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[Adhäsionsmoleküle mit Schlagsahne - Von Barbara Walzog]

Mein Ziel war die Promotion. Mein Projekt war eine komplizierte Frage: „Kann es sein, dass Adhäsionsmoleküle Signale in die Zelle leiten, die mithelfen, deren Funktionen zu steuern?“

Mein Eintritt in das Physiologische Institut von Peter Gaehtgens am 1. September 1992 begann allerdings mit Pflaumenkuchen und Schlagsahne. Dieser Umstand war nicht etwa Bestandteil einer besonderen Aufnahmezeremonie für die Meisterschule der Deutschen Mikrozirkulation. Er beruhte auf einer schlichten Tatsache. Der Chef hatte Geburtstag.

Als Akademischer Lehrer ist Peter Gaehtgens alles andere als schlicht. Ihn kennzeichnet eine besondere Gabe: Mit großer Offenheit Denkanstöße zu liefern, Neues zu initiieren und Dinge in Gang zu setzen. Anfang der neunziger Jahre waren die Forschungsgebiete meiner Dissertation, die „Adhäsion“ und die „Signaltransduktion“, zwei strikt getrennte Disziplinen. Die Grenzen zwischen beiden Forschungsfeldern einzureißen, war zukunftsweisend.

Dennoch musste ich diesen Ansatz im Detail gegen ihn, seinen Erfinder, zunächst verteidigen. Gaehtgens nämlich nimmt Ideen oder eigenes Engagement der Mitarbeiter nicht einfach hin. Er hinterfragt sie kritisch und schonungslos. Dagegen helfen nur gute Argumente. Für seine wissenschaftlichen Mitarbeiter war das Resultat derartiger Auseinandersetzungen stets eine nachhaltige und konsequente Unterstützung – im Erfolgsfall. Diese Rückendeckung war wichtig. Da man ihn überzeugen konnte, war man es nun auch selbst und es galt, das selbst gesteckte Ziel zu erreichen.

Auf besonderen Komfort hat Peter Gaehtgens nie geachtet. Sein Arbeitsgruppenseminar veranstaltete er an einem Montag. Und ließ es um acht Uhr s.t. beginnen. Ein Termin, der nicht wenigen von uns erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Wir überlegten, ob es vielleicht besser wäre, sich erst acht Uhr c.t. zu treffen. Unser Doktorvater war darüber erstaunt. Aus welchem Grund würden wir annehmen, wollte er wissen, dass wir zwar nicht um 8 Uhr s.t., dafür aber um 8 Uhr c.t. pünktlich sein könnten. Wie so oft eine gute Frage. Niemand hatte eine Anwort. Das Seminar wurde dennoch auf 8 Uhr c.t. verlegt.

Geahtgens Stil ist es, offene Fragen vorzulegen. Und nicht etwa der, Antworten zu predigen. Dies galt in besonderem Maße nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Lehre. Wenn Herr Gaehtgens nicht selbst die Vorlesung hielt, war er dennoch dabei. Anschließend wurde „Manöverkritik“ geübt.

Bei meinen ersten Gehversuchen auf diesem Terrain war sein schwarzer Minitaschenkalender schon randvoll. Ich wollte trotzdem unbedingt seine Kritik hören. Also verfasste er sie während der Vorlesung auf kleinen Zetteln, die er auf meinem Schreibtisch hinterließ. Derweil lauerte die Akademische Selbstverwaltung, sprich: sein Dienstwagen, schon ungeduldig vor dem Institut.

In einer dieser Notizen steht in Großbuchstaben „NICHT WEDELN“. Ich hatte wieder mit dem Laserpointer in der Luft herumgefuchtelt, statt die Aufmerksamkeit der Studenten mit einem gezielten Wink auf den entscheidenden Punkt zu lenken. „Querformat nutzen“ bedeutete, dass die Schrift meiner Abbildungen vermutlich so klein war, dass sie im hinteren Teil des riesigen Hörsaals nicht mehr zu lesen war. Punkt drei und vier waren fachlicher Natur. Den Schluss bildeten aufmunternde Worte – und ein „prima“ mit Ausrufezeichen. Jahrelange vergleichende Studien seiner Randbemerkungen auf Manuskripten, Doktorarbeiten und sonstigen schriftlichen Abhandlungen seiner Mitarbeiter haben zweifelsfrei ergeben, dass es sich bei „prima“ mit Ausrufezeichen um die Bestnote handelte.

Herr Gaehtgens ist ein intellektueller Überzeugungstäter. Sein aufrichtiges Interesse an den Dingen ist ansteckend. Ein Gespräch mit ihm hat stets ein greifbares Resultat. Freveltaten, die man in seinen Augen begehen kann, bestehen darin, nicht nachzudenken, kein Konzept zu haben – und Texte wie diesen hier zu verfassen.

Ich erinnere mich in den zehn Jahren, die ich am Physiologischen Institut verbracht habe, an keine offizielle Vorschrift, die es einzuhalten galt. Das Miteinander wurde dadurch geregelt, dass ihn keiner von uns enttäuschen wollte. Wie und ob dies angesichts der Anforderungen, die Herr Gaehtgens an sich selbst stellt, zu bewerkstelligen sei, war allerdings ungewiss. Ob es uns gelungen ist, ist vermutlich aus gutem Grund sein Geheimnis. Wir wissen auch nicht, ob er manchmal stolz auf uns war. Wir sind es jedenfalls auf ihn.

Barbara Walzog

 

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