Und der Herr zerstreute sie von dort über die ganze Erde; und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. Darum gab man ihr den Namen Babel, denn dort verwirrte der Herr die Sprache der ganzen Erde, und von dort zerstreute sie der Herr über die ganze Erde. (1. Buch Moses 11,1-9), Der Turmbau zu Babel, Gemälde von Pieter Breugel d.Ä., 1563
Wenn der Schornsteinfeger sagt: Ich steige gleich auf Ihr Dach, dann kann sich der Hausbesitzer auf eine Dienstleistung freuen. Grollt er aber mit den Worten: Ich steige Ihnen gleich aufs Dach, dann droht Ungemach. Den feinen Unterschied macht dabei eine typisch kontinental-europäische Sprachfigur, die Trennung von Possessor (Ihnen) und Possessum (Dach). Solche Zusammenhänge arbeiten wir heraus, um letztlich den Sprachunterricht zu verbessern, sagt Prof. Dr. Ekkehard König vom Institut für Englische Philologie der Freien Universität. Der Anglist und Linguist vergleicht die Feinheiten Hunderter von Sprachen. Ihre Ausdrucksmittel untersucht er mit Hilfe von Online-Datenbanken und global koordinierten Projekten. Das hat ihm jüngst den mit 125.000 Euro dotierten Max-Planck-Forschungspreis für internationale Kooperation eingebracht.
Das Repertoire menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten ist begrenzt. In scheinbar uferloser Vielfalt erkennen wir universale Grundmuster, beschreibt Ekkehard König das Leitmotiv seiner Arbeit. Die Sprachtypologie analysiert die Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Damit kann man vergleichbare Grammatiken verwandter Sprachen erarbeiten. Wenn heute jeder EU-Bürger mindestens zwei Fremdsprachen lernen soll, muss man beim Unterricht von vornherein mehrere gleichzeitig in den Blick nehmen.
Für ihre Studien greifen die Linguisten jeweils ein paar Hundert der knapp 7.000 menschlichen Sprachen heraus. Sie vergleichen beispielsweise, wie darin Besitzverhältnisse ausgedrückt werden: Sie verbrannte sich die Haare she burnt her hair usw. Im Deutschen bietet dabei der so genannte externe Possessor (in diesem Beispiel: sich) eine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Aussagen zur Körpersphäre des Besitzers und zu sonstigen, entfernteren Besitztümern. Nur bei einfachem Besitz (abgeschnittenen Haaren) würde man im Deutschen sagen: Sie verbrannte ihre Haare, während der Unterschied im Englischen, in den keltischen und außereuropäischen Sprachen so nicht auszudrücken ist. Konstruktionen mit externen Possessoren im Dativ gibt es fast nur in Kontinental-Europa. Deshalb kann unser Schornsteinfeger sagen Ich steig Ihnen gleich aufs Dach, wenn er eine körperliche Auseinandersetzung ankündigt.
Fasst man solche Erkenntnisse europaweit zusammen, dann kommt ein typologisches Lexikon von 7.200 Seiten heraus. Diese Arbeit hat Ekkehard König von 1990 bis 1994 koordiniert. Das Großprojekt EUROTYP von 100 Fachleuten aus 20 Ländern finanzierte die European Science Foundation (ESF). Auch an deren neuester Forschung zu Immigration und Identitätsfindung ist König beteiligt. Optimistisch sieht er Europas Chancen, trotz der Sprachenvielfalt zusammenzuwachsen. Ich glaube sehr wohl, dass es möglich ist, sprachliche Hemmnisse zu verringern und dass Schule und Hochschule viel dafür tun können, speziell auch wir mit unserer Arbeit. Die Linguistik diene allerdings nicht nur der politischen Integration, sondern auch der Dokumentation kultureller Vielfalt.
Beim Blick über den europäischen Tellerrand drängt sich die abstrakt-vergleichende Sehweise der Linguisten förmlich auf. Wie verschieden etwa deutsche und japanische Sätze gebaut sind, zeigt schon ein simples Beispiel. Die deutsche Frage Woher wussten Sie, dass ich Kopfweh hatte? würde in japanischem Satzbau lauten Ich-Kopfweh-dass-erraten-wie-(Perfekt)-?. Objekte ergeben sich dort nur aus dem Zusammenhang. Mir schmerzt der Kopf wird folgendermaßen aufgebaut: Ich-der-Kopf-schmerzt. Solche völlig fremden Sprachsysteme beherrscht man umso besser, je allgemeiner man mögliche Ausdrucksformen überblickt. Außerdem vermittelt die Sprachtypologie kulturelle, historische und psychologische Einblicke, die keine andere Wissenschaft liefern kann, sagt Ekkehard König, der seit 2000 auch ein deutsch-japanisches Forschungsprojekt durchführt.
Prof. Dr. Ekkehard König
Königs internationales Engagement blieb der Max-Planck-Gesellschaft und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung nicht verborgen. Ihr gemeinsamer Max-Planck-Forschungspreis würdigt speziell herausragende Beiträge zur multilateralen wissenschaftlichen Zusammenarbeit. König ist u.a. Mitherausgeber des internationalen Handbuches Language Typology and Language Universals sowie der Buchreihe Germanic Linguistics und internationaler Fachzeitschriften. Auch fünf Drittmittel-Projekte, die er geleitet hat, waren naturgemäß international angelegt.
Schon als Student zog es den 1941 geborenen Schlesier König ins Ausland. Er lernte immer leidenschaftlich gern Sprachen, wechselte von Kiel nach Newcastle, Edinburgh und Reading. 1973 wurde er in Stuttgart habilitiert, erhielt sofort eine C4-Professur in Hannover und 1988 den Ruf an die FU Berlin. Als Gast lehrte und forschte er bisher in Manchester, Braunschweig, Stanford, Wassenaar (Niederlande) und Los Angeles. Er wirkt heute u.a. in den deutschen und europäischen Forschungsgremien DFG und ESF mit und wurde 1999 als korrespondierendes Mitglied in die Académie des Inscriptions et Belles-Lettres des Institut de France gewählt.
Stefan Brunner
Abbildung: KHI