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FU-Nachrichten 6-2000
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Von Anke Ziemer

Wichtige Voraussetzung für ein anerkanntes Schulprofil ist die Einbeziehung aller Beteiligten
Foto: Shell

In Berlin herrscht Bildungsnotstand, doch Politikerschelte allein trifft den Kern des Übels nicht. Im Gegenteil, viele Probleme sind hausgemacht: Obwohl die Akteure in der Schule mehr Optionen denn je zur eigenständigen Profilentwicklung besitzen, nutzen sie diese bisher kaum.

Die Vorwürfe sind bekannt: Anstatt zeitgemäße und fundierte Bildung zu vermitteln, auf eine multikulturelle und weltweit vernetzte Gesellschaft vorzubereiten, schneiden Berliner Schulen in Leistungsvergleichen mittelmäßig ab, fallen Lehrer immer häufiger aus und herrscht im Klassenzimmer oft ein rüder Umgangston. Pädagogen, Eltern, Schüler, Politiker und Wissenschaftler sind sich daher einig: Schulqualität muss verbessert werden. – Doch welche Handlungsspielräume haben sie unter den geltenden rechtlichen und finanzpolitischen Voraussetzungen?

Hinweise liefert Birgit Achterberg in ihrer kürzlich vorgelegten Studie "Schule in erweiterter Verantwortung". Mittels quantitativer Erhebung untersucht sie die administrative und pädagogische Praxis in den Bereichen Profilbildung, Organisationsstruktur und interne Evaluation. Hat die Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport in ihrem gleichnamigen Modellprojekt lediglich Schulleiter und Lehrer befragt, so kommen hier erstmals auch Eltern und Schüler zu Wort.

Die 2371 vorliegenden Fragebögen aus insgesamt 184 Ost- und West-Berliner Grund- und Oberschulen bestätigen, dass Schulprofile oft als bloße Reaktion auf externe Bedingungen entstehen (z.B. Einzugsgebiet, Zusammensetzung des Kollegiums). Grundschulen in sozialen Brennpunkten sind fast ausschließlich sozialpädagogisch ausgerichtet. Schulen mit "unprägnantem" Umfeld reihen hingegen meist mehrere Schwerpunkte ohne Konzept aneinander. Zum musisch-künstlerischen oder mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt wählen sie z.B. Umwelterziehung oder die Integration behinderter und nicht behinderter Kinder. Von den Beteiligten wird Schule (in Schwerpunktbildung und pädagogischen Leitideen) grundsätzlich verschieden wahrgenommen und zugleich mit divergierenden Wünschen konfrontiert. Unterschiede existieren nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der einzelnen Schulformen (Grund-, Real-, Gesamtschulen, Gymnasien) und der jeweiligen Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft. Am deutlichsten differieren sowohl Wahrnehmung als auch Erwartung in den Punkten "Wissensvermittlung auf hohem Niveau" (versus "Vermittlung von Basiswissen") und "Gestaltung der Schule als Lebensraum". In dem Einzelschulprofil einer Grundschule wird deutlich, dass immerhin die Mehrheit der Befragten (Lehrer und Eltern) das erklärte Profil ihrer Schule wahrnimmt – Vermittlung von Basiswissen verbunden mit Gestaltung der Schule als Lebensraum. Zwei Drittel der Lehrer und ein Drittel der Eltern möchten diese Ausrichtung beibehalten, ein Drittel der Lehrer und zwei Drittel der Eltern hingegen wünscht sich Wissensvermittlung auf hohem Niveau. In einem Beispiel-Gymnasium erkennen Schüler, Lehrer und Eltern überwiegend die Wissensvermittlung auf hohem Niveau. Während Eltern und Schüler diese Zielrichtung mehrheitlich nicht aufgeben möchten, würden viele Lehrer eher die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler fördern, verbunden mit der Gestaltung der Schule als Lebensraum.

Die Hauptursache dieser Differenzen sieht Achterberg in der mangelnden Kommunikation und Kooperation zwischen den Akteuren. Ihrer Einschätzung nach ist unter allen Beteiligten das Bestreben, "aus einem Diskurs heraus eigenständig Programme zu entwickeln, noch weitgehend defizitär".

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In dieser Schule wird die Kooperation etwas besser eingeschätzt als im Durchschnitt der Vergleichsgruppe, insbesondere der Schulleiter nimmt die Kooperation im Kollegium positiver wahr.
Die "schulinterne Transparenz” beinhaltet Aspekte wie klare Absprachen und Verantwortungsbereiche, sowie die Einbeziehung aller Lehrkräfte in Problemlösungen. Auch hier gibt der Schulleiter eine höhere Einschätzung ab. Insgesamt entspricht die Einschätzung nahezu der Vergleichsgruppe.
Die Lehrer-Eltern-Beziehung wird in dieser Schule etwas besser eingeschätzt als im Durchschnitt. Allerdings schätzen die Lehrer die Beziehung deutlich besser ein als die Eltern. Die Eltern-Beteiligung und die Mitarbeit der Eltern wird durch die Elternvertreter deutlich höher eingeschätzt. Die Einschätzung der Zusammenarbeit ist einheitlich und wird auch in etwa durchschnittlich eingeschätzt.


Am Problembewusstsein fehlt es indes nicht. Die Mehrzahl der Schulleiter, Lehrer, Eltern und Schüler urteilt übereinstimmend: Die wichtigsten Voraussetzungen für ein anerkanntes Schulprofil sind die engagierte Kooperation und der Konsens im Kollegium über die pädagogische Ausrichtung, die Einbeziehung aller Beteiligten sowie die selbständige Personalauswahl. Lediglich 7 % halten die Finanzen, nur 2 % jüngere Lehrer für entscheidend.

Der nötige Diskurs über pädagogische Ziele verlangt effektive, sachbezogene Kommunikationsstrukturen zwischen allen Akteuren. Die Realität sieht jedoch anders aus: Konferenzthema Nummer Eins ist die Organisation des Schulalltags; Fragen der Profilbildung werden dort vergleichsweise selten thematisiert. Diese erörtern Lehrer meist in Dienstbesprechungen, von denen Schüler und Eltern aber ausgeschlossen sind. Letztere haben dadurch nicht nur keine Möglichkeit zur Mitbestimmung, sondern sind auch nicht aktuell informiert. Daraus ergibt sich die Frage, ob die vorgegebenen demokratischen Strukturen in der Praxis nicht zum Teil unterlaufen werden. Wenn es um die Weiterentwicklung der pädagogischen Ziele geht, sollten die vorhandenen Gremien als Diskussionsort genutzt werden. Um für die Verständigung zwischen Lehrern, Eltern und Schülern über das Schulprofil ausreichend Raum zu schaffen, schlägt die Autorin mehrere Änderungen vor:

  • Schulinterne Kommunikationsstruktur professionalisieren (d.h. Abstimmung im Kollegium, Transparenz und Verbindlichkeit, Kontakt zu Eltern, Themen der Profilbildung in Schulkonferenzen diskutieren)
  • Schulen von administrativem Ballast befreien, da Pädagogen für Verwaltungsaufgaben oft unzureichend ausgebildet sind (z.B. durch Einsatz von Verwaltungsfachleuten).

Die pädagogische Ausrichtung wird in erheblichem Maße von der Zusammensetzung des Kollegiums bestimmt. Obwohl derzeit die Schulen nicht eigenständig ihr Personal auswählen dürfen, nehmen 56,5% der Schulleiter Einfluss auf die Einstellung und sogar 63,6 % auf die Versetzung von Kollegen, um ein bestimmtes Profil zu erhalten oder herauszubilden. Auf informeller Ebene ist es demnach möglich, die Zusammensetzung des Kollegiums bis zu einem gewissen Grad zu lenken.
Drei Viertel der untersuchten Schulen erweisen sich im Sinne einer Schulkultur als enorm entwicklungsbedürftig, d.h. Kooperation der Lehrer und Partizipation an der schulinternen Gestaltung sind nicht oder erst ansatzweise vorhanden. Obwohl nach Meinung der Beteiligten ein gutes Schulklima vor allem auf dem Konsens im Kollegium über die pädagogischen Ziele basiert, fehlt die praktische Umsetzung. Diese Defizite können jedoch nur von den Akteuren vor Ort beseitigt werden. Normative Qualitätsmaßstäbe erweisen sich aufgrund der "Individualität" der Einzelschule als ungeeignet. Die Kollegien sollten – ggf. durch externe Unterstützung – motiviert werden, Probleme gemeinsam zu lösen sowie unter Einbeziehung der Schüler und Eltern pädagogische Konzepte auszuhandeln und diese intern zu evaluieren.

Die Untersuchung entstand im Rahmen der Berlin-Forschung – eines Förderprogramms für junge Wissenschaftler/innen der FU – am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Institut für Allgemeine Pädagogik, Arbeitsbereich Empirische Erziehungswissenschaft. Schulqualität in diesem Sinne ist umso höher, je besser die Akteure der Schule ihre selbst gesteckten Ziele erreichen können.

 
 
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