber in der Therapieausbildung. Dort wird eine therapeutische Grundhaltung vermittelt, ebenso wie man für sich selbst sorgen kann. Für sie ist es auch hilfreich sich zu sagen, dass es eine professionelle und keine private Beziehung ist, die sie mit den Ratsuchenden verbindet. „Ich bin nicht Freundin, ich bin professionelle Beraterin”. Außerdem gibt es für sie einfach nicht die Möglichkeit in den geschilderten Problemen zu versinken. Während des Gesprächs befindet sie sich immer auf einer Metaebene: sie überprüft, wo sie im Gespräch sind, wie sie woran kommen und achtet auf die Zeit. Mit 50 Minuten Gesprächszeit setzt sie einen zeitlichen Rahmen, auf den sie achten muss und nicht die Ratsuchenden. Sie führt Regie. „Durch diese Regiearbeit, durch die strukturierende Aufgabe, die ich habe, gelingt es auch nicht so emotional mitgerissen zu werden.”

Und dann kam Corona

Wie die unzähligen Schlagzeilen es verbreitet haben, so bestätigt es auch Reysen-Kostudis. Immer mehr Studierende berichten nun von depressiven Episoden und sozialen Ängsten. Für ihre Gruppe „Selbstsicherheit und Kontakt” für die es vor der Pandemie oft zu wenig Anmeldungen gab, sind nun Wartelisten notwendig. Denn viele Studierende benötigen Hilfe dabei, wieder in Kontakt zu treten, nachdem in den letzten Semestern kaum persönlicher Kontakt nötig war. Zudem erzählt sie, dass auch Motivationsprobleme unter den Studierenden stark zugenommen haben. Schließlich haben viele die Uni noch nie von innen gesehen, nur ihre Videokonferenzen gehabt und sich nach dem Zuklappen des Laptops nicht wirklich wie Studierende gefühlt.

Auf der anderen Seite sind dafür Probleme rund ums Zeit-und Selbstmanagement weniger thematisiert worden. Dafür lassen sich von der Psychologin ganz einfache Gründe, wie das Wegfallen von langen Fahrwegen finden. Wirklich positiv würde sie diese Entwicklung jedoch nicht bewerten, da Zeitprobleme nicht existierten, weil es lange keine Möglichkeit mehr gab sozialen Aktivitäten oder Hobbys nachzugehen. „Vielleicht sind wir auch froh, wenn diese Probleme wieder kommen, weil das ja auch was ist, was ein Leben ausmacht, Entscheidungen zu fällen und zu überlegen, wie man einen ausgewogenen Alltag hat, wo man Freizeit, Interessen und Studium vereinen kann.”

Aus der zweijährigen Pandemie zieht das Team der psychologischen Beratung an der Freien Universität einige Lehren. Zum einen die Wertschätzung für das Kollegium. Nun wird ein Sommerfest geplant, wie Reysen-Kostudis lachend erzählt. An etwas zuvor Selbstverständliches, wie ein Team, erinnert zu werden, hat allen eine starke Wertschätzung gelehrt. „Das wäre vielleicht vorher gar nichts gewesen, das gefeiert werden muss”. Zum anderen habe das Team auch erkannt, wie antiquiert sie in einigen Bereichen noch sind. Aufgrund der Pandemie waren sie gezwungen sich weiteren Medien zu öffnen und bieten nun als ergänzende Methode, weiterhin Gespräche per Webex oder Telefon an. Dadurch können sie auch mit Studierenden in Kontakt treten, die im Ausland studieren. Persönlich nimmt Reysen-Kostudis den Umgang mit Unsicherheiten, als eine wichtige Erkenntnis aus zwei Jahren Pandemie mit. Sie beschreibt, wie vorsichtig sie geworden ist, wenn Leute mit langfristigen Plänen zu ihr kommen. Wir alle können nicht wissen, was passiert. „Deshalb rede ich immer lieber von einer gewissen Orientierung oder dem Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein, denn langfristige Pläne sind oft brüchig und wir müssen auch bereit sein damit klar zu kommen”


Lucie-Antonia Schrage (23) studiert Deutsche Philologie sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Für das Interview und die Relevanz von mentaler Arbeit saß sie in gemütlichen Sesseln mit Notizblock.


2022-10-21T22:25:30+02:00 Kategorien: Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , |