Aus der Türkei nach Berlin: Arbeiter der Nacht

Titelbild: Aus der Türkei nach Berlin: Arbeiter der Nacht. Foto: Derin Kayabali

Aus der Türkei nach Berlin: Arbeiter der Nacht

Seit 1961 kamen viele Türken nach Berlin als Gastarbeiter. Heute arbeiten viele von ihnen in unterschiedlichen Nachtjobs, die wichtig für die Nachtkultur der Hauptstadt sind. Im Gespräch über Berlin kommen sie trotzdem nur selten vor.

von Derin Kayabali

Im heutigen Berlin gibt es eine große Gemeinschaft von Türken. Rund 200.000 Menschen haben in Berlin einen türkischen Migrationshintergrund oder einen türkischen Pass. Einige von ihnen sind mit ihren Leistungen in Deutschland und weltweit berühmt geworden, wie der Schriftsteller Aras Ören, die Politikerin Dilek Kalayci von der SPD oder der Rapper Killa Hakan. Obwohl diese Menschen der türkischen Gemeinschaft Berlins mehr Sichtbarkeit verliehen haben, bleiben viele darin unerkannt: Die Menschen, die alltägliche Arbeiten erledigen, insbesondere diejenigen, die nachts arbeiten müssen.

Geschichte der Türken in Berlin

Ein Foto der Migration in 60er Jahren | Foto: Derin Kayabali

Die Migration aus der Türkei nach Deutschland hat eine lange Geschichte. Die größte Migrationswelle aus der Türkei begann 1961 im Rahmen des Gastarbeiter-Anwerbeabkommens. Manche kamen aber auch schon früher nach Deutschland, insbesondere nach Berlin. In den letzten Jahren des Osmanischen Reiches zog es Studenten und junge Unternehmer hier her, um eine europäische Ausbildung zu erhalten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen junge Arbeiter und entschieden sich irgendwann zu bleiben. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, nach dem schnellen Wiederaufbau Deutschlands. In den 1960er Jahren unterzeichnete die westdeutsche Regierung mit der türkischen Regierung – auch auf Druck der Amerikaner hin, die in Incirlik eine Militärbasis einrichten wollten – einen Notenwechsel zur Umsetzung eines Gastarbeiterprogramms. Das Abkommen endete 1973, in dieser Zeit zogen viele Gastarbeiter nach Deutschland.

Das beliebteste Ziel türkischer Arbeitnehmer in Deutschland war wieder Berlin. Nach Vertragsende wollten die Gastarbeiter nicht in die Türkei ziehen, weil sie ihr Leben in Deutschland aufgebaut hatten, weil ihre Familie in Deutschland und weil Deutschland ihre neue Heimat war.

Die türkischen Nachtarbeiter im heutigen Berlin

Türkischstämmige Nachtarbeiter nehmen einen besonderen Platz in der Berliner Kultur ein, weil sie in Betrieben arbeiten, die Berlin von anderen Städten in Deutschland unterscheiden, wie Döner oder Spätis. Ohne diese Orte wäre Berlin nicht Berlin. Heutzutage gibt es in Berlin etwa 1000 Döner Kebabs, die bis spät in der Nacht die Clubgänger bedienen. Zeynep Turan arbeitet in einem solchen Döner namens Köfte City am Mehringdamm. Die anderen Mitarbeiter nennen sie liebevoll „Zeynep Hanım“ (Hanım bedeutet hier Frau). Sie arbeitet dort seit zwei Monaten und hat früher als Nachtschwester und Wachmann gearbeitet. Sie und ihre Mitarbeiter bedienen fast 100 Besucher pro Nacht. Das Schwierigste für sie ist nicht die viele Arbeit, sondern die Kinder zu Hause. Sie ist alleinerziehende Mutter von fünf Kindern und versucht so viel Zeit wie möglich mit ihnen zu verbringen. „Für mich ist es wichtig, dass sie sich geliebt fühlen“, betont sie.

Kumru Kuruyemiş, Cafe von Özlem | Foto: Derin Kayabali

Sie ist nicht die einzige Nachtarbeiterin dieser Art. Özlem Polat ist eine weitere alleinerziehende Mutter, die so viel wie möglich bei ihren beiden Kindern sein möchte. Sie hat seit sechs Jahren ein eigenes Café am Mehringdamm. Dort arbeitet sie mit ihrem Vater, zusammen arbeiten sie manchmal dreizehn Stunden am Tag und in der Nacht. Sie verkaufen auch Nüsse und Kräuter für Tee. Dieses Café hätte genauso in Istanbul statt in Berlin stehen können. Die Atmosphäre erinnert an die Geschäfte auf dem Großen Basar. Besonders schwierig für sie war die Pandemie. Mit dem geschlossenen Geschäft hat sie sehr schwere Zeiten erlebt. „Mit staatlicher Hilfe haben wir die ersten Monate überstanden und dann jeden Tag unsere Arbeit fortgesetzt“, sagt sie mit stolzem Ton.

Neben ihren Ähnlichkeiten als alleinerziehende Mütter, die spät in der Nacht arbeiten, sind auch ihre Familiengeschichten ähnlich. Zeyneps Familie stammt aus Afyon und zog 1970 nach Deutschland. Sie wurde in Berlin geboren und wuchs hier auf. Auch Özlems Familie zog während der ersten Migrationswelle nach Berlin, aus Sivas. Wie Zeynep ist sie in Berlin geboren und hat ihr ganzes Leben hier verbracht. Beide Frauen sind Berlinerinnen, die den Bezug zu ihrer kulturellen Vergangenheit nicht verloren, sondern durch ihre Arbeit in ihre Stadt gebracht haben.

Eine multikulturelle Zukunft für Berlin

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind viele Türken nach Deutschland gekommen, um sich eine Zukunft aufzubauen, entweder als selbstständige Unternehmer, neugierige Studenten oder Gastarbeiter. Aber die Türken sind nicht die einzige Minderheit heutzutage in Berlin. Wie Zeynep und Özlem gibt es Menschen anderer Nationalitäten, deren Familien seit vielen Jahren in Berlin leben und zum kulturellen Reichtum Berlins beitragen. Gute Beispiele dafür sind wieder in der Berliner Nacht zu finden.

In Spätis arbeiten nicht nur Türken, sondern auch Araber oder Kurden. Neben den Döner Kebabs gibt es auch Falafel-Buden, die oft von Libanesen oder Israelis betrieben werden. Es gibt viele vietnamesische Imbisse, die oft nachts besucht werden. Die Geschäfte, in denen die Migranten arbeiten, sind nicht nur einfache Einrichtungen, sondern auch Repräsentationen einer anderen Kultur. Diese Menschen, die tausende Stunden an diesen Orten arbeiten, machen Berlin zu der multikulturellen Stadt, die sie ist. Auch wenn Zeynep und Özlem mit vielen Widrigkeiten konfrontiert sind – ihre Arbeit ist ein wesentlicher Bestandteil des Berliner Nachtlebens.


Derin Kayabali (21) studiert Philosophie und PuK im Nebenfach im 4. Semester. Als internationaler Student aus der Türkei ist er sehr an der türkischen Kultur von Berlin interessiert.


2022-10-19T22:12:31+02:00 Kategorien: Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , |