Einzelhandel und Corona: Geschäfte bangen um ihre Existenz

Einzelhandel und Corona: Geschäfte bangen um ihre Existenz

Der Lockdown hat den Einzelhandel besonders hart getroffen. Die Einkaufsstraßen bleiben leer, Geschäfte müssen um ihre Zukunft fürchten. Viele Menschen haben ihren Job schon verloren. Der Handel ist bereit sich anzupassen und wartet auf die Politik, bisher vergebens.

von Maximilian Schlager

Titelbild: Die Wilmersdorfer Straße in Berlin-Charlottenburg. Foto: Jens Schicke / Imago

Die aktuelle Situation ist uns allen nur zu gut bekannt, es wird nun seit einem Jahr über nichts anderes als die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Deutschland gesprochen. Beinahe alle Bereiche unseres Lebens sind von den Einschränkungen betroffen, die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Normalität hat sich bisher nicht bestätigt.

Ein Jahr geprägt von Hoffnungslosigkeit

Seit Beginn der Pandemie zeigen sich vor allem im wirtschaftlichen Sektor immer wieder neue Probleme auf und Prognosen für die Zukunft lassen erahnen, dass wir auch nach der Krise noch mit den Konsequenzen der Schließung des Handels zu kämpfen haben werden. Der Einzelhandel ringt um Überlebenschancen, Existenzen und Arbeitsplätze sind seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 bedroht. Dabei waren die ersten Wochen der Pandemie noch von Optimismus geprägt. Eine Mentalität im Stil von „Wir schaffen das zusammen” breitete sich aus und die Bürgerinnen und Bürger waren bereit, den lokale Einzelhandel stärker denn je zu unterstützen. Als ursprünglicher Verkaufsschlager wurden handgefertigte Masken angeboten, teilweise auch aufgrund der mangelhaften Vorbereitung der Regierung auf eine solche gesundheitliche Notsituation. Spätestens mit dem zweiten Lockdown im Hebst wurde jedoch deutlich, dass sich diese Ausnahmesituation nicht ohne Hilfen vom Staat und umfangreicher Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft überstehen ließe. Die Hoffnung auf ein lukratives Weihnachtsgeschäft, welche von der Politik erst aufgebaut wurde, fand mit dem kompletten Shutdown am 16. Dezember ein ernüchterndes Ende. Es wurden zwar Hilfen mittels finanzieller Zuschüsse für die folgenden Monate beschlossen, dennoch brachte der Jahreswechsel keine neuen Pläne für eine langfristige Sicherung des Einzelhandels mit sich. Jede neue Konferenz der Ministerpräsidenten ließ auf Änderungen hoffen, doch zum Ärger vieler Unternehmen leider vergebens.

Das Sterben der Innenstädte

Die Probleme des Einzelhandels sind jedoch nicht erst in der Pandemie entstanden. Schon seit Jahren beklagen sich Geschäfte über mangelnde Kundschaft und zu hohe Mieten. Dabei gilt vor allem der Erfolg des Online-Handels als Auslöser für das Sterben der Innenstädte. Was anfangs eine Frage der Bequemlichkeit war, wurde mit dem Lockdown zur Notwendigkeit. Die Erwartung, dass wir nach der Pandemie wieder in einen Zustand der Normalität zurückkehren werden, wird sich für die mittelständigen Unternehmen höchstwahrscheinlich nicht erfüllen. Laut dem Einzelhandelsverband waren bereits vor Corona rund zwei Drittel der Geschäfte in den Innenstädten in Existenznot geraten, jetzt verstärkt sich das Ladensterben noch durch den Lockdown. Gleichzeitig verzeichnen Online-Großunternehmen wie Amazon milliardenschwere Gewinne. Dabei hat der Handel in den Innenstädten etwas zu bieten: soziale Nähe und eine fachliche Beratung. Ob das ausreicht, um dem Vorpreschen des Online-Handels entgegenzuwirken, lässt sich bezweifeln. Doch ohne finanzielle Hilfen und strukturelle Reformen könnte das Stadtbild sich in diesem Jahr grundlegend ändern. Wenn jedes zweite Geschäft schließen muss, wie es der Handelsverband momentan befürchtet, so fällt für die Bürgerinnen und Bürger der Anreiz eines Besuches in den Einkaufsstraßen weg. Die meisten Unternehmen haben inzwischen die vom Staat angekündigten Hilfen erhalten und können nun zumindest ihre Fixkosten decken. Dennoch löst dies nicht alle Probleme. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befinden sich in Kurzarbeit oder wurden freigestellt, die Ware liegt in den Lagern und den Unternehmen mangelt es an Zukunftsperspektiven. Der Konflikt zwischen dem Einzelhandel und Online-Großunternehmen wie Amazon ähnelt inzwischen immer mehr der Geschichte von David gegen Goliath – wobei die Frage offenbleibt, ob der Einzelhandel eine Steinschleuder besitzt, um dem Giganten entgegenzuwirken.

Der Einzelhandel will sich anpassen dürfen

Die Hilfsmaßnahmen der Regierung reichen nicht aus, um den Einzelhandel zu retten. Mit jedem Tag in der Pandemie verschlechtert sich die Lage in deutschen Innenstädten. Während die Politik über mögliche Öffnungsstrategien diskutiert – und das inzwischen alle drei Wochen wieder aufs Neue – gehen manche Unternehmen die Situation selbst an.

Eisen Döring am Kaiserdamm. Foto: Maximilian Schlager

Abseits der inzwischen fast leeren Einkaufsstraßen prägen kleinere Händler das Stadtbild Berlins. Meistens sind es Geschäfte in Familienbesitz, die nicht mehr als eine oder zwei Filialen umfassen. Neben den bekannten Adressen wie der Ku’damm oder die Wilmersdorfer Straße sind vor allem diese in den lokalen Gemeinschaften bekannt und beliebt. Das Fachgeschäft „Eisen Döring” in Charlottenburg-Wilmersdorf ist so alt wie der Kiez selbst und eines der letzten Geschäfte seiner Art. Hier gibt es so ziemlich alles zu kaufen, was man für den täglichen Gebrauch benötigen könnte. Obwohl die Pandemie eine existenzielle Bedrohung für Geschäfte wie dieses darstellt, geht es dem Händler den Umständen entsprechend gut. Seit einigen Monaten schon zieren zwei unübersehbare „Geöffnet“-Schriftzüge die Schaufenster. Das Gitter an der Tür versperrt Kundinnen und Kunden zwar den Einlass in das Geschäft, dennoch können sich Interessierte vom Bürgersteig aus beraten lassen und ihre Einkäufe tätigen – natürlich unter strengsten Hygiene- und Abstandsvorschriften. Täglich finden sich Stamm- und Laufkundschaft vor dem Geschäft ein, viele sind positiv überrascht von der teilweisen Öffnung. Es bietet ein Stück Normalität, wonach sich viele Menschen heute innig sehnen.

Natürlich stellt diese Art der Öffnung keine Langzeitstrategie dar, noch wird es Geschäfte wie dieses vor der Insolvenz retten. Doch es unterstreicht den Wille zur Anpassung. Sowohl die Kundinnen und Kunden als auch die Händlerinnen und Händler selbst sind bereit sich unter den gegebenen Umständen neu zu organisieren und ihre Strategien zu ändern, auch ohne komplett auf den digitalen Trend umzusteigen. Der Einzelhandel ist durchaus fähig, jedoch kann es nicht ohne Kompromisse Seitens der Politik funktionieren. Wissenschaftliche Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem Handel und steigenden Infektionsraten bereits widerlegt. Allein in Lebensmittelgeschäften gibt es täglich fast 40 Millionen Kundenkontakte, abgesichert durch die Hygieneregeln. Das Robert-Koch-Institut bestätigt ein geringes Infektionsrisiko im Handel und empfiehlt eine Öffnung der Geschäfte. Die Konferenz der Ministerpräsidenten scheint diese Empfehlung jedoch bisher nicht in den Entscheidungsprozess mit aufzunehmen.

Erstmals sind jetzt am 3. März 2021 neue Pläne für die Öffnung des Einzelhandels verkündet worden. Bilanz: Die „neuen” Pläne sind vielerorts schon längst Realität. Terminvereinbarungen für die Kunden und umfassende Hygienekonzepte sind für Geschäfte wie Eisen Döring die einzige Möglichkeit weiterhin ihrer Arbeit nachzugehen. Die Politik hat insofern nichts Neues beschlossen, sondern die bestehenden Verhältnisse nur bestätigt. Für viele Händler sind diese Öffnungsschritte ein Kompromiss, welcher bedauerlicherweise zu kurz greift.

Es bleibt abzuwarten, wann und ob sich die Situation rund um den Einzelhandel normalisieren wird. Ohne weitere Hilfen vom Staat und langfristigen Konzepten steht der Handel in den Innenstädten jedoch näher am Abgrund als je zuvor. Viele Menschen sehnen sich nach einem entspannten Spaziergang durch die Einkaufsstraße – hoffentlich wird es dann auch die Geschäfte noch geben.


Maximilian Schlager studiert Politikwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Charlottenburg war schon immer sein Kiez, er vermisst die Menschenmengen und den Alltag vor Corona.


2021-04-27T11:41:53+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen|Tags: , , , , |