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[Untersuchung der Selbstzeugnisse japanischer Kriegsgefangener in chinesischer Haft]



Chinesische Flüchtlinge verlassen die Städte an der Küste,
entnommen aus dem Film „The 400 Million“ von Joris Ivens, gedreht 1938.


„Wenn ich an die jungen Leute denke, die dem Krieg zum Opfer fielen, besonders an die kleinen Soldaten, die ihr Leben verloren, weil die unteren Militärs so einen ungeschickten Krieg führten, fühle ich keine Entschuldigung dafür, am Leben geblieben zu sein,“ beschreibt ein japanischer Kriegsgefangener in chinesischer Haft seine quälenden Schuldgefühle. In der japanischen Erinnerungskultur gehört die „Überlebensschuld“ zu den Hauptmotiven für das Schreiben von Lebenserinnerungen. „Erinnerung in Japan geschieht überwiegend schriftlich,“ erzählt Petra Buchholz und dann oft „bis zur Selbstentäußerung.“ Im Rahmen der Forschergruppe „Selbstzeugnisse in transkultureller Perspektive“ wird die 53-Jährige der Frage nachspüren, welche „Bekenntnisse“ japanische Kriegsgefangene in chinesischer Kriegsgefangenschaft abgelegt haben.

Auf ihr Thema stieß Petra Buchholz während ihres vierjährigen Aufenthalts Zeit als Lektorin an der Yamanashi-Universität in Kofu/Japan. So mussten die rund 1000 japanischen Militärangehörigen während ihrer siebenjährigen Kriegsgefangenschaft in China von 1950 bis 1956 ein Bekenntnis über die von ihnen begangenen Kriegsverbrechen ablegen, an der sie auch nach ihrer Rückkehr in die Heimat festhielten. „Die meisten Männer waren überrascht, wie gut sie in chinesischen Lagern behandelt wurden und dass sie sogar weißen Reis als Essen erhielten,“ erzählt die „passionierte Landhausfrau aus der Uckermark“. Viele seien nach ihrer fünfjährigen Lagerhaft in Sibirien „völlig eingeschüchtert“ in chinesische Lager gekommen, wo sie nicht zu arbeiten brauchten und ärztlich versorgt wurden. In China erfolgte ein langsamer Prozess der „Umerziehung“, der in Japan als „Gehirnwäsche“ interpretiert wurde. Während dieser Phase legten die japanischen Kriegsgefangenen ein umfassendes Bekenntnis ab, in der sie die von ihnen während der japanischen Invasion in China begangenen Grausamkeiten en detail schildern. „Wir haben unberührt von jeglichen Zweifel daran geglaubt, dass Japan ein göttliches Land sei, dass der göttliche Wind wehen würde, um das Land aus Schwierigkeiten zu befreien, dass wir auf keinem Fall unterliegen würden. Wie konnten wir nur derart verblendet sein! Erziehung ist eine fürchterliche Angelegenheit,“ rechtfertigte sich ein japanischer Kriegsgefangener.

„Die Bekenntnisliteratur geht in Japan schon in das elfte Jahrhundert zurück, als Hofdamen ihre Erlebnisse bei Hofe schilderten,“ erzählt Petra Buchholz, die zunächst Pädagogik studierte. Auch im Konfuzianismus galt es als positiv, sich einer eigenen Fehler und Sünden offiziell zu bekennen und damit teilweise – wie in der Beichte – Absolution zu erreichen. „In China wurde die Bekenntnisliteratur während der Kulturrevolution auf die Spitze getrieben, besonders aber während der Cheng-Feng-Bewegung (Berichtigungsbewegung).“ Damals hätten sich die Chinesen nach sowjetischem Vorbild orientiert um, „mit der vollzogenen Selbstbezichtigung einen Identitätswechsel vorzunehmen.“ Nach ihrer Rückkehr nach Japan bezeichneten sich die Kriegsgefangenen weiterhin als „Kriegsverbrecher“ und gründeten den „Verein der China-Heimkehrer“, in dem sie einen wichtigen Zusammenhalt fanden. „Die Männer sind rührend, bisweilen aber auch sehr fanatisch,“ erzählt die Mutter eines erwachsenen Sohnes. Viele setzten sich sehr intensiv für eine japanisch-chinesische Freundschaft ein. In dem von der DFG bewilligten Forschungsprojekt kann sich Petra Buchholz auf ihre an der Freien Universität bei Irmela Hijia-Kirschnereit geschriebene Dissertation stützen. Das Projekt ist bis 2010 angelegt. „Ich will vor allem der Frage nachgehen, ob die Selbstbekenntnisse unter Gewalt, Zwang oder Selbstzwang geschrieben wurden,“ erzählt Petra Buchholz derart begeistert, dass man sie nicht in der ländlichen Uckermark sondern in Tokyo erwarten würde.

Petra Buchholz

Foto: Slingshot


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