Albtraum Schulwechsel – Schulplatzmangel in Pankow

Welche Schule soll es werden? Nino (r.) und sein Vater J. Grahl sind überfragt. Foto: Noah Kohn

Albtraum Schulwechsel – Schulplatzmangel in Pankow

Weiterführende Schulen: In Berlins bevölkerungsreichstem Bezirk Pankow machen sich die Sechstklässler und ihre Eltern reichlich Sorgen um den Schulwechsel in die Sekundarstufe.

von Noah Kohn

Nino schläft zurzeit schlecht, seinen Eltern geht es ähnlich. Für den Schüler aus Pankow steht im Sommer der Wechsel von der Grundschule an eine weiterführende Schule an. „Ich würde gern an ein Gymnasium in der Nähe wechseln“, berichtet der 11-Jährige – in Pankow jedoch keine leichte Aufgabe: Der bevölkerungsreichste Bezirk Berlins hat auch die meisten schulpflichtigen Kinder in der Hauptstadt. Einen Schulplatz an der favorisierten weiterführenden Schule ab der 7. Klasse zu bekommen, ist schwer.

Das weiß auch J. Grahl, Ninos Vater: „Obwohl Nino gute Noten hat, können wir nicht einschätzen, ob die Pankower Gymnasien ihn aufnehmen werden“, berichtet der Ur-Berliner, der im ehemaligen Ostberlin zur Schule ging. Im Bewerbungsverfahren für die weiterführenden Schulen können Ninos Eltern drei Wünsche angeben. Etwa 60% der Schulplätze werden nach den Schulleistungen der Schüler vergeben, Härtefälle und Geschwisterkinder bekommen weitere 10% der Schulplätze, die restlichen Plätze werden von den Schulen ausgelost. Falls keiner der drei Schulwünsche bestätigt wird, wählt das Berliner Schulamt eine Schule für die betroffenen Kinder aus, die auch in einem anderen Bezirk liegen kann.

Selbst wer Bestnoten hat, muss um die Aufnahme an der Wunschschule bangen

„Eine unmögliche Situation“, findet Familienvater Grahl: „Du kannst so nicht planen. Kein Mensch weiß, welche Leistungen von den Schulen erwartet werden.“ Erschwerend komme hinzu, dass viele der Schulen aufgrund der Corona-Pandemie einen „Tag der offenen Tür“ nur virtuell anbieten. „Lehrpersonal, Räumlichkeiten oder die Atmosphäre vor Ort – von all dem kann man sich kein Bild machen“, erzählt der besorgte 50-Jährige.

Dabei ist Ninos Notendurchschnitt (1,7), der sich aus den Zeugnisnoten des zweiten Halbjahres der fünften Klasse und des ersten Halbjahres der sechsten Klasse zusammensetzt, mehr als ausreichend für die vom Senat vorgesehene Gymnasialempfehlung. Sie wird von den Grundschulen als Förderprognose bis zu einer Durchschnittsnote von 2,2 erteilt. Trotzdem gebe es Schulen, bei denen selbst ein sehr gutes Zeugnis keinen sicheren Schulplatz mehr garantiert, berichtet Nino: „Mein Freund Emil hat 1,1 – und trotzdem kann es sein, dass sie ihn am Rosa-Luxemburg-Gymnasium nicht annehmen.“

Solche Berichte verunsichern die Pankower Elternschaft umso mehr – niemand möchte sein Kind quer durch die Stadt schicken und langen Anfahrtswegen aussetzen. 270 Siebtklässler aus dem Bezirk Pankow mussten im Schuljahr 2020/21 auf Schulen in anderen Bezirken ausweichen. Berlinweit sind es sogar fast 2600 Schüler, die beim Übergang in die siebte Klasse keinen Platz an ihrer Wunschschule bekommen haben. Fast alle der 20 Einrichtungen der Sekundarstufe in öffentlicher Trägerschaft in Pankow (Integrierte Sekundarschulen, Gymnasien und Gemeinschaftsschulen) sind jetzt schon mit Schülern überbelegt, mit unerfreulichen Folgen: Es fehlen Unterrichtsräume und die Lehrer und Lehrerinnen können sich nicht vollumfassend auf die Lernfortschritte der vielen Kinder konzentrieren.

Schulplatzmangel verschärft sich – kein Ende abzusehen

Besserung ist nicht in Sicht, wie eine Prognose des Bezirksamts Pankow zeigt: Insgesamt werden in den Pankower Gymnasien im Schuljahr 2022/23 voraussichtlich 7767 Schulplätze benötigt – 5684 gibt es derzeit. Das erwartete Bevölkerungswachstum in Pankow verschärft die Knappheit zusätzlich. Bereits 2028 könnten es schon knapp 3000 fehlende Schulplätze sein. Zwar plant das Bezirksamt Pankow neue Gymnasien, so soll zum Beispiel im Großbauprojekt „Blankenburger Süden“ ein neues Gymnasium entstehen. Auch die Erweiterung bestehender Standorte durch Modulbauten ist bereits im vollen Gange, doch auch das reicht nicht, um alle Schüler in der Sekundarstufe in Pankow selbst versorgen zu können. Die Bedarfsdeckung ist bis zum Schuljahr 2030/31 sehr unwahrscheinlich, wie es im aktuellen „Schulentwicklungsplan“ des Pankower Bezirksamts heißt. Bis dahin will der Bezirk nach neuen Bauflächen für Schulen Ausschau halten – und viele Pankower Schüler werden weiterhin in andere Bezirke fahren müssen, um am Schulunterricht teilnehmen zu können.

Schulkind Nino und seine Eltern haben sich inzwischen auf einen Erstwunsch für den Wechsel in die siebte Klasse festlegen können, ein nahegelegenes Gymnasium im Nachbarbezirk Reinickendorf mit Sportschwerpunkt soll es werden, auch der beste Freund von Nino bewirbt sich dort. „Nur 20 Minuten mit dem Fahrrad“ brauche er, „wenn ich schnell fahre“, berichtet der Heranwachsende hoffnungsvoll. Auch einen Zweit- und Drittwunsch, zwei Gymnasien in Pankow, haben die Pankower angegeben. Bis zum 24. Februar 2022 wird über den Erstwunsch entschieden – solange wird die Familie wohl noch unruhige Nächte haben.


Noah Kohn, Jahrgang 1995, ist davon überzeugt, dass Sprache eine Gesellschaft nachhaltig prägen kann. Deshalb lernt er derzeit als freier Mitarbeiter beim »nd« das Schreiben und als Werkstudent bei der »dpa« das Innenleben einer Nachrichtenagentur kennen. Außerdem studiert er Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Für das MedienLabor schreibt er über seine Heimat Pankow.


2022-07-03T18:26:48+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen|Tags: , , , |