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kleine Tintnefischologie für den Hausgebrauch

Die Giganten:

Architeuthis dux, so lautet der wissenschaftliche Name dieses Riesen der heutigen Tintenfischwelt. Über seine wirkliche Maximalgröße kann man nur spekulieren, aber zumindest 18 Meter sollen es sein – davon macht der Körper nur fünf bis sieben Meter aus, der Rest besteht aus Kopf und den zehn Fangarmen. Der Atlantische Riesenkalmar lebt wahrscheinlich in 200 bis 400 Metern Tiefe im nördlichen Atlantik. In den Kaltwasserauftriebsgebieten vor Neufundland, Kanada und Norwegen werden diese Tiere regelmäßig tot angespült. Lebendig hat noch kein Wissenschaftler einen Architeuthis vor die Augen oder die Kamera bekommen; deshalb basieren viele Informationen noch auf Vermutungen. Das Wissen wurde durch Untersuchungen an toten Tieren gesammelt. Funde von Handteller großen Schnäbeln oder von Augen mit 40 Zentimetern Durchmesser legen die Annahme nahe, dass große Riesenkalmare bei einem Gewicht von mindestens 200 Kilogramm mehr als 20 Meter lang werden. Von Zeit zu Zeit wird angeblich beobachtet, dass diese Tiere mit auftauchenden Pottwalen kämpften. Das ist falsch: Zwar ist der Pottwal der größte Feind von Architeuthis, doch an der Wasseroberfläche sind die Tintenfische meist schon tot und hängen nur noch an den Walen, weil ihre Saugnapfringe mit Widerhaken bestückt sind. Auch in der erdgeschichtlichen Vergangenheit dokumentieren Fossilfunde von Kopffüßer-Gehäusen, etwa aus der Kreide-Zeit, die Existenz wahrer Giganten. So wurden im westfälischen Münsterland bisher die weltweit größten Ammoniten mit dem Namen Parapuzosia gefunden, deren Durchmesser bis zu drei Meter erreichte.

Der Winzling:

Ein ausgewachsener Idiosepius paradoxus erreicht eine Gesamtlänge von höchstens eineinhalb Zentimetern. Aber dieser Knirps hat es in sich: Er attackiert auch Krebstiere, die genau so groß sind wie er selbst. Wenn Idiosepius sich einen dieser gammariden Amphipoden von hinten gepackt hat, beißt er sich so schnell wie möglich zum Herz durch. Die Nördliche Zwergsepie ist in Japan und im südlichen China verbreitet, mindestens bis Hongkong.

Der Giftige:

An den Stränden Australiens stehen Warnschilder mit der Aufschrift „Danger – Blue Ring Octopus“. Und das zu Recht! Der Hapalochlaena wird zwar nur bis zu 16 Zentimeter groß, ist aber lebensgefährlich. Der Grund: Dieser Krake lähmt seine Beute durch ein Nervengift, das von Bakterien in seinem Speichel produziert wird und bisher nachgewiesenerweise drei Menschen getötet hat. Das Tetrodotoxin lähmt nur die willkürliche Muskulatur, die wir bewusst steuern; Herz, Iris und Darmwand arbeiten normal weiter. Die Opfer bleiben bei Bewusstsein und sterben durch Sauerstoffmangel. Bei Mund-zu-Mund-Beatmung erholt sich der Mensch fast vollständig. Aber darauf sollte man sich nicht verlassen!

Die Urtümlichen:

Den Nautilus hat wohl jeder schon einmal gesehen – sei es im Aquarium oder in einem Buch. Schließlich hat Jules Verne in seinem Buch „20.000 Meilen unter dem Meer“ nicht zufällig das U-Boot des Kapitän Nemo nach ihm benannt. Das „Perlboot“ trägt sein rotbraun-weiß zebragestreiftes Gehäuse mit etwa 20 Zentimetern Durchmesser noch außen, genau wie die seit 65 Millionen Jahren ausgestorbenen Ammoniten. Der größte Teil des Gehäuses ist in gasgefüllte Kammern unterteilt, in die nach dem U-Boot-Prinzip je nach Bedarf Wasser geflutet bzw. abgepumpt wird und sich das Tier in ein Gleichgewicht mit seiner Umgebung versetzt. Nautilus ruht tagsüber in 300 bis 400 Meter Tiefe, um in der Nacht an den Wänden der tropischen Korallenriffe aufzusteigen und zu fressen. Weniger spektakulär kommt Spirula daher: Etwa sieben Zentimeter groß hat auch das „Posthörnchen“ noch ein spiraliges Gehäuse, das völlig verdeckt im Mantel liegt und dem Tier seinen populärwissenschaftlichen Namen gab. Auch Spirula steigt nachts zum Fressen auf (von 550 bis 1000 auf 100 bis 300 Meter Tiefe). Es wurde beobachtet, dass dieser Cephalopode Kopf und Arme komplett in den Mantel zurückzieht und diesen mit zwei zugespitzten Hautlappen verschließt. Zudem hat das „Posthörnchen“ Leuchtor-gane, deren Funktion noch nicht geklärt ist.

Das «lebende Fossil» eines Nautilus im Aquarium.

Spirula trägt sein Gehäuse verdeckt im Mantel.

Der Geheimnisvolle:

Schon der Name lässt einen erschaudern – Vampyroteuthis infernalis! Zwar ist der nächste Verwandte des Kraken-Urahns mit maximal 13 Zentimetern recht klein geraten, aber sein Körper weist einige erstaunliche Merkmale auf. Zwischen den acht Armen sind Häute ausgebildet, die bei Beunruhigung über den Körper gezogen werden und so an den Umhang des Grafen Dracula erinnern. Zudem besitzt das Tier zwei fadenartige Tentakeln, die wohl als Fühler dienen und in Gruben zwischen dem ersten und zweiten Armpaar eingezogen werden können, und zwei Flossen am Hinterende des Mantels. Vampyroteuthis hat diverse Leuchtorgane inklusive einem Paar mit verschlussartigen Lidern und kann aus unbekannter Quelle Leuchtpartikelwolken ausstoßen, die bis zu zehn Minuten leuchten. Dies dient wahrscheinlich zur Verwirrung potenzieller Räuber. Der Tiefseevampir lebt in 600 bis 1.000 Metern Tiefe in tropischen Gewässern aber auch in den Meeren der gemäßigten Klimazonen.

Micha Bustian

Fotos:
Die Fotos sind dem im Hamburger Jahr-Verlag erschienenen "Tintenfischführer"
(ISBN 3-86132-506-3) entnommen worden.

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