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[Die Arbeit ist gehemmte Begierte - Von FU-Präsident Dieter Lenzen]

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Ein Botschafter seiner Universität: Alt-Präsident Prof. Dr. Peter Gaehtgens

Niemand, der Peter Gaehtgens auch nur ein wenig kennt, würde bestreiten, dass die Freie Universität in den Jahren 1999 bis 2003 einen Mann an ihrer Spitze wusste, den man als gebildet bezeichnen muss. Niemand indessen, der sich mit der Geschichte des Bildungsbegriffs auskennt, würde damit ein klares Bild unseres scheidenden Präsidenten besitzen. Denn: Seit der Deutschen Aufklärung hat dieser Begriff so viele Ausprägungen erfahren, dass unterschiedliche, sogar gegensätzliche Persönlichkeiten dieses Epitheton tragen könnten.

Herder hat den Begriff aus der Umgebung der natürlichen Bildung gelöst, obgleich schon dieses voraufklärerische Verständnis der „wohl gebildeten Gestalt“ auf unsere Zielperson passt. Peter Gaehtgens, ganz stattliche, gesunde und jugendliche Erscheinung, hat gelernt sich zu bewegen, ohne „sportlich“ zu sein – Wer „Über Anmut und Würde“ assoziiert, liegt richtig, wenn er weiß, dass es dabei nicht um Ballett geht, sondern um die Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft, die „liberale Regierung“, „wo Vernunft und Sinnlichkeit – Pflicht und Neigung – zusammenstimmen“ (Schiller, Über Anmut und Würde 1793). Peter Gaehtgens kann maßvoll genießen, räumt dem Sinnlichen aber keine Herrschaft über seine Vernunft ein. Vernunft, hörbar in seiner schlüssigen Art zu argumentieren, sei es in Gremien, vor Journalisten oder gegenüber Politikern, ist selbst eine Form des Genusses für ihn.

Kant hat für das, was wir an Peter Gaehtgens auch schätzen, noch ein anderes Wort benutzt: „Kultur“. Die Kultiviertheit seiner Person ist kein Design-Produkt, sondern Akt der Freiheit des handelnden Subjekts. Ihr entspringt eine Pflicht gegen sich selbst, wie Kant meinte, seine Talente nicht zu ignorieren. Dieser Pflicht hat Gaehtgens entsprochen. Was sonst sollte einen Arzt, einen Grundlagenmediziner, der sich auf lebensbedrohende Thromben des Herzens versteht, veranlassen, eine Universität zu leiten, noch dazu unter politischen Umständen, die es ihm nicht leicht machten, dieses Amt zu übernehmen und es zu füllen?

Hegel hat dem Bildungsdenken eine Facette hinzugefügt, die ganz christlicher Herkunft ist und dem Gebildeten eine zweite Pflicht auferlegt: Sich unablässig zu bilden. Hier schwingt Verzicht mit sowie Strenge gegen sich selbst und andere. Vom „Begrünen“ von Texten sprach Peter Gaehtgens gern, wenn er mit seinem grünen Stift Texte redigierte, die seiner Mitarbeiter(innen), der Präsidiumsmitglieder, sogar solche, die von außen kamen und fertig, aber nicht vollendet waren und auch seine eigenen. Sprachliche, weil logische Nachlässigkeiten sind ihm ein Grauen und meistens hatte er Recht. Man konnte es immer noch etwas präziser fassen. Bildung hat, Rousseau legte schon Wert darauf, etwas mit „perfection“ zu tun.

Gadamer interpretiert Hegels Bildungsverständnis in dessen Phänomenologie des Geistes und kommt zu dem Schluss, dass es das Wesen der Arbeit sei, das Ding zu bilden, statt es zu verzehren. Bildung sei Erhebung zur Allgemeinheit und Hemmung der Begierde: „Die Arbeit ist gehemmte Begierde.“ (Gadamer, Wahrheit und Methode 1965) Das „Ding“, das waren wir, das ist unsere Freie Universität gewesen. Indem das arbeitende Bewusstsein das Ding bildet, bildet es sich selbst. Mit und durch Peter Gaehtgens sind wir gebildet worden und er über uns.

Dafür ist ihm herzlich zu danken, obgleich diese Attitüde allein nicht passen will zu der großen Geschichte unseres Bildungsdenkens. Respekt ist ihm zu zollen für seine Unermüdlichkeit, seine Würde, seine Kultur, seine Weltläufigkeit und seine Kraft, mit der er jener täglichen Enge gegenübertrat, der in unserer Sprache die Angst so verwandt ist.

Ich hätte den Versuch eines treffenden Blicks auf den Amtsvorgänger auch anders gestalten können: Der Leiter einer angesehenen höheren Schule antwortete, als er nach den Aufnahmebedingungen für junge Interessenten gefragt wurde: Leistungsstark und verhaltenssicher. Ich werde Peter Gaehtgens gelegentlich fragen, welches Gymnasium er besucht hat.

Foto: Dahl

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