Ein Elternpaar übergibt sein Kind dem Teufel;
Holzschnitt von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1498.
Vom Teufel besessen zu sein, das war die gefährlichste Verdächtigung, der man im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa und Nordamerika ausgesetzt sein konnte: Hunderttausende endeten auf Scheiterhaufen. Vor allem Frauen fielen dem religiösen Wahn zum Opfer, der sich zur Zeit der spanischen Inquisition am grausamsten austobte. Es waren so viele, dass die Hexer aus unserem kulturhistorischen Gedächtnis verdrängt wurden. Die historische Forschung beginnt, deren Geschichte zu rekonstruieren. Dabei stößt sie auf Fakten, die uns heute zunächst unglaublich erscheinen: Auch zahlreiche Kinder wurden im Namen Gottes gefoltert und verbrannt. Die Historikerin Claudia Jarzebowski vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin verfolgt seit kurzem die Schicksale der Kinder des Teufels.
Opfer Täter Opfer
Die Geschichte dieser Kinder gliedert Jarzebowski in drei Abschnitte: Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wurden die Jungen und Mädchen lediglich als unschuldige Betroffene in Prozessen gegen erwachsene Hexen und Hexer verhört. Erst mit einem Wandel der alles entscheidenden Indizienlehre gelang es, Kinder als Akteure in die Verfahren zu integrieren, galt doch ihre Aussage von nun an als glaubwürdig. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts kam es zu ersten größeren Prozessen gegen Kinder, die nun nicht mehr als Zeugen, sondern als Täter und Täterinnen verhört, gefoltert und verurteilt wurden. Das gesamte 17. und beginnende 18. Jahrhundert hindurch kam es zu zahlreichen Hinrichtungen. Es spricht einiges dafür, dass Kinder in den Hexenprozessen der dritten Verfolgungswelle den Großteil der Angeklagten stellten. Als sich schließlich die Gegner der Hexenlehre durchsetzten und die Hexenprozesse abflauten, galten auch Kinder wieder als Opfer ihrer Einbildungskraft, der Instrumentalisierung durch Erwachsene und richtender Instanzen.
Doch wer waren die Kinder, die als Hexen an den Pranger gestellt wurden? Diese Frage erörtert die Historikerin zunächst vornehmlich aufgrund von Publikationen, die sich mit dem Phänomen beschäftigt haben. Der Hexenhammer vom Ende des 15. Jahrhunderts kennt Kinder lediglich als Opfer: Hexen sollen tote Säuglinge aufgefressen, ihr Blut getrunken und Salben aus Körperteilen gemixt haben. Das sei ein äußerst populäres Motiv für Abbildungen dieser Zeit, konstatiert Jarzebowski. Insbesondere totgeborene Kinder galten in der frühneuzeitlichen Gesellschaft als prädestiniert für derartige Praktiken, da ihnen die Taufe und damit die Aufnahme in den Kreis der Gesegneten versagt blieb. So wurden sie leicht Opfer des Teufel. In diesem Zusammenhang verleiht die Forscherin den Hebammen auch Hexenhebammen genannt eine zentrale Bedeutung, denn sie waren die ersten, die ein Neugeborenes in den Händen hielten. Standen sie unter dem Einfluss des Teufels, waren sie dessen bestes Werkzeug wobei jede der recht häufigen Totgeburten ein Indiz gegen die Hebamme war. Deshalb konzentrierten sich viele Vorwürfe auf Hebammen und ließen sie somit zu einer gefährdeten sozialen Gruppe werden.
Mütter als Bindeglied zwischen Teufel und Kind
Mitte des 17. Jahrhunderts wurde nicht mehr ausgeschlossen, dass auch getaufte Kinder vom Satan verführt und in seinem Sinne aktiv wurden doch galten die Kinder nicht von Natur aus als böse: In das Kreuzfeuer der Kritik gerieten die Eltern, denen mangelnde Erziehung und unzureichende religiöse Unterweisung zum Vorwurf gemacht wurden, wobei insbesondere die Mütter meist ebenfalls unter dem Verdacht standen zu zaubern und zu hexen und somit das Bindeglied zwischen Teufel und Kindern zu bilden. Das sei auch die Erklärung dafür, dass viele Prozesse nicht nur gegen Kinder, sondern gleichzeitig nahe Verwandte und Bekannte geführt wurden, so Jarzebowski. Da sich Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen in der Regel selbst bezichtigten und erst im Laufe des Verfahrens gegen Verwandte oder Bekannte aussagten, kamen einige Gelehrte darüber hinaus zu der Überzeugung, Kinder könnten auch selbsteygen böse sein und direkt für den Teufel agieren, so etwa der Theologe Michael Freude. Doch sei umstritten, ob Erwachsene, die nicht schon aus anderen Gründen im Verdacht der Hexerei standen, allein aufgrund der Aussagen von Kindern verurteilt wurden; ein Problem, welches bei der gegenseitigen Bezichtigung unter Kindern meistens wegfiel.
Kindern komme, so die These von Claudia Jarzebowski, in der Geschichte der Hexerei eine eigene Bedeutung zu. So geht beispielsweise aus den bisher aufgearbeiteten Dokumenten und Schriften hervor, dass die unmittelbaren dörflichen Autoritäten in der Regel nicht die Instanzen waren, die die Prozesse gegen Kinder initiierten. Vielmehr herrschte auf dieser unteren gesellschaftlichen Ebene eine große Ratlosigkeit. Die von der Obrigkeit angeklagten Kinder wurden zu todgeweihten Werkzeugen der Macht: Sie dienten der konfessionellen Disziplinierung der Untertanen.
Die Selbstbezichtigung ist ein wesentliches Merkmal der Kinderhexen. Aus heutiger Sicht sind die Motive für die Selbstaussagen der Kinder noch nicht klar erforscht. Man weiß auch nicht, wie glaubwürdig die Quellen sind. Die Publikationen insbesondere des 17. Jahrhunderts zeigen, dass die meist eng an fürstliche Obrigkeiten angebundenen Verfasser die Eltern-Kind-Beziehung als autoritäres Herrscher-Untertanen-Verhältnis wahrnahmen und beschrieben. Der Aufruf an die Eltern, ihre Kinder zu disziplinieren und in ihrem Glauben anzuleiten, könne somit als Versuch verstanden werden, die Reichweite des obrigkeitlichen Einflusses auszudehnen.
Das Thema Kinderhexen ist damit aber längst nicht erschöpfend behandelt. Vieles liegt bisher noch im Dunkel der Geschichte verborgen. Doch die Beschäftigung mit Kinderhexen wird einige überkommene Vorstellungen modifizieren wenn nicht gar vollends revidieren; so z.B. von der Kindheit und den Kindheitsbildern in der Frühen Neuzeit Darüber hinaus ermöglicht die Auseinandersetzung mit Kinderhexen einen neuen Blick auf Hexenprozesse, jenseits der Frage des Geschlechts.