Stefanie Stallschus - Gombrich / Luhmann // Fortschritt / Evolution


Von Kunstgeschichte und Gesellschaftstheorie Man verfolgt die Idee vom Fortschritt oder überträgt die Evolutionstheorie auf soziale Vorgänge Man geht aus vom Lebensraum des Bildes oder von der Autopoiesis des Systems Man unterscheidet die Situation des Künstlers von der Logik des Systems
Die Hypertrophie der Stile oder: gewinnt die Evolution an Tempo? Ausblick auf die Bedeutung für die zeitgenössische Kunst Systemtheorie in der Kunstwissenschaft Literatur / Abbildungen

In der vorliegenden Arbeit sollen zwei Texte miteinander verglichen werden, deren Autoren in vielerlei Hinsicht unterschiedlicher nicht sein könnten. Beide widmen sich Mustern historischer Entwicklung in der europäischen Kunst, jedoch einmal unter dem Begriff "Fortschritt", einmal als "Evolution" aufgefaßt. Es handelt sich erstens um zwei Vorträge von Ernst H. Gombrich, die auf Deutsch unter dem Titel "Kunst und Fortschritt. Wirkung und Wandlung einer Idee" veröffentlicht wurden, und zum anderen um "Die Kunst der Gesellschaft" von Niklas Luhmann, insbesondere um das Kapitel "Evolution".

Ein Vergleich der beiden Autoren ist von daher nicht ganz einfach, weil die Unterschiede bezüglich des Interesses, der Herangehensweise und der Ergebnisse zwischen dem Kunsthistoriker Gombrich und dem Theoretiker Luhmann beträchtlich sind. Und doch verblüfft bei näherer Betrachtung, wie ähnlich die Beschreibungen historischer Kunstepochen ausfallen, und zwar hinsichtlich der jeweiligen Diskurse um die Direktiven zur Ausarbeitung und Beurteilung von Kunstwerken. Bei beiden Autoren wird die Selbstbeschreibung der Kunst - historisch - ähnlich problematisiert und zum Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung gemacht. Die Übereinstimmungen reichen von der Beobachtung genereller Zusammenhänge zwischen Kunst und Gesellschaft, bis hin zur Analyse des spezielleren Zusammenspiels von Kunstproduktion, -kritik und -geschichte.

Obwohl die Idee des "Fortschritts" in der einen oder anderen Form immer wieder in der Auseinandersetzung um Kunst relevant wird (bspw. bei Vasari, Winckelmann, usw.), findet dieser Bereich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung kaum Beachtung, weil die Entscheidung für ein bestimmtes Geschichtsmodell eher als latente Ideologieschwäche angesehen rsp. übersehen wird. Gombrich und Luhmann fragen - fern von unausgesprochenen Verurteilungen - zunächst danach, wie für die Kunst überhaupt von Fortschritt, bzw. Evolution gesprochen werden kann.

Ziel des Vergleichs soll sein, beide Modelle darzustellen und ihre Kohärenz bzw. ihre Reichweite herauszuarbeiten. Darüber hinaus liefern die Autoren ausreichend Material zu einer Klärung und sauberen Unterscheidung beider Begriffe - in früheren und auch zeitgenössischen Diskussionen um Fortschritt und Evolution kommt es nicht selten zu synonymen oder ungenauen Verwendungen, obwohl sich dahinter gegensätzliche Auffassungen von Entwicklung "verbergen". Als gelungen kann die Arbeit gelten, wenn eine Idee von der Relevanz der Modelle vermittelt werden kann, sowohl für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunst und das methodische Vorgehen, als auch für einige Bereiche der zeitgenössischen Kunstproduktion. Denn daß es durch die Entwicklung neuer Technologien und der Etablierung anderer Medien im 20. Jahrhundert eine solche Relevanz gibt, das soll eine zentrale These der vorliegenden Arbeit sein.

Da die beiden Autoren aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen stammen, fällt die Literaturliste ein wenig buntscheckiger aus als sonst für eine kunsthistorische Arbeit üblich. Ergänzend zu den oben genannten Ausgangstexten ist ein weiterer Aufsatz von Gombrich herangezogen worden, in dem er den Versuch unternimmt, die Entwicklung des Altarbildes als evolutionären Prozeß darzustellen. Bei Luhmann erwies es sich als hilfreich einen früheren Aufsatz über die "Selbstreproduktion" der Kunst hinzuzuziehen, weil er dort übersichtlich und auf kürzestem Raum sein begriffliches Regelwerk erläutert.

Eine brauchbare erste Einführung in die Systemtheorie Luhmanns findet man in einem kleinen, aber umfassenden Lexikon, während man über Gombrichs wissenschaftliche Arbeit näheres erfahren kann aus einem Gesprächsband mit Didier Eriborn oder auch aus der wissenschaftlichen Biografie von Lepsky. Leider gibt es keine nennenswerte (kunst-) wissenschaftliche Diskussion um Gombrichs Thematisierung von Fortschritt und Evolution in der Kunst, auf die man zurückgreifen könnte. Dagegen existieren verschiedene kritische Stimmen, die sich mit Luhmann auseinandersetzen - als ein Vertreter sei hier Habermas genannt. Für eine generelle Einordnung der beiden Ansätze erwies sich das Standardwerk Hausers zur Kunstsoziologie als sehr hilfreich.

Die verschiedenen Monographien zu Künstlern und Kunstwerken seien hier nicht aufgezählt, weil es sich zum einen um ganz verschiedene Themenkomplexe handelt, die im folgenden auftauchen werden, und zum anderen um gut erforschte Gebiete, an denen sich beispielhaft die verschiedenen Standpunkte charakterisieren lassen. Entsprechend wird nur eine geringe Zahl von Kunstwerken unter ausgewählten Aspekten verhandelt.

Die Arbeit beginnt mit einer Darstellung der beiden Autoren und einer knappen Übersicht zu ihrem wissenschaftlichen Werdegang. Die Ausgangstexte sollen in einen Zusammenhang mit den übrigen Interessengebieten der Autoren gestellt und die leitenden Fragestellungen zusammengefaßt werden. Daran schließt sich der Versuch einer Definition, welches Kunstverständnis die Autoren ihren Überlegungen zu Grunde legen. Ein einschneidender Punkt ist für beide Autoren die Historisierung der Kunst, die seit dem 18. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewinnt für die Betrachtung und Herstellung von Kunst. Die Auswirkungen dessen lassen sich beispielhaft an der Situation der französischen Kunst im 19. Jahrhundert studieren, so daß sich ein Kapitel ausführlicher dem Künstler Eugène Delacroix widmen wird, um an einem konkreten Beispiel die beiden Entwicklungskonzepte zu vergleichen. Das 20. Jahrhundert mit seiner spezifischen Entwicklungsdynamik in den Künsten wird ebenfalls von beiden Autoren ähnlich aufgegriffen, was hier kritisch betrachtet werden soll. Zuletzt werden Tendenzen der zeitgenössischen Kunst aufgezeigt, in denen dezidiert Schnittstellen von Evolution und künstlerischer Kreativität thematisiert werden, und die somit einen eigenen Standpunkt zu Entstehungsprozessen von Kunst etablieren.

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