Unbeachtete Fragmente in den Magazinen des Vorderasiatischen Museums da wurde Steven Lundström neugierig: Was verbarg sich hinter diesen Bruchstücken, mit Resten von ein paar Schriftzeichen? Sie stammten aus dem so genannten Alten Palast in Assur. Vom 20. bis zum 9. Jh. v. Chr. war Assur die Hauptstadt der Assyrer. Auch später, nach der Verlagerung der Residenz nach Kalach und Ninive, blieb die Stadt weiterhin religiöses Zentrum des Reiches und Grablege der assyrischen Herrscher. Lundström gelang es in mühsamer Puzzlearbeit, diese Bruchstücke so weit zusammenzufügen, dass eine weitere Königsgruft als die des Herrschers Asarhaddon identifiziert werden konnte.
Das Assur-Projekt wird von Professor Johannes Renger vom Institut für Altorientalistik der FU geleitet. Es wird getragen von der Deutschen Orient-Gesellschaft, die die Ruinen von Assur ausgräbt, und dem Vorderasiatischen Museum, das die nach Berlin gelangten Funde bewahrt. Unterstützung findet das Projekt auch bei der Freien Universität. Die Deutschen Forschungsgemeinschaft zeigt sich mit nahezu einer Viertelmillion Euro jährlich sehr großzügig. Ziel des Projektes ist es, die bisher unbearbeitet gebliebenen Funde und Ergebnisse der Grabungen zwischen 1903 und 1914 der wissenschaftlichen aber auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Als die Grabung im Frühjahr 1914 planmäßig beendet wurde, begann die mühsame Arbeit der Auswertung und Veröffentlichung der über 45.000 gefundenen Objekte die in den letzten Jahren in einer Datenbank erfasst wurden. Dazu gehören auch zahlreiche Tempel, Kulthäuser, Paläste, Befestigungsanlagen mit ihren Toren und eine große Menge von Privathäusern. Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Bemühungen. Das Schiff, das die Funde nach Deutschland bringen sollte, wurde auf See vom Ausbruch des Krieges überrascht und in Portugal an die Kette gelegt.
Erst 1926 gelang es, die Kisten mit den Funden nach Berlin zu bringen. Nun begann das mühsame Sichten, Magazinieren, sowie das Restaurieren wichtiger Funde für die Ausstellung im Vorderasiatischen Museum, das 1930 eröffnet wurde. Aber bald verzögerte der Zweite Weltkrieg und die Wirren der Nachkriegszeit die Arbeit erneut. Erst 1990 wurde auf Initiative der deutschen Orient-Gesellschaft ein gemeinsames Forschungsprojekt konzipiert. Im Mai 1997 konnte schließlich mit der Arbeit begonnen werden.
Gegenwärtig sind vier wissenschaftliche Mitarbeiter sowie mehrere Zeichnerinnen und Fotografen im Projekt tätig. Hinzu kommen zehn Wissenschaftler aus ganz Deutschland, die sich mit eigenen Arbeiten am Projekt beteiligen. Mit dieser Personalstärke hat das Assur-Projekt eine für die Geisteswissenschaften seltene Größe.
Mehr als 5000 Rechts- und Verwaltungsurkunden aus dem 14. bis zum 7. Jahrhundert v. Chr. erlauben den Einblick in die Staatsgeschäfte der Assyrer und in die Opferverwaltung am zentralen Heiligtum des Reiches. Private Urkunden informieren über die Geschäfte einzelner reicher Einwohner von Assur. Prozessakten geben Auskunft über das Gerichtswesen. Die Arbeit an den literarischen Texten, die Forscher in Heidelberg eisten, hat bisher unbekannte magische Rituale, aber auch neue Fragmente des berühmten Gilgamesch-Epos zu Tage gefördert.
Mehrere Archäologen widmen sich den zahlreichen Kleinfunden. Figürliche Bleiplaketten beispielsweise werden wegen ihres fragilen Zustandes unter einer mit Argongas gefüllten Glashaube aufbewahrt. Sie zeigen unter anderem erotische Szenen, die sich auf den Kult der Liebesgöttin Ischtar beziehen. Keramischer Wandschmuck allein 1600 Objekte waren zu bearbeiten zierte die Wände des Palastes. Mehr als 2000 Figurinen aus glasierter Keramik sind in Bearbeitung. Die Rekonstruktion der Architektur erfolgt mit Hilfe digitalisierter Pläne, die eine virtuelle, dreidimensionale Wiedergabe des archäologischen Befundes erlaubt.
Johannes Renger