Stefanie Stallschus - Gombrich / Luhmann // Fortschritt / Evolution | ||
Mühlmann hat in einem kurzen polemischen Kapitel extrapoliert,
wer/wie/was evoluiert wird unter der Rubrik "artificial life". Carl Sims
publizierte als Erster Computergraphiken, die mit Hilfe eines genetischen
Algorithmus erzeugt wurden und somit das Resultat eines "natürlichen"
Evolutionsprozesses waren. Als Kunstwerk läßt sich das bildliche
Endprodukt allerdings nicht mehr begreifen. "Der Genetische Algorithmus
kann allenfalls die komplette natürliche Kulturevolution simulieren,
die zum kulturellen Phänomen 'Erscheinen eines neuen Künstlers'
führt. Er kann diese Evolution mit all ihren Elementen simulieren,
mit der Kreation, der Ausstellung, der Rezeption, der Kritik, der ästhetischen,
qualitativen Bewertung, dem Verkauf, der ökonomischen, quantitativen
Bewertung." Im Text folgt dann die ausführliche Beschreibung
einer Versuchsanordnung, mit der sich das Computerexperiment "Erzeugung
eines neuen Künstlers" im sozialen Raum arrangieren läßt.
Mit seiner Ironie verweist der Autor auf eine zentrale Verschiebung innerhalb
der künstlerischen Arbeit, die nach evolutionären Prinzipien
Bilder erzeugt: es sind nicht mehr die Bilder, die als Kunstwerke aufgefaßt
werden, sondern der gesamte soziale Prozeß der Bilderzeugung stellt
eine künstlerische Aktion dar. Statt einer Evolution der Bilder wird
die Generierung des künstlerischen Akts, die Evolution von Kultur
sichtbar gemacht.
Wird Evolution als ein selbständig kreatives Geschehen verstanden,
wodurch sie sich vom Schöpfungsgedanken unterscheidet, und in diesem
Sinne fruchtbar gemacht für den künstlerischen Diskurs, dann
würde das verlangen, "... einmal den kreativen Prozeß und ferner
den Status der 'kreativen Materie', in die sich das erkennende bzw. erschaffende
Subjekt integriert, zu befragen". Daß es eine starke Interdependenz
zwischen Techniken/ Technologien auf der einen Seite und dem gesamten Komplex
der Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Erkenntnis auf der anderen
Seite gibt, ist unbestritten. Aber die verwendete Technologie oder die
Art der Kunst - ob Malerei, Architektur oder Medienkunst - gibt nicht den
Ausschlag für die gelungene Verabreichung komplexer Wahrnehmungsformen,
anhand dessen Kreativität oder Kreatürlichkeit reflektiert werden
könnten. Künstlerische Ansätze in dieser Richtung finden
sich bei den raffinierten Bewegungsexperimentatoren; als ein Beispiel sei
James Benning genannt, der filmisch von der Relationalität von Bewegung
ausgeht und die Bewegung als Nicht-Beziehung von Objekt und Betrachter
aus dem Bildrahmen herauslöst. Man kann aber auch direkter vorgehen,
wie es Frank Stella im Dialog mit dem Material vorgemacht hat, der in der
Auseinandersetzung mit Kleist dem alten Medium der Skulptur neuen Glanz verleiht.
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