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Rubrik für Umwege, Überflieger und mehr Licht in den Wissenschaften von Susanne Weiss
Foto: Projektwerkstatt Als Günter Faltin, 32-jährig, neuberufen, sein Institut betreten wollte, schob ihn die ältere resolute Sekretärin eilig und unmissverständlich wieder aus dem Zimmer heraus: "Das geht jetzt nicht. Da kommt jetzt gleich der Professor Faltin." Das war 1977 das "Inaugural"erlebnis eines Wirtschaftswissenschaftlers, der mit 14 seine erste Aktie besaß, für den Ökonomie nicht nur aus Buchhaltung und Rechnungswesen besteht und dem es bei seinem Lehr- und Forschungsauftrag die Verbindung von Theorie und Praxis nicht darum geht, noch ein paar Krawattenträger mehr zu produzieren, die Kompetenzen in "Marktgeschwätz" erwerben und angestellte Manager werden. Er will vielmehr Studierende dazu ermutigen, etwas zu unternehmen, was sie eines Tages womöglich an die Börse bringt, statt an der Jobbörse hängen zu bleiben: Sie sollen Entrepreneurs werden: Unternehmen gründen. In Amerika schon gang und gäbe, ist Faltins Lehrangebot "Entrepreneurship" hier zu Lande ziemlich neu.
Die Universität mit ihrem Laborcharakter, ihrer offenen Atmosphäre und ihren überreichen Ressourcen ist für ihn das beste Biotop dafür. Dennoch muss noch Herkulesarbeit getan werden. Ökonomischer Analphabetismus ist verbreitet. Der Glaube, Marktwirtschaft könne oder solle unreguliert funktionieren, ist ein hartnäckiges Missverständnis, und auch das gängige Bild des Unternehmers kalter Schurke oder allwissender mächtiger Held fördert nicht gerade die Gründerkultur. Die klassische Wirtschaftswissenschaft übrigens auch nicht. Ihre Studierenden verlieren im Laufe ihres Studiums mehr und mehr die Lust zu gründen, belegt eine Studie der Uni Mainz. Eine in ihre Einzelteile sezierte, ihrer Lebendigkeit beraubte Wissenschaft ist eben weder attraktiv noch zielführend. Die Wirtschaftswissenschaft, so Faltin, braucht eine neue Qualität, ein neues Theorie-Praxis-Verständnis im Vorgriff auf das, was die Gesellschaft braucht: eine culture of entrepreneurship. "Sie können natürlich noch einen Blumenladen oder noch einen Copyshop aufmachen", sagt Faltin, "aber das meine ich nicht. Der Entrepreneur besitzt eine Idee, am besten eine von großzügiger klassischer Einfachheit, und kauft den Rest dazu". 'Mit welchem Geld fragt sich der arme Werkstudent und wie er das überhaupt alles schaffen soll. "Es gibt Venture Capital Firmen, die bei mir anrufen, weil sie ihr Geld nicht loswerden und nach guten oder witzigen Geschäftsideen Ausschau halten, die sie finanzieren wollen." Es ist auch ein Mythos zu glauben, man müsse alles selber können und alles selber tun, über Beziehungen verfügen und Kapital in der Hinterhand haben. Wirklich wichtig ist die Idee, allerdings auch eine gewisse Haltung. "Man braucht Beharrlichkeit, und man muss es aushalten können, für verrückt gehalten zu werden." Faltin weiß, wovon er redet. Als er vor 15 Jahren mit seiner "Teekampagne" startete, war er ein Außenseiter im Teegeschäft und in der Ökonomenzunft. Über 'entrepreneurship' wurde gelächelt. Dass Faltin handelte, weil er Marktchancen erkannte und nicht aus diffus altruistischen Motiven, wollte ihm keiner glauben. Er suchte Alternativen im Markt, nicht zum Markt. "Was ich mache, ist natürlich nicht mainstream aber es ist vernünftig. Wissenschaft muss unabhängig sein, damit sie gegen herrschende Konventionen Aufklärung produzieren kann." Inzwischen ist die "Teekampagne" der weltgrößte Importeur für Darjeeling, beschäftigt 15 Leute im Grunde mit der Idee, nur eine einzige Sorte Tee in große Tüten zu packen und Kosten für Lager und Beiwerk zu sparen. Inzwischen wird die Wirtschaftswissenschaft kreativer, und die Rahmenbedingungen für Unternehmensgründungen verbessern sich. Besonders die Berliner Luft ist sehr entrepreneurial . Dieses Klima und sein "Kind", die Teekampagne, ziehen Faltin, der viele Jahre in Asien lehrte, immer wieder zurück nach Berlin. In asiatischen Ländern, wo man sich luxuriöse Gelehrtenzirkel nicht leisten kann, hat die Verbindung von Theorie und Praxis einen ganz anderen Stellenwert. Leider, so Faltin, wird hier zu Lande im Moment in erster Linie der hightech-Bereich mit entrepreneurship gleich gesetzt und gefördert. Damit schließt man einen großen Teil der Bevölkerung von der Gründerkultur aus. Dabei gibt es ausgezeichnete Geschäftsideen, die aus anderen Bereichen stammen. Beispiel: Eine ausgebildete Pädagogin sorgt für hochwertige Betreuung von Kindern in Kaufhäusern, wo sie sonst üblicherweise in einer Art Spielkasten verwahrt werden. Doch Faltin rät zu Umsicht. Im Vergleich zur Unternehmensgründung ist russisches Roulette eine harmlose Veranstaltung. Nach fünf Jahren geht die Hälfte der Neugründungen pleite. Während eine Unternehmensgründung besser zwei in Amerika zu einem Lebenslauf gehört, Scheitern inbegriffen, bringt der Bankrott einen hier zu Lande immer noch in Acht und Bann, hat gar mitunter den Ruch des Kriminellen. Das "Unternehmen Wasserhyazinthe" ist Faltins zweites Projekt: Die in den tropischen Ländern zur Plage gewordene Eichhornia crassipes lässt sich hervorragend zu hochwertigen Sesseln verarbeiten. So sind zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und Theorie und Praxis elegant miteinander verbunden: "Die Leute glauben einem ja nicht, dass man aus Wasserhyazinthen Möbel machen kann. Also muss ich es vormachen. Aber ich liefere nur den Prototyp. Der Durchbruch für den Zukunftswerkstoff Wasserhyazinthe wird auf der EXPO 2000 erwartet. Im African Pavillon ist er zu sehen und zu "besitzen".
03.05.2000 28. Juni 2000 E-Mail: wipad@zedat.fu-berlin.de |
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