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Von Irene Portnoi
Herauf oder herunter? Im Studium wissen viele nicht, wohin der Weg führt und wie man zum Ziel kommt
Foto: Portnoi
Wenn Peter morgens die Treppe zur U-Bahn herunterläuft, rast sein Herz wie wild. Im Kopf dröhnt es, der ganze Körper glüht. Die U-Bahn-Tür öffnet sich. In 20 Minuten hat er seine Jura-Vorlesung. Doch auch heute kann er nicht einsteigen. Die Hände schwitzen, die Beine sind schwer. Er glaubt, er könne jeden Augenblick hinfallen. Die Fahrt in die Uni ist für den Studenten eine tägliche Tortur. Die Bahn, die ihn fährt, die ihn führt... dahin, wo er nicht sein kann... nicht ist, wie er sein möchte... nicht diskutiert, wie er will
nicht schreibt, wie er kann
Ihm wird schwarz vor Augen. Er kehrt um. Es geht nicht.
"Nehmen Sie doch Platz", sagt Helga Knigge-Illner, rückt ihre Brille zurecht und sinkt in den kleinen Sessel gegenüber dem Fenster. Efeu schlängelt sich am Tischbein entlang. Das Fenster ist offen. Eine Minute herrscht Stille. Der Puls pocht.
"Was führt Sie zu mir? Wir haben 50 Minuten Zeit für dieses Gespräch."
Jährlich suchen etwa 800 Studierende der Freien Universität ein Viertel davon ist männlich Rat bei den Psychotherapeuten in der kleinen Villa auf dem Weg zur Rost- und Silberlaube. Dort ist die Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung angesiedelt seit Mitte der 70-er Jahre ein fester Bestandteil der FU. Mit gesammelten Kräften versuchen die zwei Vollzeit-Mitarbeiterinnen und eine Halbtags-Mitarbeiterin, den großen Andrang von Hilfesuchenden zu bewältigen. Bis zu vier Wochen muss manch einer auf seinen Beratungstermin warten. Bei akuten und besonders dringlichen Problemen wird aber auch einmal eine Ausnahme gemacht oder an den Krisendienst der Berater vom Studentenwerk verwiesen.
"Studierende haben oft ganz spezielle Probleme, die nicht in jeder psychologischen Praxis richtig verstanden und behandelt werden können. Jede Universität trägt auch ein gewisses Maß an Verantwortung auch für das seelische Wohlbefinden ihrer Studentinnen und Studenten", sagt Knigge-Illner.
Das Studium fällt in eine kritische Lebensphase, die von Stressfaktoren geprägt ist die verlängerte Adoleszenz. Hier gilt es, wichtige zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen, anspruchsvolle Aufgaben zu meistern und eine eigene Identität zu entwickeln. Laut Befragungen gaben 58% der Studierenden an, dass es ihnen während ihres Studiums vorübergehend psychisch sehr schlecht gegangen sei. 13% der Studierenden sehen sich aufgrund ihrer psychischen oder sozialen Probleme über längere Zeit nicht in der Lage, ohne fachkundige Beratung oder Betreuung mit ihren Belastungen fertig zu werden. "Da intellektuelles Arbeiten ein hohes Maß an Selbstorganisation erfordert, führen auch nur vorübergehend auftretende psychische Störungen im Studium fast zwangsläufig zu Leistungsstörungen und lösen Ängste und Depressionen aus", sagt Hans-Werner Rückert, Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung. Folgen solcher Störungen sind Studienabbrüche, Fachwechsel und die unerwünschte Verlängerung des Studiums. Besonders anfällig für solche Konflikte sind die sonst leistungsstarken Studierenden mit überhöhten Selbstansprüchen.
"Häufig sind es noch immer die Eltern, die das Studienfach bestimmen weniger durch autoritäre Vorschriften als vielmehr durch selbstverständlich erscheinenden Erwartungen und implizite Ansprüche Dann wird das Lernen zur Qual die Motivation lässt mit jedem Semester mehr nach, aber den wirklichen Absprung traut man sich nicht zu", sagt Knigge-Illner. "Sollte ich einen anderen Weg gehen oder am Ball bleiben? Was gibt es für mich für Alternativen? Ich werde es vielleicht bedauern, wenn ich abbreche
" Das sind die Gedanken vieler Ratsuchender, die sich mit Entscheidungsproblemen plagen.
Die meisten kommen in die Beratung wegen Leistungsstörungen oder weil sie mit ihrem Studienfach unzufrieden sind. Prüfungsangst ist der dritthäufigste Grund, die Psychologische Beratung aufzusuchen. "Aber es kommen auch Studierende, wenn sie Partnerschaftsprobleme haben, an allgemeinen Ängsten, Phobien und Depressionen leiden. Auch sie sind bei uns an der richtigen Adresse", sagt die Psychologin. "Allerdings müssen wir häufig auch an niedergelassene Psychotherapeuten außerhalb der Universität überweisen besonders dann, wenn langfristige Therapien erforderlich sind." In vielen Fällen reicht jedoch ein einziges Gespräch, das Klarheit verschafft und eine Orientierung gibt. Bei hartnäckigeren Problemen werden zwei bis sechs Termine in Anspruch genommen oder eine Kurztherapie durchgeführt.
Neben den Einzelberatungen sind die Gruppenangebote der Psychologischen Beratung bei den Studierenden sehr beliebt. In den meisten Vorlesungsverzeichnissen der Fachbereiche ist das Seminarprogramm der Psychologischen Beratung abgedruckt. Dort finden sich Themen, die alle Studierenden ansprechen Vorbereitung auf das mündliche Examen, Prüfungsangst bewältigen, Systematisch Studieren, Wissenschaft-liches Schreiben, Rhetorikübungen sowie Bewerbungstraining. Die Nachfrage für diese präventiven Kurse ist drei- bis viermal so groß wie das Angebot.
"An Krisen wächst man", sagt Knigge-Illner. "Wichtig ist dabei nur, rechtzeitig einzugreifen und die Krise überhaupt als solche zu erkennen. Meistens können wir dabei gut helfen." |
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