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[Interview mit Prof. Dr. Gisela Klann-Delius, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin]

Es ist früh am Morgen. Vorsichtig blinzelt die April-Sonne in den Seminarraum an der Dahlemer Arnimallee – Terrain der Mathematiker. Es sind noch Semesterferien und die Studierenden, denen in Raum 032 die Köpfe rauchen, haben ihr Studium eigentlich noch gar nicht begonnen. Sie sitzen in einem Brückenkurs, der ihnen beim Einstieg helfen soll. Manche haben erst vor kurzem die Schule abgeschlossen, sind 18 oder 19 und fest entschlossen, nicht bereits in den ersten Stunden ihres Studiums den Anschluss zu verlieren. Vorne an der Tafel gestikuliert der Dozent im Laufschritt, schreibt Formeln an die Tafel, zeichnet Skizzen und erzählt kleine Anekdoten aus der Geschichte der Mathematik und seiner eigenen Erfahrung mit dieser Wissenschaft. Und das ist eine lange Liebesgeschichte, denn Professor Dr. Dr. h.c. Hanfried Lenz ist bereits seit 17 Jahren emeritiert und feiert Mitte Mai seinen 85. Geburtstag. Für ihn jedoch kein Grund die Mathematik den Jüngeren zu überlassen. Wer sieht, wie lebendig der gebürtige Bayer mit den Studierenden im Seminar kommuniziert und auch gelegentlich unorthodox vom Skript abweicht, merkt, dass dafür auch kein Anlass besteht. Manch ein Dozent, der ein halbes Jahrhundert weniger auf dem Buckel hat, könnte sich von seiner Agilität eine Scheibe abschneiden. Nach dem Grund für seine geistige Vitalität gefragt, hat er eine einfache Antwort: „Hab‘ halt Schwein gehabt.“ Auch die Studierenden staunen über Lenz, der ja eigentlich ihr Urgroßvater sein könnte. „Er ist wirklich unglaublich fit“, sagt einer. Ein anderer staunt, als er hört wie alt der rüstige Professor ist, meint aber auch, dass man manchmal verdammt aufpassen muss bei ihm: „Bei den Variablen sagt er „a“, schreibt „b“ und meint „c“.“ Doch Schusseligkeit muss bei einem Mathematiker ja nicht am Alter liegen.

Kein Showmaster, aber mit eigenem Charme ausgestattet

Auch einer seiner Kollegen gibt zu, dass Lenz kein systematisch vorgehender Mensch ist, rühmt aber gleichzeitig den Mathematiker, dem in Bezug auf sein Fachwissen keiner an der FU das Wasser reichen könne. Eine seltene Spezies noch dazu, ein Original, wie es sie im heutigen Wissenschaftsbetrieb kaum noch gibt. Kein Showmaster, aber doch mit einem eigenen Charme ausgestattet, der bei den Studierenden ankommt.

Das war nicht immer so. Kurz nachdem Lenz 1969 an die FU kam, wurde er zu einem bevorzugten Hassobjekt der Studierenden, nicht zuletzt, weil er in dieser stürmischen Zeit das Amt des Fachbereichratsvorsitzenden – sprich des Dekans – übernahm. Lenz schildert noch heute sehr lebendig die Situationen, in denen er sich fast mit den Studierenden geprügelt hätte, als sie ihm einmal den Weg aus einer Sitzung versperrten. Zu Handgreiflichkeiten ist es nie gekommen: „Ich hätte dann wohl auch den Kürzeren gezogen“, räumt Lenz ein. Man traut es diesem distinguierten älteren Herrn mit den flinken Augen kaum zu, den rabiaten Weg überhaupt in Erwägung gezogen zu haben. „Streitbar, aber immer Humanist“, sagt auch sein Kollege Professor Martin Aigner, der Lenz seit 27 Jahren kennt. „Obwohl er ein Bayer ist, hat er ein enorm hohes Maß an dem, was man preußische Disziplin nennt.“ Bis heute hat Aigner nicht vergessen, wie weit diese Pflichterfüllung gehen konnte: In Zeiten, als Gruppen von Studierenden „AnoL“ – Analysis ohne Lenz – forderten, wurde ein Lenz-Seminar mithilfe einer Stinkbombe gesprengt. Doch Lenz ging nicht etwa nach Hause, wie es jeder andere getan hätte. Stattdessen begab er sich in sein Büro, um noch bis zum Abend über seinen Unterlagen zu brüten. Lenz blieb, doch der Rest des Instituts machte sich auf und davon: Unerträglich war der Gestank nach faulen Eiern, der aus seinem Büro quoll.

Der „rote Hanfried” wird stockkonservativ

Dabei hatte alles anders begonnen, denn als Lenz von der Universität München kam, hieß er noch „der rote Hanfried“ und galt bei den Studierenden als progressiv. Doch der Hass, der ihm entgegenschlug als er sich weigerte die hohen akademischen Standards preiszugeben, bewirkte ein Umdenken. „Bei mir haben die revoltierenden Studierenden mit ihrer Gewalt nichts erreicht, außer dass sie mich von einem fortschrittlichen zu einem stockkonservativen Mann gemacht haben.“ Lenz differenziert genau nach Zielen und Mitteln der Studentenbewegung der 60er und 70er Jahre: Bis heute achtet er die Reformanstöße, die von dem Protest ausgingen, die Gewalt der Revolte war ihm immer verhasst. Er bezeichnet seine Position als die eines „Staatsbürgers“: Ein Staatsbürger, der kein Blatt vor den Mund nimmt: Regelmäßig meldete sich Lenz mit Leserbriefen zu allen möglichen Themen in der Süddeutschen Zeitung, dem Tagesspiegel und auch dem alten „FU-Info“ zu Wort. Ein politisches Amt strebte Lenz dennoch nie an und hat dafür auch eine ganz klare, wenn auch verblüffende Erklärung: „Wissen Sie, in meiner Jugend war ich ein Nazi. Und ich glaube, dass es sich für einen solchen nicht gehört, ein politisches Amt zu übernehmen.“ Wohlgemerkt: Lenz ließ sich nie etwas zu Schulden kommen, doch er hat es sich bis heute nicht verziehen, in seinen jungen Jahren einer Ideologie verfallen zu sein, die seinen humanistischen Grundsätzen so zuwiderlief. „Seine Jugend ist für Lenz fast ein philosophisches Problem und verfolgt ihn wie eine Rachegöttin“, sagt Aigner, der auch berichten kann, wie der politisch handelnde Staatsbürger Lenz mit dem Menschen Lenz in Konflikt kam: Das Menschliche behielt die Oberhand, als in den siebziger Jahren die rechtskonservative „Notgemeinschaft für eine Freie Universität“ – deren Mitglied Lenz war – schwarze Listen von aufrührerischen Studierenden an den Staatsschutz und die Wirtschaft schickte, und eine betroffene Studentin einen Prozess gegen diese Diffamierungskampagne anstrengen wollte. Am Fachbereich wurde für die Prozesskosten Geld gesammelt: Niemand gab soviel wie das Notgemeinschaftsmitglied Lenz – ganz symptomatisch für den Vater von vier Kindern und Opa von fünf Enkeln: Unrecht kann er nicht verkraften.

Die Jahre der Fachbereichsleitung bedeuteten praktisch Abstinenz von der Forschung. Zuvor hatte er sich durch seine Klassifikation projektiver Ebenen einen festen Platz in der Geschichte der Geometrie gesichert. Nach diesen Jahren erschloss sich Lenz ein völlig neues Gebiet der Mathematik für seine Forschung und konzentrierte sich auf kombinatorische Probleme: Vieles findet sich in dem Standardwerk „Design-Theory“, das er zusammen mit einem seiner Doktoranden und einem weiteren Koautor herausgegeben hat. Gerade vor zwei Jahren ist das Werk in einer überarbeiteten Auflage wieder erschienen - Lenz hat noch einmal kräftig mitgearbeitet. Ansonsten beschränkt er sich inzwischen auf die Lehre: „Mit der Forschung, das geht nicht mehr so“.

Weiterwurschteln!

Auf die Frage was seine weiteren Pläne wären, gibt Lenz eine kurze wie präzise Antwort: „Weiterwurschteln!“ Vorlesungen und Seminare solange es geht. Er hat nicht umsonst 1981 dafür gestritten noch einmal für drei Jahre weitermachen zu dürfen. Man ließ ihn – und seitdem auch alle anderen C4-Professoren – bis 68 weitermachen. Die Mathematik ist halt sein Leben.

Zum Abschied fragt er: „Soll ich Ihnen meine E-Mail-Adresse aufschreiben?“ Ich wundere mich nicht mehr, als diese dann mit einer zehnstelligen Zahl beginnt, die Lenz natürlich aus dem Kopf aufschreiben kann. Aber er weiß ja auch noch die siebzehnte Stelle hinter dem Komma der Eulerschen Zahl. Wofür er die E-Mail Adresse braucht? Er spielt intensiv mit seinem Sohn, einem Professor in Tokio, Fern-Go. Ein Strategiespiel, gegen das Schach ein wenig simpel wirkt. Sein Sohn sei allerdings besser, so dass dieser ihm immer einige Steine vorgeben müsse. Aber der ist ja auch jünger – und war mehrfacher bayrischer Meister im Go: Letzteres sagt er nicht. Es liegt vielleicht wirklich nur am Alter, dass er inzwischen ein paar Steine Vorgabe braucht.

Niclas Dewitz

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