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FU-Nachrichten 7-2000
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Schlechte Nachrichten

In den letzten Jahren hat die Revolution in der Informationstechnologie Innovationen hervorgebracht, die weitreichende Auswirkungen auf fast alle Lebensbereiche haben. Das betrifft die Arbeit – sowohl Umfang als auch den Arbeitsort – , das betrifft die Art der Informationsbeschaffung: Gibt es einen Kampf "alte" gegen "neue" Medien? Es betrifft aber auch das Privatleben: Mit wem wird wie häufig und wie lange auf welche Art und Weise kommuniziert?

Professor Dr. Lutz Erbring vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft befragte im Dezember 1999/Januar 2000 zusammen mit Prof. Norman Nie, Stanford University, über 2000 Internetnutzer in den USA zu der Art und Weise, wie sie das neue Medium nutzen. Im Mai/Juni 2000 machte er zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa in leicht modifizierter Form eine Parallelerhebung in Deutschland. Hier wurden insgesamt 1.227 Personen befragt. Die FU-Nachrichten sprachen mit Lutz Erbring nicht über die Einsamkeit des Surfers im Cyberspace, sondern über Methoden, über das Presseecho und überraschende Ergebnisse – natürlich online.

FU-N: Sie haben bei Ihrer Studie im Dezember 99/Januar 2000 in den USA ein völlig neues Verfahren eingeführt, indem Sie den Teilnehmern der Befragung eine WebTV Settop Box mit freiem Internetzugang und E-Mail-Accounts ins Haus stellten. Bei der deutschen Parallelerhebung wurde mit einem anderen, "normalen" Verfahren gearbeitet. Wie hat man sich die Verfahren vorzustellen, hat das Auswirkungen auf die Ergebnisse?

Erbring: Für unsere Untersuchung in den USA wurde erstmals ein von unserem Kooperationspartner interSurvey entwickeltes neues Verfahren verwendet, mit dem Umfragedaten statt per Telefon oder persönlichem Interview direkt über das Internet erhoben werden – und zwar bei Internet-Nutzern wie Nicht-Internet-Nutzern gleichermaßen. ALLEN Panel-Haushalten (den Schon-Nutzern ebenso wie den Noch-Nicht-Nutzern) wurde zum Zweck der regelmäßigen Datenerhebung ein Web-TV Internetzugang (einschließlich E-Mail Account) für ein bis drei Jahre kostenlos ins Haus gestellt. Fragen zu den Folgen der Internet-Nutzung wurden natürlich nur für die Teilgruppe der Schon-Nutzer ausgewertet (in USA im Dezember 1999 ca. 55% der Befragten).
Unsere deutsche Parallel-Untersuchung stützte sich dagegen auf ein Forsa Online-Panel, das durch die Internet-Haushalte aus laufenden Forsa-Telefonstichproben gebildet wurde. Insofern entspricht es der in der Stanford-Studie untersuchten Teilgruppe der Schon-Internet-Haushalte. Abgesehen von der unterschiedlichen Technik der Datenerhebung sind die Befunde daher ohne weiteres vergleichbar: Beides sind repräsentative Zufalls-Stichproben (im Gegensatz zu den oft aus Internet-Nutzern durch Selbstrekrutierung gewonnenen sogenannten "online panels"). Allerdings entspricht die demografische Zusammensetzung der deutschen Stichprobe aufgrund der hier zu Lande (noch) geringeren Internet-Verbreitung eher der Gruppe der amerikanischen Internet-Nutzer von vor zwei Jahren.

FU-N: Nach wie vor ist die Internetzugangsrate in den USA deutlich höher als hier zu Lande. Wie erklären Sie sich das überraschende Umfrageergebnis, dass die Deutschen den Amerikanern in fast allen Bereichen des E-Commerce weit voraus sind?

Erbring: Das hängt vermutlich mit genau diesem Unterschied in der Verbreitung zusammen. Denn während das Internet in den USA inzwischen auf dem Weg zum Massenphänomen ist (dort sind Ortsgespräche kostenlos!), ist es bei uns vielfach noch ein Pionierphänomen – mit dem dafür typischen überdurchschnittlichen Anteil an höheren Bildungsabschlüssen, Berufs- und Einkommenskategorien (und Männern). Von diesen "Pionieren" ist zu erwarten, dass sie sich in höherem Maße der entsprechenden Internet-Angebote aus dem E-Commerce-Bereich (Shopping, Aktien, Banking etc.) bedienen. Beim Online-Banking kommt hinzu, dass dies in Deutschland lange Zeit ein besonderes Monopolangebot der Telekom war (erst bei BTX und dann bei T-Online, nicht aber übers Internet), und dass T-Online immer noch mit Abstand der größte Internet-Provider ist.

FU-N: Bei dem sowohl in den USA als auch hier in Deutschland lebhaften Presseecho auf die Studie fällt auf, dass die negativen Effekte der Internetnutzung wie Vereinsamung, Schlafmangel, Arbeitszunahme etc. bei der Berichterstattung im Vordergrund stehen. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man allerdings auch positive Effekte der Internetnutzung. So stellen Sie z.B. fest, dass diejenigen, die das Internet intensiv nutzen, insgesamt kontaktfreudiger und aktiver sind.

Erbring: Hier wie dort gilt zunächst einmal der (nicht zuletzt für Kommunikationswissenschaftler kaum überraschende) journalistische Grundsatz "good news is no news". Zu den "positiven" Effekten gehört u.a. wohl auch die Reduzierung der gerade in Deutschland (Ladenschlussgesetze!) eher stressvollen Ladenbesuche, die man dank Internet vermeiden kann – zumindest zum Zwecke von Produktinformationen oder Preisvergleichen, wenn nicht zum tatsächlichen Kauf. Vermeiden kann man auch die damit verbundenen "unnötigen" Verkehrsströme und Umweltbelastungen. Eventuell geht sogar der Landverbrauch für Verkaufsflächen langfristig zurück.

FU-N: Und wie kommt es, dass Internetnutzer kontaktfreudiger sind als andere Menschen – gefürchtet wird immer das Gegenteil?

Erbring: Die größere Kontaktfreudigkeit von Internet-Nutzern hängt vermutlich mit der allgemeinen – in den USA wie in Deutschland zutreffenden – Tatsache zusammen, dass sozial privilegierte Individuen meist auch stärker sozial vernetzt sind. Übrigens gilt in den USA ebenso wie in Deutschland: Sind die Leute erst mal im Netz, unterscheiden sie sich in ihrem Verhalten kaum noch nach sozio-demografischen Merkmalen; in dieser Hinsicht ist das Internet ein großer Rasenmäher.

FU-N: Ein großer Teil der Zeit, die dem Internet "geopfert" wird, geht zu Lasten des Fernsehkonsums. Beim Zeitunglesen ist das anders: Wie lässt sich das erklären?

Erbring: Wie wir aus unserer amerikanischen Studie wissen, sind die Gründe für die Verringerung der Zeit bei Fernsehen und Zeitunglesen in der Tat etwas unterschiedlich. Beim Fernsehen handelt es sich im Wesentlichen um einen unmittelbaren Verdrängungseffekt: Man kann eben nicht gleichzeitig websurfen und fernsehen – auch wenn 21% der deutschen Befragten, vor allem der unter 30-Jährigen, das Gegenteil behaupten (vermutlich zur Überbrückung von Wartezeiten – Stichwort "world wide wait"). Beim Zeitunglesen dagegen handelt es sich eher um die allmähliche Verlagerung eines Teils der Lektüre von der Papierform auf die Web-Angebote der Tageszeitungen.

FU-N: Wie häufig, wie lange jeweils und wozu nutzen Sie selbst das Internet?

Erbring: Ich selber nutze das Internet täglich, sowohl im Institut als auch zu Hause, insgesamt vielleicht zwei Stunden pro Tag – natürlich für E-Mail (oft auch mit Dateien als attachment), für Informationen und Datenquellen aller Art, Nachrichten- und Agenturmeldungen, dazu eine bunte Palette aus – jeweils nur gelegentlichen – ad-hoc-Suchen oder web-site-Besuchen (mit oder ohne surfing).

FU-N: Was ist gut am Internet?

Erbring: Die unbegrenzten Informationsressourcen

FU-N: Was ist schlecht am Internet?

Erbring: Die totale Unübersichtlichkeit (und zurzeit noch unzureichende Bandbreite).

FU-N: Wie wichtig ist das Internet für die Universität?

Erbring: Absolut unverzichtbar – für die Institution und für alle in ihr Tätigen – und Absolventen!

Interview: Susanne Weiss

 
 
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