Wie viel Wissenschaft kann sich Berlin angesichts der desolaten Landesfinanzen noch leisten? Diese Frage wird seit mehr als zehn Jahren immer wieder neu gestellt. Die Universitäten geraten in dieser Diskussion mehr und mehr in die Defensive, obwohl Wissenschaft unbestritten einer der wenigen Produktivfaktoren für die Zukunftsentwicklung der Hauptstadt ist. Der Jurist Prof. Markus Heintzen und der Ökonom Prof. Lutz Kruschwitz entwickeln im nachfolgenden Artikel die Vision von einer Freien Universität als Stiftungsuniversität, die von staatlicher Finanzierung unabhängiger wäre.
Stiftungsuniversität was ist das? In Reinform hat man sich darunter eine Universität vorzustellen, deren Haushalt vollständig aus den Erträgen eines Stiftungsvermögens finanziert wird und die privatrechtlich organisiert ist. An einer solchen Universität sind die Professoren keine Beamten und, erst recht, keine Angestellten im öffentlichen Dienst; eine Stiftungsuniversität beschäftigt auch kein Tarifpersonal nach BAT. Ihre Leitungsorgane handeln sowohl auf zentraler Ebene als auch auf der Ebene ihrer Gliederungen, insbesondere der Fachbereiche, auch nach kaufmännischen Kriterien. Sollten die Leitung und die Professoren im nationalen und internationalen Wettbewerb versagen, könnten die relevanten Kapitalgeber ihnen ihre Gunst rasch und wirksam entziehen. Das zwingt zu dauerhaften Anstrengungen aller in einer solchen Universität aktiven Personen, und das kann nicht schlecht sein.
Für die Freie Universität Berlin bedeutet das in den Zahlen des Jahres 2002, dass bei einem Haushalt von 435 Mio. Euro, davon 112 Mio. Euro für die Medizin (eine Zahl, die insbesondere um die darin enthaltenen Pensionslasten zu bereinigen wäre) und einer am Kapitalmarkt zu erzielenden Rendite von 4,8 Prozent bei einer erwarteten Inflationsrate von 2,5 Prozent ein Kapitalstock von etwa 20 Mrd. Euro erforderlich ist. Die Freie Universität Berlin wäre als Stiftungsuniversität der Rechtsform nach nicht mehr Körperschaft des öffentlichen Rechts, die ggfs. Stiftungen und Nachlässe verwaltet, sondern selbst Stiftung. Wenn sich der Aufwand des Rechtsformwechsels lohnen soll, müsste sie Stiftung des privaten, nicht des öffentlichen Rechts werden.
Der genannte Geldbetrag kann aus dem Stand natürlich auf keinen Fall aufgebracht werden, schon gar nicht in Berlin. Doch das ist kein Knockout-Argument gegen das Modell einer Stiftungsuniversität. Die Harvard-Universität hat für den Aufbau ihres Vermögens von etwa 150 Mrd. US-Dollar schließlich 150 Jahre gebraucht und wird aktuell in jedem Jahr mit etwas mehr als 15 Prozent ihres Haushalts (2000 ca. 2 Mrd. US-Dollar) aus öffentlichen Geldern finanziert. Keine Stiftungsuniversität wird und will ohne einen staatlichen Finanzierungsbeitrag auskommen, dem staatlicher Einfluss auf die Organisation und das Fächerspektrum und staatlicher Schutz der Freiheiten von Studium, Lehre und vor allem Forschung zu entsprechen hat. Trotzdem bleibt die Forderung und sei es auf einen langen Zeitraum gestreckt einen nennenswerten Kapitalstock aufzubauen und die Abkehr von der gegenwärtigen Realität von Universitäten ohne finanziellen Spielraum. Eines muss ganz klar sein: Stiftungsuniversität ist kein Sparmodell, auch für den Landeshaushalt nicht.
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Prof. Dr. Markus Heintzen
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Prof. Dr. Lutz Kruschwitz
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20 Mrd. Euro in 60 Jahren
Wer eine staatliche Volluniversität in eine Stiftungsuniversität umwandeln will, muss einen langen Atem haben. Der dafür nötige Zeitraum lässt sich nicht exakt beziffern, wird aber auf mehrere Jahrzehnte geschätzt. Die Schwierigkeit der Schätzung ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass der Aufbau eines Kapitalstocks von etwa 20 Mrd. Euro von Einflussfaktoren abhängt, die man in ihrer langfristigen Entwicklung kaum unter Kontrolle hat. Nehmen wir an, dass man heute mit einem Stand von null Euro beginnt und jährlich 150 Mio. Euro einzahlt, was ziemlich optimistisch ist, wenn man bedenkt, wie führende Unternehmen der deutschen Wirtschaft sich anstrengen mussten, um diesen Betrag für die gerade in Berlin in Gründung befindliche European School for Management & Technology aufzubringen. Nehmen wir ferner an, dass sich das Kapitalkonto inflationsbereinigt jährlich mit 2,5 Prozent verzinst. Dann braucht man etwa 60 Jahre, um die gewünschten 20 Mrd. Euro zusammenzubekommen! Selbstverständlich ist vorstellbar, dass der Staat z.B. Grundvermögen zur Verfügung stellt, damit nicht beim Stand von null Euro begonnen werden muss. Ferner ist vorstellbar, dass sich der Staat am Aufbau des Stiftungsvermögens beteiligt. Trotzdem müsste sich an der Stiftungsmentalität und der staatlichen Förderung des Stiftungswesens hierzulande Grundlegendes ändern, wenn das Ziel nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag erreicht werden soll. Private Stifter zu gewinnen, die ihr Geld auch dann zur Verfügung stellen, wenn es nicht um eine Business School geht, sondern etwa um mittelalterliche deutsche Dichtung oder um Kinderpsychiatrie, erfordert einen Einstellungswandel, der im Lande der Dichter und Denker bisher wohl noch nicht zu Ende gedacht wurde.
Die Idee der Stiftungsuniversität ist nichts, was man im Verein mit Zaghaften umsetzen kann. Man braucht einen großen Optimismus und eine gehörige Portion Zuversicht in den politischen Reformwillen dieses Staates und in den Gemeinwillen seiner Bürger. Gerade in Berlin gibt es historische Vorbilder, die die richtige Orientierung geben könnten.
Die Forderung, hier nicht nur unterstützend, sondern ideenreich zu gestalten, richtet sich in erster Linie an die Bundesländer, die derzeit in der Hauptsache die Träger der Hochschulen in Deutschland sind. Sie enthält zwei Punkte, die viele Politiker hassen und darum, ohne dies offen zuzugeben, bekämpfen werden: nämlich erstens größere Geldbeträge nicht sogleich auszugeben und zweitens sich längerfristig, auch über die nächste Wahl hinaus, festzulegen. Die Politik muss sich aber überlegen, ob sie zur Verschleierung der Unfinanzierbarkeit ihres in den 70er Jahren gefassten Öffnungsbeschlusses weiterhin das Klagelied von der mangelnden Qualität deutscher Hochschulen und der Faulheit ihrer Professorenschaft herunterleiern will und lieber erfolgreiche Universitätsklinika schließt, als sich die Fehlerhaftigkeit der eigenen Prämissen einzugestehen, oder ob sie ernsthaft gegensteuert. Ein Vorteil des Modells der Stiftungsuniversität liegt auch darin, dass dieses Modell für internationale Kooperationen, etwa Allianzen von Hochschulen verschiedener Staaten, offener ist. Die bisher in Deutschland vorherrschende Organisationsform von Hochschulen, die Körperschaft des öffentlichen Rechts, hat heute, gerade auch in der Variante der Gruppenuniversität, etwas altbacken Nationalstaatliches.
Stiftungsuniversität ist ein Modell der Hochschulorganisation und finanzierung. Es geht nicht um Leitbilder oder Bildungs- und Forschungsziele. Das Humboldtsche Universitätsideal kann ohne weiteres, möglicherweise besser, in der Form einer Stiftungsuniversität verwirklicht werden. Vorbilder in anderen Ländern beweisen das.
Über Stiftungsuniversität wird derzeit nicht nur in Berlin, sondern bundesweit diskutiert. Einige Bundesländer ändern deswegen ihre Hochschulgesetze. Da der Staat auf absehbare Zeit an der Unterfinanzierung der Hochschulen nichts ändern kann, ist anzunehmen, dass diese Diskussion keine vorübergehende Erscheinung sein wird.
Prof. Dr. Markus Heintzen
Der Autor ist Professor am
Fachbereich Rechtswissenschaft der
Freien Universität
Prof. Dr. Lutz Kruschwitz
Der Autor ist Professor am Fachbereich
Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität
Illustration: unicom/elfenbeinturm.net
Foto Heintzen: Aufschlager
Foto Kruschwitz: Kundel-Saro
Das Buch zum Thema
Die Freie Universität Berlin als Stiftungsuniversität ist der Titel eines Buches, das im Juni 2002 im Verlag Duncker & Humblodt erschienen ist. Der von Prof. Markus Heintzen und Prof. Lutz Kruschwitz herausgegebene Sammelband enthält Vorträge und Stellungnahmen von Wissenschaftlern und Politikern, die im Februar 2002 an einer Diskussionsveranstaltung in der Freien Universität zum selben Thema teilgenommen hatten.
Die Freie Universität Berlin als Stiftungsuniversität
Herausgegeben von Markus Heintzen und Lutz Kruschwitz
Verlag Duncker und Humblot, Berlin 2002
ISBN 3-428-10874-4
ISSN 1433-0911
Preis: 46,- Euro
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