[Freie Universität Berlin] [FU-Nachrichten - Zeitung der Freien Universität Berlin]
 
  
TitelAktuellInnenansichtenLeuteWissenschaftStudierendeDie Letzte
FU Nachrichten HomeFU-Nachrichten ArchivFU Nachrichten SucheLeserbrief an die RedaktionImpressumHomepage der FU Pressestelle
Vorheriger Artikel...
Nächster Artikel...

[Interview mit Prof. Dr. Gisela Klann-Delius, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin]

Wien ist nicht nur durch die Sachertorte bekannt, die Lipizzaner und die Sängerknaben, sondern auch als eine Stadt weltberühmter Museen und Bibliotheken. Für den Botaniker ist die Österreichische Nationalbibliothek von besonderem Interesse, denn sie beherbergt einen märchenhaften Bestand an Schrift- und Bildmaterial über Pflanzen aus vielen Jahrhunderten. Hundert der spektakulärsten Objekte werden in der Ausstellung ‘Ein Garten Eden’ vom 15. Mai bis 31. Oktober 2001 im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek zu sehen sein, darunter vieles, was bisher nie und nirgendwo gezeigt wurde. Dazu erschien ein reich illustrierter Begleitband (siehe Kasten), der gleichsam Unmögliches möglich macht, nämlich in den ausgestellten Meisterwerken der botanischen Illustration zu blättern.

Für den Reichtum dieser Sammlung gerade an botanischen Objekten sind drei Gründe maßgebend: (1) Die kaiserliche Hofbibliothek, aus der die Österreichische Nationalbibliothek hervorging, diente unter anderem als Bibliothek der kaiserlichen Leibärzte und Hofapotheker. Da Pharmazie und Botanik gemeinsame Wurzeln besitzen und lange Zeit der überwiegende Anteil des Arzneimittelschatzes pflanzlichen Ursprungs war, erwarb man auch botanische Literatur. (2) Die weit gespannten politischen Interessen der Habsburger und die zentrale Position Wiens in Mitteleuropa spiegeln sich in einer ebenso weit gespannten Erwerbungstätigkeit wider, die erst im späten

19. Jahrhundert nachlässt. Dem Repräsentationsbedürfnis des Kaiserhauses entspricht die Erwerbung botanischer Prachtwerke aus aller Welt. (3) Franz I., Kaiser von Österreich, und sein Sohn Ferdinand I. besaßen ausgeprägte gärtnerisch-botanische Interessen. Ohne Kosten zu scheuen, ließen sie die teuersten Bücher kaufen und beschäftigen jahrzehntelang Kammermaler, welche die luxuriöse Pracht ihrer Gärten in naturgetreuen Deckfarbenmalereien festhielten. Geboten wird ein Querschnitt durch die Zeit, den Raum, die Themen und die Techniken. Die Ausstellung beginnt mit dem Codex Aniciae Julianae, vor 512 in Byzanz auf Pergament gemalt. Es ist die berühmteste byzantinische Handschrift weltlichen Inhalts, aus gutem Grund eingetragen in die Memory of the World – Liste der UNESCO. Die Ausstellung endet mit einer Neuerscheinung des Jahres 2000. Ausgewählt wurden Werke aus allen Teilen der Welt – hergestellt in China ebenso wie in England, in Indien ebenso wie in Frankreich und Deutschland. Der thematische Bogen spannt sich von Kräuterbüchern, Floren, Monographien bis hin zu Plakaten und Ex Libris, von den Blütenpflanzen über die Moose und Flechten bis zu den Algen. Auch der Graphik-Fan kommt auf seine Kosten – Zeichnungen, Aquarelle, Holzschnitte, Kupferstiche, Lithographien, Radierungen, Naturselbstdrucke finden sich ebenso wie Serigraphien und Rotationsdrucke. Der Schwerpunkt der Ausstellung ‘Ein Garten Eden’ liegt dabei eindeutig auf der botanischen Abbildung, also der naturgetreuen Darstellung von Pflanzen, weniger auf dem Text. Auch wenn viele Objekte selten und die Handschriften selbstverständlich Unikate sind, versteht sich die Ausstellung nie als Raritätenschau, sondern als bebilderte Schatzkammer botanischen Wissens.

Für mehrere Objekte ist kein Wort zu groß. Der Codex Fuchs, zwischen 1538 und 1566 in Tübingen entstanden und die bedeutendste Renaissance-Handschrift ihrer Art, enthält die erste Abbildung einer blühenden und fruchtenden Mais-Pflanze – Kolumbus hatte bereits von seiner ersten Reise lebendes Material von den Karibischen Inseln nach Spanien mitgebracht. Mattiolis Commentarii aus dem Jahre 1565 enthalten die erste gedruckte Abbildung eines Strauches, der uns ganz alltäglich erscheint – des Flieders. Er ist aber in seiner natürlichen Verbreitung auf das Gebiet des heutigen Staates Bulgarien beschränkt und wurde erst um 1560 über Wien und Venedig nach Mitteleuropa gebracht. Kaempfers Amoenitatum aus dem Jahre 1712 enthalten die erste gedruckte Abbildung eines weit verbreiteten Parkbaums – des Ginkgo, der vom Autor zwar erstmals in Japan gezeichnet wurde, ursprünglich aber aus China stammt, wo er in schwer zugänglichen Bergwäldern wächst.

Nicht nur die Novitäten – wie ein kolorierter Kupferstich der damals der Wissenschaft noch unbekannten Bromelia chrysantha aus Südamerika (Abb. 1) – faszinieren, es ist auch der Rausch der Farben und Formen, welche den Besucher ansprechen. Die brasilianische Landschaft mit Palmen (Abb. 2) macht mit dem Lebensraum der feuchten Tropenwälder vertraut, und der Anemonen-Strauß (Abb. 3), eine Deckfarbenmalerei auf Pergament, mit dem Luxus der Gartenkunst zur Zeit von Ludwig XIV., König von Frankreich.

Bei aller wissenschaftlichen Durchdringung des Themas botanische Illustration bleibt aber das Staunen über die schöpferische Kraft des Menschen, selbst so vergängliche Objekte wie lebende Pflanzen dauerhaft im Bild festzuhalten. Eine wahrscheinlich auf Jahrzehnte einmalige Darstellung dieses Themas ist derzeit zu bewundern – in Wien.

Prof. Dr. Hans-Walter Lack

Direktor am Botanischen Garten und

Botanischen Museum Berlin-Dahlem

    Zum Anfang des Artikels...