Victor Klemperer (1881-1960)
Die Tagebücher des Dresdner Romanisten Victor Klemperer aus den Jahren 1933-45 fanden bei ihrer ersten Veröffentlichung im Jahre 1995 national wie international große Beachtung. Die Aufzeichnungen gewähren eine Fülle neuer Einblicke in die Zeit des Nationalsozialismus. Aus der Sicht eines Juden, der sich immer vorrangig als Deutscher fühlte, beschreiben die Tagebücher hautnah, wie während der Judenverfolgung das Leben der Betroffenen schrittweise zersetzt wurde. Erst am Ende dieses Leidens stand auch die physische Auslöschung, der Klemperer glücklich entging. Besonders in den USA war die Resonanz immens. Da die vom Aufbau-Verlag herausgegebene Ausgabe der Tagebücher für einen großen Leserkreis bestimmt war, musste viel Material unberücksichtigt bleiben. Nicht einmal ein Drittel der schwer entzifferbaren handschriftlichen Notizen konnte veröffentlicht werden.
Der Herausgeber der Tagebücher, Walter Nowojski, arbeitet jetzt im Rahmen eines Forschungsprojekts der Freien Universität daran, auch die bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit stände erstmals das Gesamtmaterial für Forschungszwecke zur Verfügung. Die Fachwelt wartet gespannt auf das Mammutwerk, das in Form einer DVD auch einen komfortablen Zugriff auf die Fülle von Informationen liefern soll.
Neben der Umschrift von Walter Nowojski werden auch 5.000 Seiten Manuskript Klemperers in gescannter Form zur Verfügung stehen. Der wissenschaftliche Apparat wird ungefähr 500 Seiten umfassen.
Walter Nowojski ist bereits seit 25 Jahren mit dem Nachlass Klemperers beschäftigt. Mehr als 2000 Briefe hat er inzwischen erhalten, die ihm Aufschluss über das Schicksal der in den Tagebüchern geschilderten Leidensgenossen, der Hochschulkollegen von Klemperer, aber auch über den Verbleib der Täter geben. Für die schon erschienenen acht Bände der Autobiographie und der Tagebücher von 1918 bis 1959 hat Nowojski 16.000 Seiten Manuskripte Klemperers durchgesehen. Vieles aus den Studien, Recherchen und eingegangenen Briefen ist bisher unveröffentlicht und wird im wissenschaftlichen Apparat erstmals zugänglich gemacht.
Das Forschungsprojekt fügt sich in den wissenschaftshistorischen Schwerpunkt des Projektleiters, Prof. Dr. Jürgen Trabant, der seit den 80er Jahren mehrere Arbeiten zum Gebiet der Geschichte der Romanistik, insbesondere in der Nazizeit veröffentlicht hat. Für die Realisierung des über drei Jahre laufenden Forschungsvorhabens leistet die Robert-Bosch-Stiftung eine einjährige Anschubfinanzierung.
In den folgenden zwei Jahren wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Unterstützt wird das Vorhaben darüber hinaus vom Aufbau-Verlag, der die Lizenzrechte zur Verfügung stellt, sowie von der Sächsischen Landesbibliothek, in deren Besitz sich der Nachlass Victor Klemperers befindet. Ende 2004 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Niclas Dewitz
Foto: Höhne-Pohl