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[Leserbrief]


Artikel zu „Improved reading“ in den FU-Nachrichten 5-6/2002, Seite 7

Die FU-Nachrichten veröffentlichten in ihrer Ausgabe (5-6/2002): Im Bann des Accelerators den Erfahrungsbericht einer Studentin, die im Auftrag der Redaktion die Veranstaltung „improved reading“ besucht hat. „Improved reading“ vermittelt international anerkannte Techniken effizienten Lesens, die bei der Bewältigung des Lektürepensums helfen. Die Veranstaltung wird an der Arbeitsstelle für Kommunikationsgeschichte und interkulturelle Publizistik (AKIP) an meinem Lehrstuhl in Zusammenarbeit mit dem CareerService der FU durchgeführt und wissenschaftlich begleitet. Der Artikel ist in einem spöttischen Ton verfaßt und von den Emotionen der Autorin geprägt. Auf dieser Grundlage werden die Lehrmethode und die Form der Vermittlung scharf angegriffen. Der Artikel endet mit dem Urteil, „improved reading“ sei „australische(r) Voodoozauber“ und „keine seriöse Lehrmethode“. Der Leser kann dies nicht überprüfen, da ihm das Wesentliche vorenthalten wird. So wird darauf verzichtet, die „Säule“ der Methode, die zentrale Kategorie der ERR (Effektive Reading Rate) zu erläutern. Diese Kategorie misst die individuelle Lesefähigkeit, die sich aus der Kombination von Lesegeschwindigkeit und Textverständnis errechnet. Die ERR wird in einer Zahl dargestellt, die Auskunft über den Fortschritt des Teilnehmers während des Kurses gibt. Der Artikel erweckt den Eindruck, in dem Kurs gehe es hauptsächlich um die Geschwindigkeit beim Lesen. Unter diesem Aspekt wird auch der Lesebeschleuniger (Accelerator) abqualifiziert und verkannt. Denn dieses Gerät dient nicht dem sinnentnehmenden Lesen. Es wird zu einer physischen Übung eingesetzt, um hinderliche Lesegewohnheiten abzubauen und effiziente einzuüben.

Der Artikel schließt mit dem Vorwurf, der individuelle Kurserfolg beruhe auf Autosuggestion: Jeder rechtfertige sein persönliches und finanzielles Engagement vor sich selbst, indem er eine Verbesserung der Lesefähigkeit verspüre. Dieses Phänomen sei, wie ein FU-Psychotherapeut erläutert habe, als „effort justification“ bekannt. Nachfragen ergaben, dass der Psychotherapeut zwar das Phänomen erklärt, aber nicht wusste, wofür seine Ausführungen instrumentalisiert wurden. Die durchschnittliche Verbesserung der ERR bei 65 Teilnehmer/innen der an der FU durchgeführten Kurse liegt bei knapp dem Dreieinhalbfachen des gemessenen Ausgangswerts. Vor diesem positiven Ergebnis erstaunt es, dass „improved reading“ für die FU-Nachrichten als „fauler Zauber“ gilt, während in- und ausländische Universitäten „improved reading“ inzwischen einführen. Seriöser Journalismus informiert den Leser so, dass er abschätzen kann, ob ihm die Teilnahme nützt oder nicht. Seriöser Journalismus läßt Gegner und Befürworter zu Wort kommen und befragt die Verantwortlichen. Dieser Artikel ist von seriösem Journalismus weit entfernt. Denn weder die Verfasserin noch die Redaktion der FU-Nachrichten haben mich, meinen Assistenten, der die Methode evaluiert oder den CareerService befragt. Dabei hätte ich gerne über die Anforderungen an die Lesefähigkeit des akademischen Nachwuchses, die Ergebnisse der PISA-Studie und die sich daraus ergebenden Konsequenzen, die Bedeutung von Strategien der Informationsverarbeitung in der Wissensgesellschaft Auskunft gegeben. In diesem Kontext hätte die Lehrmethode „improved reading“ auf ihre Möglichkeiten hin untersucht werden können. Es wäre wünschenswert, die Debatte um das Lesen und die Lesetechniken auch an der FU auf einem deutlich höheren, vor allem sachlicheren Niveau zu führen.

Prof. Dr. Bernd Sösemann


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