Hans Werner Rückert beim Beratungsgespräch.
Warum tun sich die Universitäten manchmal so schwer, ihre Studenten auf die Prüfungen vorzubereiten? Auf diese und andere Fragen rund um das Thema Prüfungen weiß Hans Werner Rückert, der Leiter der Studienberatung der Freien Universität, Antwort und Rat. Mit ihm sprach Tilmann Warnecke.
Prüfungen legen Studenten an der Uni ständig ab: Klausuren, mündliche Examen, Hausarbeiten. Sie sagen, dass die richtige Vorbereitung auf Prüfungen trotzdem ein Thema ist, das Studenten an Unis viel zu selten lernen. Warum?
Hans-Werner Rückert: Weil Prüfungsvorbereitung zu den Dingen gehört, die im Laufe der Hochschulentwicklung oft übersehen wurden. Die Einrichtung vieler Studiengänge und der Lehrinhalte, die dort unterrichtet werden, geht zurück auf Zeiten, in denen drei bis fünf Prozent eines Jahrgangs studierten. Bei denen ging man davon aus, dass sie die Fähigkeiten haben, um erfolgreich zu studieren: verbale Ausdrucksfähigkeit und mentale Stärke beispielsweise.
Und das bringen die Studenten heute nicht mehr mit ins Studium?
Auf dem Weg zur Massenuni ist übersehen worden, dass nicht alle Studierenden die Voraussetzungen haben, um selbständig erfolgreich zu studieren. Wir haben nun mehr als dreißig Prozent eines Jahrgangs an den Hochschulen. Und wir haben eine mächtige Stofffülle. Das Hochschulpersonal begreift sich immer noch vor allem als Experten für inhaltliche Lernstoffe, aber nicht für den Prozess des Lernens und der sozialen Kommunikation.
Wo liegen die hauptsächlichen Probleme?
Es gibt eine objektive Befundlage. Man hat Studenten und Professoren nach den Schwächen und Defiziten befragt. Was dabei herausgekommen ist, deckt sich. Die Studierenden sind sich darüber einig, dass sie Mängel in Englisch, Mathe und Deutsch haben und dass sie nicht wissenschaftlich arbeiten können. Auch wissen viele nicht, wie sie ihre Arbeitsprozesse organisieren können. Das sehen die Dozenten bei der Beurteilung ihrer Studenten ähnlich. Sie bemängeln starke Schwächen in der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit, im analytisch-abstrakten und kreativen Denken.
Umso erstaunlicher, dass nichts dagegen gemacht wird, wenn Studenten und Professoren sich über die Mängel einig sind ...
Wenn wir annehmen, dass die Defizite wirklich stimmen, ist das in vielerlei Hinsicht ein Skandal. Man muss sich erst einmal fragen: Was machen eigentlich die Schulen, wenn nach einer Studie 43 Prozent der Studenten bei Mathe, Englisch und Deutsch sagen, dass sie an der Uni da nicht mitkommen. Wir müssen mit der Fiktion aufhören, dass die Abiturienten automatisch studierfähig sind.
Wie hilft die Uni nach?
Das ist ein zweites Problem. In Mathematik gibt es Brückenkurse an der Uni. Die Germanisten aber geben mit Sicherheit keine Nachhilfekurse in Deutsch. Die sagen sich: Wir nehmen auch diese defizitären Leute, die sich zum Studium berufen fühlen, und die springen dann später wieder ab.
Das klingt nicht sehr ermutigend ...
Es spielt auch eine Rolle, dass wenige sich trauen, ihre Schwächen zuzugeben. Wir leben in einer Kultur, wo das Zugeben von Fehlern als eine Schande gilt. Deswegen bleibt das Thema latent, und dem Problem wird nicht nachgegangen.
Es würde also schon helfen, wenn jeder zugibt, dass er etwas nicht weiß?
Offenheit in den Seminaren wäre gut. Es ist keine Schande, Dinge nicht zu wissen. Wenn etwas nicht ankommt, ist es nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des Lernenden zu sagen: Sorry, ich verstehe hier nur Bahnhof. Dazu kann man immer nur aufrufen: Studenten, nehmt das Bürgerrecht auf kritisches Nachfragen wahr!
Abgesehen von den Grundkenntnissen gibt es noch andere Probleme?
Die Selbstorganisation der Studenten ist der zweite große Bereich, in dem es Probleme gibt. Die Fähigkeit, projektbezogen über einen längeren Zeitraum sich und seinen Lernstoff zu organisieren und dann seine Resultate abzuliefern, wird an deutschen Schulen nur in Ausnahmefällen gelehrt. Dabei ist dies das A und O an der Uni, vor allem wenn man drei Magisterstudiengänge belegt. Das ist das erste, was Studenten zur Kenntnis nehmen müssen. Niemand drückt einem den Stundenplan in die Hand und kontrolliert, ob gelernt wird. Hier kann die Uni eine ganze Menge tun, wenn sie entsprechende Veranstaltungen anbietet, wie es an der FU schon oft geschieht.
Oft rätseln Studenten, ob ihre Texte nun wissenschaftlichen Ansprüchen genügen oder nicht. Fehlt es da nicht auch an Unterstützung durch die Dozenten?
Allerdings. Kaum ein Student bekommt jemals mit, wie ein Professor einen Aufsatz schreibt und wie der entsteht. Werfen die Sätze aus einem Guss aufs Papier, oder dauert alles viel länger? Das wissen Studenten oft gar nicht. Im Grunde genommen müsste jeder Student in einer Forschungsgruppe mitarbeiten, um zu lernen, wie ein wissenschaftliches Werk entsteht. Wo eine solche Transparenz nicht gerne gesehen wird und der Professor sich als schöpferischer Titan darstellt, da ist es ein großes Problem für Studenten, sich sagen zu können: Mein Denken ist auch originell und kreativ. Viele Studenten können das und wissen es nur nicht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Foto: Hertel