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[FU bildet Vorlesepaten aus]



Bei den Jüngsten stoßen Geschichten auf offene Ohren.


Lesen Sie gern? Merkwürdige Frage, werden Sie vielleicht denken. Schließlich lesen Sie gerade die „FU-Nachrichten“. Doch die Frage kommt nicht von ungefähr. Oft wurde sie in den letzten Jahren Kindern und Jugendlichen gestellt. Die Antworten haben Eltern, Politiker und Wissenschaftler gleichermaßen alarmiert. In der PISA-Studie gaben 42 Prozent der 15-Jährigen an, überhaupt nicht zum Vergnügen zu lesen. Mit diesem Wert ist Deutschland unübertroffen! Fast 23 Prozent der Jugendlichen können nur auf einem elementaren Niveau lesen – die denkbar ungünstigste Voraussetzung, um zu lernen. Die PISA-Forscher stuften die Gruppe daher als Risikogruppe ein. Kinder hingegen zeigen Leselust. In der IGLU-Studie antworteten nur zehn Prozent der Grundschüler, mit Büchern nicht viel anfangen zu können. Aber auch bei dieser Untersuchung wird bereits einem Drittel der Kinder eine spezielle Leseförderung empfohlen. Was also geschieht in den Jahren zwischen Einschulung und Pubertät? Warum vergeht den deutschen Kindern auf dem Weg zum Erwachsenwerden das Lesen? Einfache Antworten gibt es hierauf nicht. Aber es gibt Menschen, die Kindern das Lesen (wieder) schmackhaft machen wollen. Rolf Busch ist einer von ihnen. Der Leiter des Referates Weiterbildung der FU koordiniert jährlich bis zu 300 Lehrgänge für FU-Angehörige und Gäste. Ein Teil davon richtet sich an Bibliothekare. Auf einer Tagung zum Thema „Ehrenamtliche Pädagogik in Bibliotheken“ traf er auf Susanne Jaedtke, Referentin der Stiftung Lesen. Das Treffen hatte Folgen: Die Freie Universität Berlin ist die einzige Universität, die Vorlesepaten ausbildet.

Mit der Kampagne „Wir lesen vor – jederzeit und überall“ schult die Stiftung Lesen gemeinsam mit unzähligen gemeinnützigen Klubs ehrenamtliche Vorleser – 3.000 sind es mittlerweile bundesweit. Zu werben braucht sie dafür kaum – wohin sie auch kommt, das Interesse ist überwältigend. „PISA und IGLU haben die Menschen für Bildungsbelange stark sensibilisiert“, meint Susanne Jaedtke. „Die Menschen wollen selbst aktiv werden. Wir erfahren von privaten Initiativen, die mit viel Enthusiasmus zur Leseförderung beitragen.“

Was Familien und staatliche Betreuer heute nicht mehr ausreichend leisten, das erreichen die ehrenamtlichen Vorleser. In Kitas, Schulen und Freizeithäusern, in Heimen und Krankenhäusern lesen sie Geschichten vor und schulen damit die Lesekompetenz der Kleinsten. Berlin schneidet im Städteranking der Vorlesepaten bisher leider noch schlecht ab. Während die Kinder in Hessen und oder im Ruhrgebiet dank Landesförderung wöchentlich an einer Vielzahl von Lesestunden teilnehmen können, ist die Hauptstadt eher Schlusslicht.

Doch das könnte sich ändern. Zwanzig Enthusiasten nahmen Anfang März weite Wege auf sich, um sich von Susanne Jaedtke zur Vorlesepatin oder zum Vorlesepaten ausbilden zu lassen. Dutzende stehen auf der Warteliste. Neunzehn Frauen und ein Mann ab Mitte Zwanzig wollen IGLU und PISA trotzen. Sie sind Studentinnen, Grundschullehrerinnen, Unternehmensberaterinnen und Ruheständlerinnen, die keine sein wollen. Sie eint die Überzeugung, wie wichtig Vorlesen und Lesen ist, um den Kindern die Welt zu erschließen, um ihre Fantasie, ihre Neugier und ihre sozialen Kompetenzen zu fördern. Nicht zuletzt schafft eine „Vorlesung“ für die Kleinsten auch Nähe.

Einige der Seminarteilnehmer lesen regelmäßig in Kitas, öffentlichen Bibliotheken oder Grundschulen vor. Sie wissen, welche Geschichten Kinder zwischen zwei und zwölf fesseln; welche sich für Rollenspiele oder Diskussionen eignen. Wollte der (angeblich zahnlose) Wolf im Buch „Steinsuppe“ wirklich nur Suppe kochen oder hatte er es in Wirklichkeit auf die Henne abgesehen? Sind dicke Kinder langweiligere Spielgefährten? Und: Warum hat Papa Angst vor dunkelhäutigen Nachbarn? Der Dialog ermöglicht es, Verständnisprobleme auszuräumen, die Sprachentwicklung zu fördern, Leseeindrücke auszutauschen, Werte zu vermitteln und die Urteilsfähigkeit der Kinder zu schärfen. Das und mehr wird im Seminar gezeigt.

Das ist viel Verantwortung für die freiwilligen Vorleser. Rolf Busch wird alles daran setzen, damit es noch mehr werden. Auf die große Nachfrage nach den Vorlesekursen ist der Pädagoge und passionierte Leser stolz. Seine Visionen reichen weiter: „Die Zeit ist reif für mehr zivilgesellschaftliches Engagement.“ Gern würde er von Dahlem aus eine Vorlesebewegung für Berlin-Brandenburg starten. Noch sind freie Seminarplätze vorhanden. Die nächsten Termine liegen am 6. und 17. Mai sowie im Herbst.

Anke Assig

Foto: Stiftung Lesen


[Information]

www.stiftung-lesen.de, www.wirlesenvor.de,
www.lesewelt-berlin.org, www.lesart.org
oder beim Leiter des Referates Weiterbildung der FU,
Dr. Rolf Busch, Telefon: 030/838-51414.


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