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Vom Wohnen der Wissenschaften in den Räumen der FU

Prof. Hausmann lässt sich bei der Arbeit gern von Orgelmusik inspirieren.

Der Geist – vor allem der intellektuelle – braucht Raum, um sich zu entfalten. Das war zu Zeiten der alten Griechen nicht anders als heute zu Beginn der Wissensgesellschaft. Doch Raum ist relativ. Jeder Hund kann in Deutschland einen gesetzlich fixierten Mindestanspruch geltend machen. Nicht so der Wissenschaftler, respektive die Wissenschaftlerin. Die Ressource Raum ist in den Universitäten knapp. Und nicht jeder begnügt sich wie dereinst Diogenes freiwillig mit dem spartanischen Komfort einer Tonne. „Tonne oder Rostlaube“, werden da einige fragen, „welchen Unterschied macht das schon?“ Wer will dort gern leben und arbeiten, gar kreativ sein? Das Genie braucht ein angemessenes Ambiente. So ließ sich Wilhelm von Humboldt auf Schloss Tegel von einer Reihe gipserner Venusdamen inspirieren, die sich in jede gewünschte Richtung drehen ließen. Und Goethes elegischer Dichter brauchte ein auf das Feinste ausstaffiertes Schlafzimmer, um zu arbeiten – um „leise mit fingernder Hand“ auf dem Rücken der eingeschlafenen Liebsten seine Versmetren zu zählen. Welch ein Kontrast zu heute! Ist alle Hoffnung dahin? Die FU nur ein Ort realsozialistischer Tristesse? Weit gefehlt! Nicht nur im Verborgenen behauptet sich die Sehnsucht, der Umgebung eine persönliche Note zu verleihen. Schöner wohnen – das ergaben die exemplarischen Inspektionen der FU-Nachrichten – bedeutet auch besser arbeiten. Aber die Ansichten darüber, was schöner ist, gehen auch an der Freien Universität weit, weit auseinander.

Immer noch eines der schönsten FU-Gebäude - das Institut für Philosophie.

Wolfgang Röckes Schneekugelwelten lassen das Eis schnell schmelzen

Atmosphäre muss stimmen

„Wichtig ist vor allem, dass die Atmosphäre im Arbeitsraum stimmt“, meint Prof. Erika Fischer-Lichte, Dozentin für Theaterwissenschaft an der FU, „das ist wie beim Theater. Schon wenn man das Bühnenbild sieht, erfährt man viel über die Stimmung, die Situation, von der das Stück ausgeht.“ Die schlichte Eleganz ihres zweiteiligen Zimmers beherbergt eine ganz besondere Rarität: den überlegen grinsenden Gustav Gründgens in der Rolle des Wallenstein – als Kleiderständer und in Originalgröße.

Atmosphäre, die dichter nicht sein könnte, herrschte bis vor wenigen Monaten auch in der Poststelle des Präsidialamts in der Kaiserswerther Straße. Alpenpanoramen in Öl über Plüschsofas standen dort in hartem Kontrast zur funktionalen Nüchternheit von Stempelkissen und Frankiermaschinen. Damit ist Schluss, seit die Postmoderne Einzug auch in diesen Servicebereich gehalten hat. Ein paar Türen weiter spürt man sie aber noch, die FU-Gemütlichkeit der Vorwendezeit: Fast so alt wie die Universität selbst ist der immer noch funktionstüchtige Wasserkocher in der Vervielfältigungsstelle, der unter dem Puzzelfoto eines Hopi-Indianers leise vor sich hin röchelt. Der Hightech-Kopierer gegenüber stört dort fast die Idylle.

Es zeigt sich: Jede Einrichtung hat ihre Psychologie und viele Ausstattungsgegenstände ihre eigene Geschichte. Da ist zum Beispiel jene, die aus dem Präsidialamt der FU stammt: Da verbirgt einer seit Jahren die Batikbilder der Ehefrau hinter dem Schrank, anstatt sie selbstbewusst im Büro aufzuhängen. Warum? Ganz einfach: Er will nicht mit ihnen identifiziert werden. Denn, so expliziert Prof. Dr. Ernst-H. Hoff, Arbeitspsychologe an der FU, „wir bringen uns nicht nur als Berufsperson in die Arbeit ein, sondern stellen uns über Bilder und persönliche Dinge als eine ganzheitliche Person dar.“ „Aber was ist mit denen, die die persönlichen Dinge mitbringen, sie aber nicht zeigen?“, fragt sich der Laie und wundert sich.

Spartanisch, praktisch, gut: eine der zahlreichen "Nasszellen" in der Rostlaube.

Ordnung ist überkommener Anspruch

Ein Tipp: Auch Kitsch lässt sich in der nonverbalen Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen hervorragend zur Selbstinszenierung einsetzen. Kitsch muss nicht peinlich sein. Im Gegenteil! Man kann mit ihm auch Überraschungseffekte erreichen. Wie das geht, lernt man bei dem Referatsleiter Wolfgang Röcke, der in der zentralen Universitätsverwaltung für das Immatrikulationswesen zuständig ist. Auf seinem Schrank hat er eine Kollektion von kleinen Schneekugelwelten mit Weihnachtsmotiven aufgebaut, die er immer dann schüttelt, wenn das Eis zwischen ihm und den Besuchern – unter ihnen viele Studierende – schmelzen soll. Röcke lacht und zeigt auf einen Weihnachtsmann aus Plastik, der auf dem Kopf steht: „Auf diesen hier werde ich immer wieder angesprochen.“ Eine ähnliche Wirkung entfaltet das abstrakte Meditationsgemälde eines jungen Wilden aus den 60er Jahren. „Das Bild hat mir schon immer besonders gut gefallen, weil es so einen dynamischen Touch hat.“ Wild und eher unkonventionell sieht es auch sonst im Büro des charmanten Mittfünfzigers aus: Kaum Ordner, dafür Berge von Umlaufmappen in den Regalen, auf Tischen und Stühlen. Aber der erste Eindruck täuscht. Mit traumwandlerischer Sicherheit zieht der Verwaltungsmensch jeden Vorgang – und sei er noch so alt – aus den stark angegilbten, prähistorischen Stapeln hervor. „Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen“, ist sein Credo. Was sich wie eine dürftige Schutzbehauptung anhört, ist Ausdruck absoluter Souveränität. Niemand im Hause ist gelassener als Röcke. Und die Wissenschaft bestätigt ihn auch noch: Ordnung ist überkommener Anspruch. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen werden „persönliche Arbeitsstile“ gepflegt, „die nichts über Qualität oder Effizienz der Arbeit aussagen“, weiß der Arbeitspsychologe. Na bitte!

Prof. Erika Fischer-Lichte liebt ihren Gründgens.

Aber es geht auch anders: Bei Prof. Alfred Kuß am Institut für Marketing beispielsweise drängt sich der Gedanke auf, dass hier ökonomische Rationalität zum dominierenden Gestaltungsprinzip erhoben wurde: ein schräg in den Raum gebauter Arbeitstisch, Regale, eine Magnettafel für Anträge und Notizen, freie Wände, tadellose Ordnung. Zum Fragen bleibt wenig Zeit, ungefähr fünf Minuten. Und doch gibt es etwas ganz Persönliches zu entdecken: Kuß trinkt seinen Kaffee aus einer Tasse, auf der ein Scherenschnitt von Richard Wagner abgebildet ist. Er ist leidenschaftlicher Wagner-Fan.

Apropos Musik: Sie versetzt uns in Wallung, macht uns agil, bei Arbeit, Sport und Spiel, aber an deutschen Arbeits-plätzen – vor allem im öffentlichen Dienst – ist sie verpönt. Warum eigentlich? Längst ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kühe mehr Milch geben und Hühner mehr Eier legen, wenn sie angenehm beschallt werden. Warum sollte das – im übertragenen Sinne – nicht auch für den Menschen, ja auch für den homo academicus, gelten? Einer, der es wissen muss, hat daraus für sich selbst längst Konsequenzen gezogen: Wenn der Zoologe Prof. Klaus Hausmann über seinen hawaiischen Pantoffeltierchen brütet, lässt er sich von leiser Orgelmusik inspirieren. Und davon hat er eine ganz Menge: Das CD-Regal nimmt in seinem Büro fast eine ganze Wand ein. Da bleibt neben dem Standardmobiliar wenig Platz für Fachspezifisches. Ein altes Mikroskop und das erbärmliche Skelett einer Hauskatze gehören dazu. „Die steht nur da, weil sie in den Müll sollte,“ erklärt Hausmann fast entschuldigend und präsentiert eilig ein unscheinbares, aber für ihn sehr wichtiges Erinnerungsstück: das mehrere Kilo schwere Drahtseilende von einer Tiefsee-Expedition.

Wolfgang Röcke findet jeden Vorgang mit traumwandlerischer Sicherheit wieder.

Mann gibt sich skurril

Sich wohlfühlen, wirken, kommunizieren, inspiriert werden, sich erinnern: Was erklärt noch zusätzlich unsere Lust am eigenen Interieur? Fest steht für Hoff: „Je weniger Beruf und Interessen zusammenfallen, umso wichtiger wird die Repräsentation durch persönliche Dinge. Sie funktionieren als so genannte Identitätsaufhänger, drücken Meinungen und Einstellungen aus.“ Ursula Schinke, Sekretärin im Institut für Theaterwissenschaft, kann dies bestätigen: An ihrer Tür hängt ein Plakat, auf dem in Reih und Glied eine Gänsekarawane daherwatschelt: „So sieht das aus, wenn hier Sprechstunde ist“, bemerkt sie trocken.

Ungewöhnlich ist dagegen der Humor, den die katholischen Theologen/innen in der Schwedenerstraße 31 zur Schau stellen. Wirklich harmlos sind hier nur die Zierpflanzen, die Kruzifixe und natürlich Monika Daumenlang, die gute Seele und Sekretärin des Hauses. Ansonsten gibt Mann sich hier eher skurril. „Muss auch dieses süße Pitbullbaby sterben?“, klagt eine Titelseite der BZ an, das von fremder Hand an den Schrank von Monika Daumenlang geklebt wurde. Gleich daneben erfahren wir: „1762 Berliner von Hunden gebissen“. Die Bildzeitung hingegen wirbt einen Schrank weiter mit: „Abnehmen: Von 130 auf 65 Kilo. So geht’s!“ Und auf der Kühl-Gefrierkombination gleich neben der Eingangstür prangt die schockierende Mitteilung: „Reh in Berliner Bank-Filiale: Erschossen!“ Welche Phobien mögen hier grassieren?
Wer das Zimmer nebenan betritt, bekommt eine Ahnung davon. Sein Inhaber, Prof. Rainer Kampling, liebt vordergründig die Kuscheligkeit deutscher Wohnzimmer. Wir stehen in einem Raum, in dem es alles gibt, was der Mensch zu seinem Glück braucht: gemütliche Sofas, Sessel, Thermoskannen, Kekse, Obst, einen Kasten mit Weinflaschen – selbstverständlich ein Werbegeschenk –, ansonsten Aschenbecher und Hausheiligtümer. Was aber ist ein Hausheiligtum? Kampling meint damit den blauen Holzelefanten, hinter dem eine Kerze hervorragt. „Ein Heiligtum ist ein Ort in unserem Haus, unserer Wohnung, wo Gott uns im Alltag des Lebens nahe ist“, steht auf einer daran lehnenden Marketing-Broschüre für den rechten Glauben. Zu diesen Heiligtümern zählt im Übrigen ein vergoldeter barocker Bilderrahmen. Der veredelt aber nicht etwa das typische Heiligenbild, sondern ein unscheinbares Feuerzeug, das in einer Gefriertüte an die Wand genagelt ist. Das gute Stück hat der Kardinal vor einigen Jahren hier vergessen...

Prof. Rainer Kampling ist für seinen ungewöhnlichen Humor inzwischen
berühmt-berüchtigt.

Im Vergleich zu Kamplings „sprechender“ Wohnlandschaft wirkt das skandinavische Interieur seines Kollegen Prof. Michael Bongardt eine Etage höher fast schon protestantisch-stumm. Seit er vor knapp einem Jahr einzog, steht hier nur die „Effektivschreibtisch-Kombination“ einer schwedischen Möbelhauskette und die dazu passende Schrankwand. Nein, halt! Aus dem Schrank springt einem die BZ-Schlagzeile vom Januar 2001 „Papst verschiebt Ostern“ entgegen. Haben hier etwa alle Theologen den selben Humor? „Das ist ein Geschenk von Herrn Kampling“, beruhigt Monika Daumenlang. Man sieht: Die Welt ist voller Wunder – an der Freien Universität und auch anderenorts. Man muss sie nur erkennen.

In der Katholischen Theologie der FU hat der Geist seinen räumlichen Ausdruck gefunden, ebenso wie in der Zoologie, den Wirtschaftswissenschaften, der Theaterwissenschaft, der zentralen Universitätsverwaltung und selbst in der Poststelle. Uniformität hat in der FU keine Chance! Das Individuelle setzt sich durch – und das ist auch gut so...

Irmelin Ehrig

Die FU in Quadrat- und Kubikmetern

Zu beheizende Gesamtnutzfläche: 300.000 qm
Zu beheizendes Raumvolumen: ca. 1 Mio. Kubikmeter

Anzahl

Gesamtfläche

Büroräume:
4.495
86.534 m2
Seminarräume:
380
23.126 m2
Hörsäle:
26
6.907 m2
Labore:
1.373
38.252 m2
Flure:

1.890
62,024 m2
Archivräume:

172
4.738 m2
Sanitärbereiche:
1.516
11.267 m2
Abstellkammern:

546
8.144 m2
Lebensmittelkühlräume:
24
576 m2
Lebensmitteltiefkühlräume:
7
538 m2
Leichenkühlräume:
8
249 m2

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