Axel Zerdick
Am 3. November ist Axel Zerdick gestorben - ganz plötzlich, mitten aus dem Leben, auf dem Flug-hafen. Es hätte statt Berlin auch San Francisco oder Tokio sein können. Seinen 62. Geburtstag hat der umtriebige Kommunikationswissenschaftler nicht mehr erlebt. Die Freie Universität verlor einen ihrer engagiertesten Wissenschaftler: einen weit über ihre Grenzen hinaus anerkannten, unorthodoxen und kritisch-fröhlichen Denker.
Nach Studien der Elektrotechnik an der TU Berlin und an der McMaster University in Kanada, der Rechtswissen-schaften und Betriebswirtschaftslehre an der FU Berlin Promovierte Axel Zerdick und nahm eine Assistenzprofessur für Wirtschaftspolitik an der FU an. Später lehrte er Produktionstheorie an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin. 1980 führte ihn sein W eg an die FU zurück: Er wurde auf die Professur für Ökonomie und Massenkommunikation am Institut für Publizistik berufen.
Die Medien waren von der Publizistikwissenschaft über lange Zeit eher als Öffentlichkeitsforum, Meinungs-träger, politischer Akteur, vielleicht auch noch als kultureller Faktor oder Freizeitangebot betrachtet worden. Die Analyse ihrer ökonomischen Grundlagen fand dagegen in der Forschung zunächst wenig Beachtung. Axel Zerdick hat von Berlin aus diesen immer wichtigeren Bereich der Kommunikations-wissenschaft mit geprägt, nicht nur in Deutschland, sondern auch auf internationaler Ebene. In seinem Bemühen, die Fundierung der ökonomischen Strukturen und Entwicklungen des Medien-systems wissenschaftlich voranzutreiben, darüber hinaus aber auch aktiv zu begleiten, war er unermüdlich unterwegs zwischen Kalifornien, Japan, Italien, München, Stuttgart und Berlin.
Er war dabei nicht nur als Professor unterwegs. Auch viele außeruniversitäre Institutionen wollten von seinen Ideen, Anregungen und Arbeiten profitieren. Er war - eine Auswahl - Gründer und Sprecher des European Communication Council, Aufsichtsratsvorsitzender der ART+COM AG, Mit-glied des Wissen-schaftlichen Arbeitskreises für Regulierungsfragen der Regulierungsbehörde für Tele-kommunikation und Post und Mitglied des Rundfunkrates beim Sender Freies Berlin. Beinahe wäre er gar noch Mitglied des ICANN-Direktoriums geworden.
Breit gestreut wie seine Reiseziele waren auch seine wissenschaftlichen Interessen, die das gesamte Spektrum der Medienlandschaft abdeckten. Er befasste sich nicht nur mit der Ökonomie und Struktur der Massen-medien. Er machte auch das Telefon kommunikationswissenschaftlich interessant (bevor es noch richtig mobil wurde), formulierte die "Internet-Ökonomie", ließ Arbeiten über Musik, Sport, Film schreiben, fokussierte aber immer die Verbindung zwischen den ökonomischen Grundlagen des Medien-systems und dessen politischer Steuerung. Dabei war diese breite Streuung alles andere als ober-flächlich. Dahinter standen immer handfeste wissenschaftliche Studien, die zum Teil nicht in den Publikationslisten auftauchten, weil sie unmittelbar an die Handelnden gerichtet waren. Er hatte durch seine teilweise bahnbrechenden Arbeiten auch ein Netzwerk von Kollegen und Mitarbeitern geschaffen, das der wissenschaftlichen Themenbreite die entsprechende politische und personale Außenwirkung verschaffte.
Es ist kein Wunder, dass er sich bei diesem Themenspektrum mit einer Übernachfrage von Studenten und Doktoranden konfrontiert sah. Fast immer war er in den entsprechenden Institutsstatistiken der Spitzenreiter. Er wollte sich keine Möglichkeit, keine Erfahrung, keine Begegnung entgehen lassen - aus sinnlicher Freude am Leben, aus Begeisterung für persönliche Kommunikation, aber auch aus reiner Neugierde.
Dazu gehörte für ihn selbstverständlich die akademische Selbstverwaltung. Viele Jahre saß er für den "Dienstagskreis" im Akademischen Senat. Er gehörte dem Fachbereichsrat an, war einige Jahre Dekan erst des Fachbereichs Kommunikationswissenschaften, später des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften. Schließlich sprang er auch noch ein, als das Projekt der European Journalist Fellowships am Journalistenkolleg führerlos wurde.
Bei all diesen Aktivitäten war er zwar nicht immer anwesend. Aber immer, wenn er da war, sah man ihn fröhlich, aufgeschlossen und effektiv. Mit seiner Kreativität und Tatkraft, seinem analytischen Urteil und diplo-matischen Geschick war er eine wesentliche Stütze des Instituts und eine bedeutende, im In- und Aus-land weithin respektierte Figur des Faches.
Axel Zerdick fand fast immer einen glücklichen Kompromiss - nur nicht zwischen seiner Lebens-intensität und seiner biologischen Konstitution. Er hat dabei bewusst das Risiko in Kauf genommen, aus einer für ihn und uns selbstverständlich erscheinenden Präsenz ganz plötzlich zu verschwinden. Bisher hat er uns nur gefehlt, wenn er unterwegs war. Nun werden seine Kollegen, Mitarbeiter und Studenten ihn dauernd vermissen. Er hinterlässt eine schmerzliche Lücke.
Lutz Erbring & Gernut Wersig
Foto: privat