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[Lieber Herr Gaehtgens, ]

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Ein Botschafter seiner Universität: Alt-Präsident Prof. Dr. Peter Gaehtgens

es war vermutlich im Jahr 2000, in dem ich als Vorsitzender jenes Kuratoriums, das im Gegensatz zu dem im Vorlesungsverzeichnis der Freien Universität als „ruhend“ genannten Kuratorium sehr wach und lebendig ist, ziemlich lädiert zur Sitzung nach Berlin kam. Das in Tempelhof landende Flugzeug und die in ihm herrschenden Druckverhältnisse hatten mein Gehör – wie mir schien – endgültig ruiniert. Ich hatte das Gefühl, beide Ohren seien vermauert und die Kommunikation mit den Kuratoriumsmitgliedern fände in einem virtuellen Raum statt. Sie haben meinen Zustand bemerkt und mir am späten Abend einen Termin im Benjamin Franklin-Klinikum verschafft. Dort wurde ich untersucht und am nächsten Tag zum Chef bestellt. Als er hörte, dass es eile, schlug er mir vor, in eines meiner Trommelfelle ein kleines Loch zu schießen. Ich konnte den Vorgang am Computer-Bildschirm beobachten. Der junge Arzt, der auf solche Löcher spezialisiert ist, zeigte mir auf dem Bildschirm ein unversehrtes Trommelfell, sagte „Achtung“ und im nächsten Augenblick klaffte da ein schwarzes Loch mit zackigen, rußigen Rändern. Der Druckausgleich war hergestellt, ich konnte wieder hören.

Verzeihen Sie bitte, wenn ich sage, dass mir die Universitätsreform, an der wir beide seit Jahrzehnten mitwirken, gelegentlich so vorkommt. Oftmals virtuelle Diskussionen um das, was eine Universität für die Wirklichkeit hält, und daneben die harten Realitäten – fehlende Finanzen, drückende Personallasten, mangelnde Ersatzbeschaffungen, abschmelzende Stellenbestände! Nur der beschriebene und dem warnenden „Achtung“ folgende Befreiungsschuss ist bisher ausgeblieben. Die Universitäten scheinen gegenüber der Wirklichkeit zu ertauben.

Nun unterscheidet sich bekanntlich das Kuratorium neuer Art der FU von den herkömmlichen Hochschulräten vor allem dadurch, dass es nur zur Hälfte mit von außen kommenden Mitgliedern besetzt ist, zur anderen Hälfte mit Gruppenvertreterinnen und –vertretern der Universität, wozu noch Rederechte für Personalräte, die Frauenbeauftragte und eine begrenzt interessierte Öffentlichkeit kommen. Ich fühlte mich in diesem Kuratorium zeitweise verjüngt, weil in die späten sechziger Jahre zurückversetzt, als mich das endlose Palaver um Nichtigkeiten noch herausforderte und mich der jedes zweite Semester in Fakultäten und Senaten erneut beginnende Lernprozess für Mitglieder – die alte Forderungen für neue Gedanken hielten – noch provozierte. Bei genauerem Zusehen aber waren die Auseinandersetzungen im Berliner Kuratorium so unfruchtbar nicht. Schließlich trafen (und treffen) hier zwei Welten aufeinander: die Welt der Gruppeninteressen der Universität – die eine eigene, in sich hermetisch verschlossene Welt ist – und die Welt des öffentlichen Lebens, die in ihrer Vorstellung der Universität von der Realität so weit entfernt scheint, wie (sagen wir) der Sirius von der Erde? Zwei solche Welten einander zu nähern schien mir der Mühe wert. Der Vergleich mit den kosmischen Entfernungen ist übertrieben, aber ich bin mir sicher, dass die Universitäten noch einen weiten Weg zurückzulegen haben, bis sie in der Wirklichkeit angelangt sein werden.

Vom ersten Tag an fiel mir auf, dass Sie in stets gleich bleibender Freundlichkeit versuchten, den Überblick über das hektische und irrationale bildungs- und wissenschaftspolitische Geschehen zu behalten, dass Sie versuchten, den Kopf über Wasser zu halten, auch wenn die zu durchschwimmende Strecke endlos schien, dass Sie die Realitäten nicht verdrängten, um ihnen das abzugewinnen, was ihnen abzugewinnen war: Planungssicherheit und Flexibilität. Dass sie die ganze Universität für einen Kraftakt gewinnen konnten, wie er dieser Universität niemals zugemutet worden war, ist eine Glanzleistung, die nur der einschätzen kann, der die Mühen des Alltags aus der Nähe miterlebt hat. “Untertunnelung“ nennt man das im Fachjargon, was Ihnen so lange gut gelungen ist, bis die Höhlen unter dem Berliner Finanzloch eingebrochen sind. Selbst in dieser Situation haben sie die Nerven nicht verloren und ihre Universität so auf Kurs gehalten, dass deren Attraktivität für Studierende, Forscherinnen und Forscher und Gäste aus allen Ländern der Welt täglich gewachsen ist. Denn das war die andere Seite des Kalküls: Einerseits eine unruhige und tatsächlich gebeutelte Universität zu befrieden und haltbare Koalitionen „innen“ zu schmieden und andererseits diese Universität wissenschaftlich und im öffentlichen Bewusstsein so zu positionieren, dass sie von Freunden, von Ehrendoktoren, von Gastrednern, von Alumnae und Alumni vor der sichtbaren und täglich zunehmenden Erosion geschützt wird. Eine Universität ist eine cosmopolitan local institution und beide Elemente zusammen nur, das kosmopolitische und das lokale, prägen ihr Profil. Ihre Mitarbeiter sagen, Sie hätten der Freien Universität einen neuen Stil aufgeprägt. Den Stil von Kooperation und Solidarität. Sie haben Zuversicht geschaffen, wo keine Aussicht auf Besserung zu bestehen schien. Die Konferenz der deutschen Hochschulrektoren wusste, was sie tat, als man Sie zum Präsidenten wählte. Herzlichen Dank, lieber Herr Gaehtgens, für alles, was Sie schon bisher für die Wissenschaft in Deutschland getan haben und Glück auf den verschlungenen, von Ihnen aber sicher begradigten, neuen Wegen!

Herzlich Ihr Wolfgang Frühwald

Prof. Dr. Wolfgang Frühwald war
erster Vorsitzender des Kuratoriums der FU

Foto: Dahl, privat

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