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Mexico im Wandel -
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„Das Gesicht, das sich verbirgt, um sich zu zeigen“, EZN-Mitglieder beim Ersten Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus, Chiapas, Mexiko 1996.


Chiapas: Das Haupteinflussgebiet der Zapatisten liegt im Norden und Osten, entlang der Grenze zu Guatemala.


   
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[Mexiko im Wandel - Vom Reichtum der Worte]

[Foto]

Subcomandante Marcos – „Ein maskierter Mythos“

von
Anne Huffschmid/Anne Schillo

Rechtzeitig zur „Zeitenwende“ in Mexiko liegen die Ergebnisse der Untersuchung „Die Spiegel-Strategie – Zur Wortergreifung der Zapatistas und ihren Resonanzen in der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit“ vor. Im Rahmen dieses von der VW-Stiftung finanzierten Forschungsprojekts hat sich Anne Huffschmid am Lateinamerika-Institut eingehend mit der neuartigen und nach herkömmlichen Kriterien schwer zu verstehenden Diskursstrategie der Zapatistas beschäftigt. Sie findet in der zapatistischen Selbst-Behauptung auch Erklärungen, warum international die Kommentierung des eher fernen und fremden Zapatistenaufstandes regelmäßig zu einer Reflexion über „eigene Themen“ wie Demokratie und ethnische Plurikulturalität, Zivilgesellschaft, Nationalstaat und Menschenwürde führt.

Als Vicente Fox am 1.Dezember 2000 sein Amt antrat, beendete er damit die 70Jahre währende Regentschaft der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI), die seit 1928 den Präsidenten in Mexiko stellte. Als deren Kandidat im Juli 2000 dem Kandidaten der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) Vicente Fox unterlag, war das eine Sensation, die im Land als „Zeitenwende“ oder „Mauerfall“ gefeiert wurde. Ob damit auch der sogenannte Chiapas-Konflikt beigelegt werden kann, bleibt abzuwarten. Erste Schritte sind getan: Strategische Militärstützpunkte sind seit Antritt der Fox-Regierung abgebaut, ein Teil der inhaftierten Oppositionellen wurde freigelassen und der Kongress wird über ein bislang offiziell blockiertes Abkommen zu Indio-Rechten beschließen.

Zweifellos wird aber im Zeichen dieses Demokratisierungsschubes das internationale Augenmerk wieder auf die wohl ungewöhnlichste Befreiungsbewegung Lateinamerikas gelenkt: die überwiegend indigene Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung (EZLN), die mit ihrem spektakulären Aufstand im Januar 1994 weltweites Aufsehen erregte. Diese Armee – benannt nach dem 1919 ermordeten Bauernführer Emiliano Zapata – machte damit nicht nur auf die Probleme der indianischen Bauern aufmerksam, sondern brachte auch erstmals Themen wie Rassismus und indigene Misere in die Demokratiedebatten in Mexiko und andere Teile der Welt. Die Regierung beantwortete diese Aktionen zunächst mit dem Einsatz von Soldaten, schloss dann jedoch auf nationalen und internationalen Druck (und nach neuen Kämpfen) einen Waffenstillstand.

Allerdings machen seither die maskierten Rebellen weniger durch ihre Waffenausstattung als durch ihre eloquente Diskursproduktion – in deren Mittelpunkt, anders als bei traditionellen Aufstandsbewegungen, Konzepte wie Demokratie und Menschenwürde stehen – von sich reden. Wie die unorthodoxe Indio-Guerilla aus dem entlegenen Regenwald es mittels ihres intellektuell geschulten und literarisch begabten Wortführers Subcomandante Marcos vermochte, sich in die nationalen und internationalen Demokratiedebatten einzukoppeln und dabei zugleich zum Katalysator für eine neu entfachte Utopiediskussion zu werden, damit beschäftigt sich das Forschungsprojekt „Die Spiegel-Strategie – zur Wortergreifung der Zapatistas und ihren Resonanzen in der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit”.

Die Studie, die über einen Zeitraum von zwei Jahren von der VW-Stiftung finanziert wurde, ist eine interkulturelle Kooperation zwischen dem Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und dem Sozialanthropologischen Forschungszentrum CIESAS in Mexiko-Stadt. Hauptverantwortlich für Konzeption und Durchführung war Anne Huffschmid (LAI), mit Unterstützung der argentinisch-mexikanischen Linguistin Teresa Carbû (CIESAS).

Kernthese der Studie ist die Annahme, dass es sich bei der EZLN nicht (nur) um eine weitere „neue soziale Bewegung“ und erst recht nicht um die Wiederbelebung eines anachronistisch anmutenden Guerillamodells handelt, sondern um einen neuartigen Akteur. So zeichnen sich die zapatistischen Diskurse nicht durch programmatische oder ideologische Festlegungen, sondern gerade durch eine strukturelle Offenheit und Flexibilität aus, die jeden Versuch der Etikettierung – etwa als „Reformisten”, „Revolutionäre” oder „Utopisten” – von vornherein ad absurdum führt. Ein offizieller Unterhändler beklagt denn auch den „Mutanten-Charakter” der Aufständischen, „die ihre Propaganda dem anpassen, was ihr Publikum gerade hören will”. Diese interaktive Dynamik wird von den Zapatistas gar nicht bestritten, sondern vielmehr zu einem der Kernelemente ihrer kommunikativen Strategien erklärt. So erklärte Subcomandante Marcos das Prinzip im Gespräch mit dem argentinischen Schriftsteller Juan Gelman: „Wir klopfen an Türen und wo wir eine offene finden, da gehen wir rein und klopfen weiter an andere Türen und immer so weiter”. Eben diese Strategie des „Anklopfens” und der geöffneten Türen, also die fortgesetzte Interaktion zwischen Guerilla und Gesellschaft(en) steht im Zentrum der diskursanalytisch inspirierten Studie.

Auf der Grundlage eines umfangreichen Textarchives, in dem sowohl eine Auswahl zapatistischer Texte, wie auch Presseberichte, intellektuelle Essays und Publikationen aus dem Umfeld sozialer und Solidaritätsbewegungen (einschließlich Internet) systematisiert und ausgewertet wurde, sollte nachvollzogen werden, wie der Zapatismo sich auf diesen verschiedenen Bühnen von ,Öffentlichkeit’ im Wechselspiel mit seinen Rezipienten aus Mexiko und anderen Teilen der Welt permanent selbst rekonstruiert. Als Leitfäden fungierten dabei zum einen Diskursfelder wie Zivilgesellschaft, Menschenwürde oder Autonomie.

Zum anderen wurden als zentrale Charakteristika der zapatistischen Diskursstrategie ihr Hang zum Metaphorischen, ihre strukturelle Paradoxie sowie ihre Tendenz zu Grenzüberschreitungen – in geographischer, sprachlicher und vor allem definitorischer Hinsicht – herausgearbeitet. Wie fruchtbar, und keineswegs rein akademisch, die diskursanalytisch geleitete Untersuchung politischer Strategien sein kann, zeigt schon ein allererstes Beispiel aus dem jüngsten mexikanischen Kontext: War die EZLN einst unter dem Schlachtruf „Ya basta” (es reicht) angetreten, so lautete sechs Jahre später der Wahlslogan des neuen Präsidenten Vicente einfach „Ya” (genug!). Mit dieser Losung, die mexikanisches Lebensgefühl als effektive – von Anhängern und Wählern mit eigenen Erfahrungen aufzufüllende – „Leerstelle” konstruiert, haben sich beide Akteure gleichermaßen buchstäblich und unwiderruflich in den Demokratisierungsprozess ihres Landes eingeschrieben.

Dabei waren es, so lautet eine der Thesen aus der Untersuchung, allerdings zu allererst die maskierten Indio-Rebellen, die dem Wort als Waffe neue und effektive Schärfe im Kampf um Demokratie und Menschenwürde verliehen haben. Wie derlei Leerstellen in ihrer Resonanz jeweils mit „Lehren“ und „Lektionen“ aufgeladen werden, dafür seien anhand der intellektuellen Rezeption aus aller Welt einige prägnante Beispiele rekapituliert.

So sieht beispielsweise der Franzose Regis Debray im Zapatismo „eine neue kollektive Mentalität”, der Berliner Wolf Fritz Haug den „Beginn einer neuen linken Bewegung”, und für den Spanier Manuel Vázquez Montalban steht in Chiapas gar „der ethische Sinn dieser Jahrtausendwende auf dem Spiel”. Der Franzose Yvon Le Bot wertet als wichtigsten Beitrag der EZLN „ihre Fähigkeit, Fragen zu stellen in einer Welt, in der fast niemand sich mehr etwas fragt, auch nicht die Linke”.

In einer komplizierter gewordenen Welt sei der Zapatismo „vielleicht nicht die Antwort”, aber zumindest doch „eine sehr gute Frage“.

Foto: Jens Holst

 
 
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