Trotz guter Ausbildung: Keine Chance auf Zukunft im Journalismus

Trotz guter Ausbildung: Keine Chance auf Zukunft im Journalismus

Medienkrise gleich Lebenskrise – Während Zeitungen den Bach runtergehen, Agenturen pleite sind und Redakteure beim Arbeitsamt Schlange stehen, bildet die Medienbranche munter weiter tausende Volontäre aus. Was wird aus ihnen?

Von Marie-Luise Klose

Es ist ein Montagmorgen als Björn Müller eine E-Mail an all seine Freunde schreibt. „Helft Master Müller“ steht in der Betreffzeile. Im Anhang ein PDF-Dokument mit Lebenslauf, Arbeitsproben, Zeugnissen. „Hätte mir jemand vor zwei Jahren erzählt, dass es soweit kommen würde in puncto Jobsuche, wäre ich geschockt gewesen“, sagt der 34-Jährige. Bevor er sich entschied in einem flammenden Appell seine Freunde zu bitten, ihm Kontakte zu möglichen Arbeitgebern herzustellen, war Björn Volontär bei einem Magazin in Berlin Mitte.

 Björn schreibt seine Texte mangels Schreibtisch am liebsten in der Küche.

Björn schreibt seine Texte mangels Schreibtisch am liebsten in der Küche. (Foto: Klose)

Und davor auch schon so einiges. „Für das Volo brachte ich umfangreiche journalistische Erfahrung mit und eine abgeschlossene Lehre als Fotograf“, sagt Björn, der darüber hinaus ein Diplom in Politikwissenschaft hat. Trotz bester Ausbildung war nach dem Volontariat Schluss mit Karriere. Es folgte Arbeitslosengeld und ein Kellnerjob. „Irgendwie denkt man sich: Ich bin so gut, ich setze mich schon durch“, sagt Björn, der während seines Volos mehrfach die Titelgeschichte des Magazins verantwortet hat. Aber so einfach ist es nicht in einer Medienbranche, die gerade eine harte Zäsur erlebt.

Übernahme nach Volontariat wird immer unwahrscheinlicher

„Nach der praktischen Ausbildung übernommen zu werden wird immer unwahrscheinlicher“, sagt auch Eva Werner, stellvertretende Pressesprecherin beim Deutschen Journalistenverband (DJV). Grundsätzlich sei die Ausbildung besser geworden, professioneller, effektiver. Die Krise der gesamten Branche treffe die Nachwuchskräfte jedoch besonders hart. Etwa 3000 Volontäre gibt es laut DJV in Deutschland. „An der Anzahl hat sich in den letzten Jahren wenig verändert“, sagt Werner. Einen genauen Überblick über Zahl und Arbeitsbedingungen von Volontären hat jedoch auch der DJV nicht. „Über Volontariate in Onlinemedien gibt es nicht einmal Schätzzahlen“, steht auf der Website des Journalistenverbands. Viele klassische Medien wie Tageszeitungen oder Zeitschriftem würden Volontäre gerne auch als „Online-Volontäre“ mit der Betreuung des Online-Auftritts beauftragen und so aus Statistiken kicken. Auch regional kommt es zu Verschiebungen: Während journalistische Medien in den Großstädten heute mehr Volontäre beschäftigten als noch vor einigen Jahren, hätten kleinere Regionalzeitungen häufig Schwierigkeiten, überhaupt Bewerber zu finden. Lucia Dettmoldt hat sich für ein Lokalblatt entschieden – auch aus karrieretechnischen Überlegungen. „Bei einem kleinen Blatt in Thüringen hat man größere Chancen, nach der Ausbildungszeit eine Anstellung als Redakteurin zu finden, dachte ich mir“, sagt sie. Geklappt hat das genau so wenig wie bei Björn. Die 32-Jährige hat in Deutschland, Italien und Holland studiert, spricht fünf Sprachen fließend. Nach dem Versuch, sich als Freie Journalistin durchzuschlagen, gab sie auf und beendete ihre Liaison mit der Pressewelt enttäuscht. „Journalismus ist was für Glückspilze und Künstlerseelen“, sagt sie heute. „Entweder du rutscht durch Dusel und Kontakte irgendwo rein oder du bist zufrieden damit, von der Hand in den Mund zu leben.“

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Lucias Schreibtisch: Irgendwo zwischen Studienbüchern und Wattebauschdosen. (Foto: Klose)

Es gibt sie noch, die Erfolgsgeschichten

Dusel hatte Christina Horsten. Nach einem Volontariat bei der Deutschen Presse-Agentur ging es für sie direkt ins Korrespondentenbüro nach New York. Auslandskorrespondent in den USA und das direkt nach dem Volo – ziemlich gut gelaufen, oder? „Für mich ist es mein absoluter Lebenstraum“, sagt die 29-Jährige. Sie ist angekommen im Big Apple, der Job macht ihr Spaß. Einen Haken gibt es trotzdem. Während die altgedienten Auslandskorrespondenten „Korrespondentenverträge“ in der Tasche haben, mit finanzieller Unterstützung für Wohnraum, Kündigungsschutz und anderen Sicherheiten, gab es für Christina nur einen „Ortskraftvertrag“. Jeden Tag kann es heißen, sie wird nicht mehr gebraucht. Vom Unterschied beim Gehalt ganz zu schweigen. „Wenn es das ist, was du wirklich willst, sind dir solche Sachen egal“, schreibt Christina in einem Chat. Man muss sich arrangieren mit den Zwängen der Branche, sich fragen, was am Ende wichtig ist. Viel Geld oder wenig Geld? Hohe Sicherheit oder keine Sicherheit? Traumjob oder doch nicht?

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Heimaterinnerung und Topfpflanze. Christinas Tisch in New York. (Foto: Klose)

Nach wie vor Traumjob für tausende junge Frauen und Männer

Der Beruf des Journalisten zählt – Krise hin oder her – nach wie vor zu einem der Beliebtesten beliebten Karriereentwurf. Er verspricht Abenteuer, jeden Tag neue Herausforderungen, Spannung – aber auch Macht und Ruhm. Den eigenen Namen im Leitartikel gedruckt zu sehen, ist für viele junge Menschen eine reizende Vorstellung. Journalistenschulen können ihren Ruf als Eliteschmieden dankt tausender Bewerber aufrecht erhalten. Über 2000 Frauen und Männern wollten im vergangen Jahr einen der 45 Plätze an der Deutschen Journalistenschule in München ergattern, 2500 kämpften an der Burda Journalistenschule um 30 Plätze, ebenso viele konkurrierten um die Aufnahme an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Es locken crossmediale Ausbildungen bei namhaften Meinungsführern, spannende Rechercheaufträge und das Gefühl, zu den besten der Besten zu gehören.

„Auch die beste Ausbildung garantiert leider nicht mehr, einen Fuß in die Tür zu bekommen“, sagt Werner vom DJV. Die Branche kann laut einem Journalisten-Report von Kommunikationswissenschaftlern immer weniger Münder ernähren. Viele Freiberufler sind gezwungen, sich ein zweites Standbein aufzubauen, so der Tenor der Studie von Siegfried Weischenberg. Die Zahl der Festanstellungen sinkt dazu kontinuerlich. Gerade einmal 30 Prozent der Absolventen der Deutschen Journalistenschule bekommen eine Redakteursstelle, zieht der Leiter der Einrichtung, Jörg Sadrozinski, im vergangenen Jahr Bilanz.

Volontäre ersetzen feste Redakteure

„Obwohl ich das alles wusste, habe ich mich für ein Volontariat bei einer Lokalzeitung entschieden“, sagt Benjamin Vorhauser. Den Namen der Zeitung möchte er auf keinen Fall gedruckt sehen. „Nicht, dass mir am Ende Aussagen die ich für einen Studentenartikel treffe, mal beruflich das Genick brechen.“ Denn über sein Volontariat hat Benjamin, 29, aus Neubrandenburg nicht viel Gutes zu berichten. „Im Prinzip ersetze ich einen Redakteur und einen Fotografen“, erzählt er. Vom ersten Tag an hieß es statt Ausbildung, Loslegen wie ein Festangestellter. „Keiner erklärt was, niemand ist für dich richtig zuständig, Hauptsache du machst einen guten Job.“ Der entscheidende Unterschied zwischen Benjamin und seinen Kollegen findet sich in einem einzigen Punkt: Dem Gehalt. Während ein festangestellter Zeitungsredakteur laut DJV durchschnittlich 4000 Euro verdient, landen auf Benjamins Konto am Ende des Monats nach Abzügen gerade einmal 810 Euro.

Unsicherheit als Lebensentwurf

Immerhin 890 Euro verdient Lucia in ihrem neuen Job. „Ich habe mich bei hundert Zeitungen, Radiosendern, Magazinen und Agenturen beworben und hatte eine Menge Vorstellungsgespräche. Am Ende hieß es immer nur: Sie können ab und an auf Zeilenhonorar bei uns arbeiten.“ Es folgten Versuche im Bereich PR und Werbung. „Aber da wollten sie dann ausgebildete Werbeprofis und bloß keine Journalisten.“ Jetzt arbeitet sie bei einer Kommunikationsagentur, die ihr Geld damit verdient, für Firmen Wikipedia-Artikel aufzuhübschen. Lucias konkrete Aufgabe besteht darin, Artikel über Hunderassen auf Fehler oder Ungenauigkeiten zu überprüfen und diese zu korrigieren. „Wie das weitergehen soll, weiß ich nicht“, seufzt sie. Sie sei nicht mehr 20 Jahre alt, irgendwann würde man ja nicht nur an Studentenparties sondern an Kinder, Haus, Familie und Garten denken. „Davon fühle ich mich im Moment mindestens soweit entfernt, wie von einem sicheren Job“, sagt Lucia. Die Sache mit den Hunderassen ist nur befristet.

Benjamins Schreibtisch mit minimalistischer Ordnung.

Benjamins Schreibtisch mit minimalistischer Ordnung.

Selbstoptimierung als letzte Konsequenz

Ex-Volo Björn betreibt währenddessen Ursachenforschung. Bittet ehemalige Kollegen nicht nur um Hilfe bei der Stellensuche, sondern auch um die kritische Einschätzung seiner eigenen Arbeit. „Vielleicht kann ich mich so weiterentwickeln“, sagt er. Selbstzweifel und ein angekratztes journalistisches Ego sind nicht die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere. Das weiß auch Björn. Immerhin: Niemand bescheinigt ihm in der Exeltabelle, die er verschickt, mangelnde journalistische Kompetenz. Im Gegenteil. „Dafür stehen Konfliktfähigkeit und Selbstbeherrschung gleichrangig auf meiner Arschkarte. Die Kritikfähigkeit bildet die Brücke zum hinteren Mittelfeld, um es mal konstruktiv auszudrücken“, schreibt Björn in der Auswertung seiner „grandiosen empirischen Studie“ an seine Ex-Kollegen zurück. Verbitterung? „Neee“, sagt Björn bei einem Bier. „Aber ohne ein bissigen Humor erträgst du doch diese ganze Branche nicht.“


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Marie-Luise Klose (22) studiert Publizistik, Politikwissenschaft und Spanische Philologie im siebten Semester. Noch in der Schule fest überzeugt davon, Journalistin zu werden, hat sie inzwischen andere Pläne.


2017-07-27T14:39:40+02:00 Kategorien: Lesen, Macht + Medien|Tags: , , , , , , |