Zeitwert – Ehrenamt im Hospiz

Foto: Sabine von Erp

Zeitwert – Ehrenamt im Hospiz

Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen bilden für viele soziale Einrichtungen einen Grundpfeiler ihres Bestehens. Auch Hospize sind auf diese Stütze angewiesen. Auf Menschen, die etwas von ihrer Zeit abgeben, ohne eine finanzielle Gegenleistung zu erwarten.

von Anika Gülcher

Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde die Systemrelevanz von Pflegeberufen immer wieder deutlich. Es wurde über Arbeitsbedingungen, Personalmangel und Löhne debattiert. Daneben fand in der Medienberichterstattung auch freiwilliges Engagement besondere Beachtung. Ehrenamtliche Hilfe für bedürftige Menschen oder soziale Einrichtungen war teilweise entscheidend für das Weiterbestehen einzelner Geschäfte sowie etablierter Organisationen. Doch auch abseits von Krisensituationen sind medizinische und pflegerische Einrichtungen wie Hospize auf die Unterstützung durch ehrenamtliche Mitarbeiter*innen angewiesen. Diese Helfer*innen erbringen freiwillig und unentgeltlich einen Leistungseinsatz, der die Hospizarbeit erst in dem Maße ermöglicht, sodass sie heute Teil der Regelversorgung sein kann. Trotz der Professionalisierung der rund 260 stationären Einrichtungen und ca. 1500 ambulanten Hospizdienste in Deutschland, so die Zahlen des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes e.V. (DHPV), bleibt das Ehrenamt ein wichtiger Pfeiler.

Aber auch dieser wandelt sich und zunehmend jüngere Menschen mit den verschiedensten Motivationen interessieren sich für eine solche Tätigkeit, seien das soziales Engagement, Weiterbildung oder die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse abseits von finanziellen Anreizen. Wer sich warum für oder gegen ein Ehrenamt im Hospiz entscheidet, hat individuelle Gründe. „Man muss eine Balance finden zwischen dem, was es mir gibt und dem, was es mir nimmt“, findet Leonie Lobes (*Name geändert). Sie engagiert sich seit sechs Jahren ehrenamtlich im Diakonie-Hospiz Berlin Lichtenberg. „Alles kann. Nichts muss. Das ist kein Hobby. Auch wenn es mit Spaß und Freude zu tun hat, ein Ehrenamt kann auch manchmal Kraft kosten.“

Tod und Sterben als Tabu

Früher war der Tod ein allgegenwärtiger, zur Normalität gehörender Aspekt. Heute findet Sterben im Verborgenen statt. In Deutschland versuchen Hospize darum seit Mitte der 1980er das Sterben aus der Isolation zurück in die Gesellschaft zu holen, um den Tod nicht als Tabuthema auszuschließen. Für den Erfolg dieses Vorhabens spricht die Zunahme hospizlicher und palliativer Dienste in Deutschland – nach Angaben des DHPVs hat sich die Zahl dieser Häuser seit 1996 mehr als verdreifacht. Als Teil des Gemeinwesens tragen ehrenamtliche Mitarbeiter*innen dazu bei, dass Sterben nicht abseits von der Gesellschaft stattfinden muss, sondern Platz in ihr findet. „Beim Thema Sterben und Tod klatscht keiner in die Hände“, sagt Christel Silke. Sie arbeitet seit einem Jahr im Diakonie Hospiz in Berlin-Lichtenberg. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin hatte nie Schwierigkeiten mit dem Tod, doch der ihrer Tochter warf sie aus der Bahn. Bis zum letzten Atemzug saß sie an ihrem Bett und „plötzlich war da der Gedanke, dass ich das auch für andere machen könnte.“ Mit ihrer Arbeit trägt sie zur Enttabuisierung und Neugestaltung des Umgangs mit dem Sterben bei. Wie viele ehrenamtliche Mitarbeiter*innen führte sie die persönliche Verbindung zur Hospizarbeit. Doch nicht jeder Mensch möchte und kann das.

Haus des Lebens

Im Hospiz soll sich niemand verstecken. Ehrenamtliche kümmern sich auch darum, Hospizbewohner*innen am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Foto: Edu Carvalho

Das Stichwort Hospiz löst schließlich die verschiedensten, oft emotionalen Assoziationen aus. Es erinnert an Trauer und Krankheit, vielleicht denkt man an eigene Angehörige oder Bekannte und an die Angst vor dem Verlust. Ins „Haus des Sterbens“ gehen schließlich schwer kranke oder sterbende Menschen, die nicht mehr am Leben teilhaben können, so die skeptische Vorstellung.

Entgegen dieser beklemmenden Sicht begegnen den Menschen dort alle Emotionen: „Im Hospiz wird das Leben genossen, mit viel Lachen und Humor. Es geht nicht nur um Themen wie Sterben und Tod, sondern darum, wie ich den Menschen noch irgendwie eine Freude machen kann“, sagt Fabian Kolditz, Pflegedienstleitung und Koordinator des stationären Ehrenamts im Vivantes Hospiz Berlin. Darum vermeidet er die düstere Bezeichnung und betrachtet das Hospiz lieber als „Haus des Lebens“. Es geht um eine schöne letzte Lebensphase und um den einzelnen Menschen. Es wird Nichts beschönigt, jeder Mensch wird so angenommen, wie er ist. Der Tod soll nicht von der Gesellschaft abgespalten werden, denn: „Solange man nicht tot ist, lebt man“, sagt die ehrenamtliche Mitarbeiterin des Diakonie-Hospizes Berlin, Ute Bucher (*Name geändert).

Zwischen Pflege und Familie

In dieser letzten Lebensphase, der aktiven Sterbephase, leisten Menschen wie sie mit ihrer psychosozialen Betreuung einen wichtigen Beitrag. „Hospiz funktioniert nicht ohne Ehrenamt“, betont Fabian Kolditz. Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen können sich in den verschiedensten Bereichen engagieren; von Hilfe in der Küche über Gartenarbeit, Sitzwachen am Bett von Patient*innen und Unternehmungen bis hin zu Botengängen. Sie erfüllen ehrenvolle Aufgaben, werden oft als Bezugsperson ins Vertrauen gezogen und übernehmen Funktionen, die sonst Familienangehörigen zugewiesen würden. „Das Ehrenamt steht als Bindeglied zwischen der Pflege und den Angehörigen. Das funktioniert besonders gut, wenn sie sich als stille Teilhaber in den Ablauf eingliedern können“, so Kolditz.

„Die Hauptamtlichen könnten das so nicht leisten, sie sind körperlich und psychisch bereits ausgelastet“, stellt Christina Graef (*Name geändert) fest, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Ricam Hospizes Berlin. Leonie Lobes stimmt zu: „Ohne die Bereitschaft, unentgeltlich etwas zu tun, solidarisch zu sein, laufen ganz viele Bereiche unserer Gesellschaft nicht mehr.“ Gleichzeitig betont sie, dass diese Tätigkeit nichts Außergewöhnliches ist. „Unsere Arbeit ist etwas Normales und nichts, wofür man Applaus braucht. Man muss das nicht in den Himmel heben, wir sind keine Samariter.“ Auch Fabian Kolditz sieht das so: „Man kann sich nicht auf die Fahne schreiben Ich bin der Retter.“ Das gilt sowohl für die freiwilligen als auch für die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen. Ausschlaggebend für das Funktionieren eines Hospizes ist das Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamt. Diese Haltung schätzt Christel Silke: „Am Ehrenamt im Hospiz ist die Gemeinschaft etwas ganz Besonderes. Alle engagieren sich, ob hauptberuflich oder ehrenamtlich für ein Ziel: Sterbende Menschen nicht allein zu lassen.“

Verschenkte Zeit?

Leonie Lobes ist es wichtig, anderen Menschen etwas von ihrer Zeit abzugeben und eine sinnstiftende Arbeit zu tun. Foto: Matthias Zomer

Die Begleitung Sterbender beruht auf der Mentalität des Geschenks von Zeit, Daseins und Aushaltens. Sie lässt sich nicht erzwingen oder durch einen finanziellen Reiz erzeugen. „Ich mache das gerne und dafür muss mir niemand Geld geben“, stellt Ute Bucher fest. Dass diese Gesellschaft nichts kostet, ist für viele Hospizbewohner*innen kaum vorstellbar. „Zeit schenken“ ist dann keine Pflicht, sondern Menschen tun das freiwillig, um für andere in einer Zeit des Loslassens und der Verletzbarkeit da zu sein. Die Kunst der ehrenamtlichen Begleitung liegt auch darin, Patient*innen mit der passenden ehrenamtlichen Unterstützung zusammenzubringen.

Doch nicht jeder kann sich so kurzfristig und für einen so knappen Zeitraum auf eine Person einlassen. Patient*in und Ehrenämtler*in können darum jederzeit sagen, was sie möchten, und was nicht. Sie entscheiden frei über ihre Zeit. Christina Graef antwortet auf die Frage nach der verschenkten Zeit: „Verschenken ist ein sehr großes Wort. Das ist ein Miteinander. Das ist mir die Zeit wert und ich bin sehr gerne im Hospiz. Meine Aufgaben sind nicht spektakulär, aber diese Dienste sind nötig und das nehme ich den Hauptamtlichen gerne ab.“ Auch Leonie Lobes denkt über den Wert von Zeit nach: „Man ist man selbst und gibt ein bisschen was ab, was man an Zeit, Energie und Kreativität übrighat. Das Abwägen zwischen dem Schenken von Zeit und dem Schonen der eigenen Ressourcen ist wichtig und richtig und beides darf seinen Platz haben.“

„Ich kann das, ich will das, ich darf das.“

Christel Silke erfüllt ihr Ehrenamt voll und ganz. Sie weiß zu schätzen, was sie erlebt: „Ich kann das, ich will das. Ich darf das.“ Sie und die anderen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen gehen gerne in das „Haus des Lebens“ und versuchen, die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen zu entlasten, den Patient*innen Leidensdruck zu nehmen. Alle teilen ihre Aufmerksamkeit und Energie und erleben im Gegenzug eine ganz spezielle Zeitqualität. Vielleicht ist ein Ehrenamt nicht außergewöhnlich, unnormal oder spektakulär – aber es ist etwas Besonderes. Fabian Kolditz weiß, dass man sich mit einem Ehrenamt nicht für etwas revanchieren oder etwas zurückgeben kann. Jedoch kann man für Menschen da sein, präsent sein, wenn sie das möchten. Ein Ehrenamt ist nicht uneigennützig und trotzdem nicht unbedingt selbstbezogen. Es berührt und lehrt, es nimmt und gibt.



Annika Gülcher studiert Deutsche Philologie und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im vierten Semester an der Freien Universität Berlin. Sie hofft, auch in Zukunft von offenen und hilfsbereiten Menschen und Beziehungen berichten zu können.