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[... und am Ende gewinnt die FU]



Fußballbegeisterung im Auditorium Maximum der Freien Universität Berlin.


Die Fußballweltmeisterschaft war im Mai und Juni auch ein Großereignis an der Freien Universität Berlin. In Scharen pilgerten überwiegend Studierende – aber auch andere Mitglieder der Freien Universität – zum Henry-Ford-Bau, um dort im Auditorium Maximum die auf eine Großleinwand übertragenen Spiele zu sehen. Gut besucht war der größte Hörsaal der Freien Universität immer, auch als die deutsche Mannschaft nicht spielte. Wegen des großen Andrangs bei den Spielen des deutschen Teams wurden die Fernsehübertragungen sogar in zwei weiteren Hörsälen gezeigt. Das Endspiel am 30. Juni sahen ca. 1.500 Leute im Henry-Ford-Bau. Am Ende der WM war klar, dass sich das Verhältnis der Intellektuellen zum Volkssport Nummer 1 gewandelt hat.

Das Auditorium Maximum der Freien Universität Berlin ist kein Ort wie jeder andere. Hier versicherte der amerikanische Präsident John F. Kennedy den eingemauerten Insulanern die Solidarität der USA, rief der Studentenführer Rudi Dutschke zum Marsch durch die Institutionen auf, entfaltete der koreanische Ministerpräsident Kim Dae-jung in einer historischen Rede seine Vision von einem wieder vereinigten Korea und appellierte der UN-Generalsekretär Kofi Annan an die Staaten der westlichen Hemisphäre, der Dritten Welt zu helfen. Es sind diese und viele andere Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, die dem Tempel des Geistes seine besondere Aura verliehen. Doch dann kamen die Fußballfans und verwandelten die Stätte der intellektuellen Reflexion, geschliffenen politischen Rhetorik und perfekten Umgangsformen in einen Hexenkessel der Emotionen, der beim Endspiel „Deutschland gegen Brasilien“ überzukochen schien.

Wir erinnern uns: Elf Minuten vor dem Ende des Spiels führt Brasilien mit 2:0 Toren. Hoffen und Bangen bei den deutschen Fans, dass noch ein Wunder geschieht. Die deutsche Mannschaft stürmt mit aller Kraft auf das gegnerische Tor, da bekommt Bierhoff den Ball im Strafraum auf den Fuß, doch Marcos hält mit einer Glanzparade. Dann der Schlusspfiff. Das Spiel ist aus! Brasilien ist Weltmeister! Wo eben noch die Anspannung förmlich zu greifen war, herrscht schlagartig nur noch Schweigen – doch bei der Siegerehrung applaudieren auch die deutschen Fans im Auditorium Maximum dem verdienten Sieger.



Während des gesamten WM-Turniers wurde der Fußball im Henry-Ford-Bau gefeiert, als hätte es niemals intellektuelle Vorbehalte gegen diesen Sport gegeben. Dabei sind diese Zeiten noch gar nicht so lange vorbei. Zwar wurde schon mal ein Weltmeisterschaftsspiel, nämlich das von Deutschland und Kroatien 1998, im Auditorium Maximum gezeigt, aber damals auch nur ausnahmsweise, weil nebenan auf dem Campus das Sommerfest der FU stattfand. Noch wenige Jahre zuvor wären Übertragungen von Fußballspielen hier wohl kaum toleriert worden, denn zu groß war unter den Bildungsbürgern jeder politischen Couleur die Abneigung gegen den Körper betonten Volkssport. Die konservativen Intellektuellen hatten mit dem Sport der Massen noch nie viel am Hut, und den Linken war die nationale Begeisterung „ihres“ Proletariats zutiefst suspekt. Fußballfan zu sein, war in der Universität verpönt. Wer sich als solcher outete, wurde nicht ernst genommen, bisweilen sogar ausgegrenzt. So erging es zum Beispiel vor noch gar nicht so langer Zeit einem Studenten der Universität Hamburg, der in einem Trikot des FC St. Pauli eine Rede vor seinen Kommilitonen hielt.


Fußball ist Party

Heute ist Fußball als Teil der Spaßkultur salonfähig. Auf Monate ausgebuchte VIP-Lounges der Stadien sprechen eine deutliche Sprache. Dort treffen sich die begüterten Stände bei Champagner und kulinarischem Büfett wie früher nur beim Pferderennen. Fußball ist ein gesellschaftliches Ereignis. Fußball ist Party. Das ist im Münchner Olympiastadion nicht anders als in der supermodernen Gelsenkirchener Hightech-Arena „Auf Schalke“.

Aber Fußball zieht inzwischen nicht nur die Reichen und Schönen an, auch die Intellektuellen und die Politiker wollen am Rummel teilhaben. Da mystifiziert zum Beispiel Hans Ulrich Gumbrecht, renommierter Literaturwissenschaftler an der Universität Stanford, in einem Interview einer Berliner Tageszeitung die spektakuläre Parade eines Torwarts als quasi göttliche Erscheinung, und der Sportsoziologe Gunter Gebauer interpretiert die Reaktionsmuster der Fans als Ausdruck kollektiver Gemütszustände ganzer Generationen und Nationen. Unwillkürlich wünscht man sich, dass manche Instrumentalisierung des Fußballs und intellektuelle Projektion auf den Sport, die sich als existenzielle oder gesellschaftsanalytische Reflexion ausgibt, unterblieben wäre. Und noch eine Erkenntnis wächst. Das neue Interesse der Intellektuellen am Fußball scheint mindestens so problematisch wie deren bisherige Ressentiments. Warum in aller Welt können deutsche Akademiker den Fußball noch immer nicht unverkrampft genießen? Wie man das schafft, haben die Studentinnen und Studenten im Auditorium Maximum der FU demonstriert. Sie fieberten mit der deutschen Mannschaft während des ganzen Turniers, begeisterten sich aber ebenso für die anderen WM-Teams. Sie feierten spontan mit Jubelgesängen und La-Ola-Wellen. Ein schöneres Sommerfest hätte man in der Freien Universität gar nicht planen können.


Manchmal bedarf es eben nur einer kleinen unkonventionellen Initiative, wie der von FU-Kanzler Peter Lange, um eine überraschende Wirkung zu erzielen. „Fußball ist ein Spiel von 22 Leuten, die rumlaufen, den Ball spielen, und einem Schiedsrichter, der eine Reihe dummer Fehler macht, und am Ende gewinnt immer Deutschland.“ Mit diesen einfachen Worten beschrieb einst Gary Lineker, der legendäre englische Nationalspieler, ebenso treffend wie resigniert den Sport. Obgleich es diesmal nicht ganz zum Titel reichte, bleibt die Gewissheit, dass diese WM auch für die Freie Universität ein großer Gewinn ist.

Bernd Wannenmacher / Uwe Nef

Foto Audimax: Dahl
Fotos Fans: Dewitz


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