Buchbinden: Das alte Handwerk wiederbelebt

Buchbinden: Das alte Handwerk wiederbelebt

Das Buchbinden mag für viele ein aussterbender Beruf sein, doch die Werkstatt von Frauke Grenz steht keineswegs auf dem Abstellgleis. Die Berlinerin begeistert nicht nur Menschen mit einem Faible für Papier und Bücher für ihr Handwerk, sie inspiriert auch den Nachwuchs mit ihren Kursen für jede Altersklasse in der Papierwerkstatt Friedrichshagen.

von Helen Albrecht

Wenn man Frauke Grenz nach der Zukunft des Buchbinderberufs fragt, antwortet sie nüchtern und bestimmt: „Es wird sich aussortieren durch das Wegsterben der alten Buchbindermeister. Dann werden natürlich vereinzelt welche nachgezogen, die können dann einfach was. Ich denke dadurch wird sich das regulieren, Angebot und Nachfrage.“ Gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin und Buchbindermeisterin Julia Flögel führt Grenz die Papierwerkstatt in Berlin-Friedrichshagen. Hinter der strahlend roten Fassade verbergen sich verschiedenste Maschinen, Scheren und Pressen, einige davon sehr alt. Sie werden regelmäßig von den beiden Buchbinderinnen genutzt. Im Eingangsbereich eröffnet sich außerdem ein kleiner Laden mit überschaubarem, aber dennoch vielfältigem Sortiment an Büchern, Blöcken, Papieren und anderen Produkten. Erst in der zweiten Etage befinden sich dann die beiden Arbeitsplätze in einem kleinen Raum mit Leimtöpfen, Falzbeinen und Hämmern an der Wand. Auch während des Gesprächs lässt Frauke Grenz das Skalpell nicht
ruhen. Sie ist gerade mit der Rückenreparatur eines alten Buches beschäftigt. Nebenbei leitet sie noch ihre Praktikantin an, die sich mit der Auswahl der Schnüre für einige Notizbücher befasst.

Ihr Wissen weitergeben

Frauke Grenz vor ihrem Laden. Foto: www.papierwerkstatt-friedrichshagen.de

„Also das find ich etwas lusch, muss ich sagen!“ ‚Lusch‘ – das heißt bei Frauke Grenz langweilig und das darf es bei ihr auf keinen Fall sein. Die Rolle der Mentorin liegt ihr. Als ehemalige Erzieherin und stellvertretende Kita-Leiterin versteht sie es, klare Anweisungen zu geben und gleichzeitig Raum für eigene Ideen und auch Fehler zu lassen. „Manchmal ist sie selbst auch etwas chaotisch, aber auf eine sympathische Art und Weise“, erzählt ihre Praktikantin und lacht. Die Beschäftigung von Praktikant*innen und vor allem das Kursangebot für Jung und Alt machen einen großen Teil der Arbeit in der Papierwerkstatt aus. In den Workshops können die Teilnehmer*innen mit mehr oder weniger Anleitung individuelle Produkte wie Leporellos (kleine Fotoalben), Klemmbretter und andere Dinge selbst anfertigen und gestalten. Frauke Grenz ist es wichtig, besonders den Kindern und jungen Erwachsenen das Handwerk näher zu bringen, aber auch einen Ausgleich zu bieten zum Alltag in der digitalen Welt. „Das macht mir wirklich viel Spaß, die Kinder entdecken zu lassen, ihnen Aha-Momente zu verschaffen, zu zeigen wie Dinge mechanisch funktionieren.“

„Das war der Traum, den ich nie hatte.“

Man könnte meinen, Frauke Grenz habe sich mit der Entscheidung zur Selbstständigkeit als Buchbinderin ihren langjährigen Traum erfüllt, aber so war es nicht. „Es ist so, dass ich nicht diesen Traum hatte, sondern es hat sich in meinem Leben eher ergeben. Ich wusste nicht wo es hingeht. Gelernt habe ich Sortimentsbuchbinderin und damals war es nichts für mich – für immer.“ Nachdem Frauke Grenz durch die Auflösung des Verlags Volk und Welt nach der Wende ihre Arbeit verlor, entschied sie sich noch einmal einen anderen Weg einzuschlagen. Es folgte das Studium zur staatlich anerkannten Erzieherin, später arbeitete sie mehrere Jahre als stellvertretende Kita-Leiterin. Aber auch dort sollte ihr Karriereweg nicht enden. Ein Buchbinderkurs in der Uckermark, 20 Jahre nach ihrer Lehre, entflammte die Leidenschaft für das alte Handwerk. „Auf dem Rückweg sagte ich zu meiner Freundin: Das mache ich jetzt. Ich brauche nur eine Pappschere!“

Die letzten Handgriffe. Frauke Grenz fertigt eine Buchkassette nach individuellen Wünschen an. Foto: Helen Albrecht

Ein Händchen dafür

Neben dem pädagogischen Ziel der Workshops, spielt natürlich auch das Finanzielle eine Rolle. Die Kurse machen einen großen Teil des Umsatzes aus, die Reparaturaufträge allein geben nicht immer genug Arbeit und Einnahmen für zwei Beschäftigte her. „Das ist ganz wichtig für uns, diese Mischkalkulation. Andere Buchbinder müssen wahrscheinlich von morgens bis abends durchknüppeln, Aufträge ranholen und so weiter. Bei Kursen verdiene ich in drei Stunden so viel, dafür müsste ich 6 Bücher binden, ungefähr.“ Der Beruf ist eben nicht das Millionengeschäft. Wer nach dem großen Geld strebt ist hier falsch. Leidenschaft ist gefragt. „Die armen Auszubildenden gehen in der Lehre zu Beginn nur mit 450€ nach Hause“, erklärt Grenz. „Die Ausbildung ist eher für jemanden interessant, der genug Liebe und Begeisterung und auch ein Händchen dafür mitbringt, denn es ist nicht alles erlernbar!“

Konkurrenz

Auch wenn die Buchbinderinnen versuchen Altes zu erhalten, ist die Papierwerkstatt keineswegs von gestern. Das eigene Instagram-Profil, die ausführliche Website und sogar ein Etsy-Online Shop werden regelmäßig aktualisiert. Natürlich ist auch Online für die Buchbinderinnen eine Konkurrenz zu spüren. Im Internet werden immer häufiger individualisierte Buchbindeartikel angeboten. Im Gespräch mit einer langjährigen Kundin zeigt sich, was genau an den handgefertigten Produkten der Papierwerkstatt überzeugt. „Das ist wirklich die Einzigartigkeit dieser gebundenen Objekte. Natürlich auch die große Auswahl an Materialien und Kombinationsmöglichkeiten. Man sieht eben, trotz der perfekten Ausführung, diesen handwerklichen Charakter, im Gegensatz zu industrieller Ware. Außerdem ist es auch immer ein Erlebnis dort hinzugehen und etwas zu kaufen beziehungsweise sich von Frau Grenz beraten zu lassen“, erzählt Sabine*. Das ist es, wofür Frauke Grenz mit am meisten geschätzt wird: Ihre offene, begeisterungsfähige Art.

Nicht nur eine Werkstatt

Frauke Grenz hat mit der 2010 eröffneten Werkstatt einen Ort geschaffen, der dem alten Handwerk neue Wertschätzung verschafft und die kreative Entfaltung der Jüngsten fördert. Auch für andere Künste und Handarbeiten hat die Papierwerkstatt Raum und Interessierte. Bei Veranstaltungen wie den Offenen Ateliers in Friedrichshagen laden die Buchbinderinnen zum kulturellen Zusammentreffen ein und sind im wahrsten Sinne des Wortes offen für neugierige Fragen zum Handwerk. In einer Welt, in der nahezu alles industriell gefertigt werden kann und Bücher auch zunehmend digital konsumiert werden, hält Frauke Grenz mit ihrer etwas anderen Werkstatt das Buchbinden am Leben.

*Der Name wurde zum Schutz der Privatsphäre geändert.


Helen Albrecht studiert im 4. Semester Kunstgeschichte und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Ihr Interesse für das Buchbindehandwerk entdeckte sie 2019 bei einem dreimonatigen Praktikum.


2021-08-04T11:06:33+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Kunst + Können, Lesen|Tags: , , , , |