Stefanie Stallschus - Gombrich / Luhmann // Fortschritt / Evolution | ||
Die Gegenüberstellung der beiden Texte von Gombrich und Luhmann fällt
von der Gewichtung nicht immer ganz gleichmäßig aus, weil es
eine essentielle Diskrepanz besteht: Gombrichs Text ist aus zwei Vorträgen
hervorgegangen, in denen er beileibe kein Fortschrittsmodell für die
Kunst entwickelt; im Gegensatz zu Luhmann, dessen evolutionistische Auffassung
von Entwicklung fester Bestandteil seiner Systemtheorie ist. Deshalb lassen
sich Gombrichs Ausführungen nur unter Schwierigkeiten auf die zeitgenössische
Kunst übertragen, so daß darauf in Kapitel 6 ganz verzichtet
wurde. Dieser generelle Unterschied macht es unmöglich die Thesen
der Autoren gegeneinander aufzurechnen.
Auffällig ist, daß die Kunst der Gesellschaft als systemtheoretischer
Ansatz in der Kunstwissenschaft kaum rezipiert worden ist, ganz im Gegensatz
zu den Literaturwissenschaften. Dabei sind der Phantasie keine Grenzen
gesetzt, Bezugspunkte, besonders für die Kunst des 18. bis 20. Jahrhunderts,
herzustellen. Ob nun, wie in der vorliegenden Arbeit, das Phänomen
der historischen Reflexivität in der Kunst oder die Stilproblematik
zu Anfang des 20. Jahrhunderts thematisiert wird. Ebenfalls ist denkbar,
die Selbstbeobachtung des Kunstsystems ins Visier zu nehmen unter dem Stichwort
"Betriebssystem" und dafür verschiedene Arbeiten von zeitgenössischen
Künstlern heranzuziehen. Oder man macht die Systemtheorie in
einem allgemeineren Sinne fruchtbar für das Verhältnis von Kunstwerk
und Kontext (analog zu System und Umwelt), wie es Wolfgang Kemp vorgeschlagen
hat. Zumindest da, wo sich andere Perspektiven eröffnen könnten,
wäre es doch nicht verkehrt einmal über neue theoretische Modelle
nachzudenken, oder?
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