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[Das Biomechanik-Labor des UKBF ist auf seinem Gebiet weltweit führend]

Ihn kennt inzwischen jeder. Den braunen Damenhut auf dem Kopf, Knieschoner am Bein und unvergleichlich blau funkelnde Augen. „Unser Knochenmann ist inzwischen Demo-Veteran mit Medienerfahrung“, erzählt Dr. Georg Bergmann, Ingenieur im Biomechanik-Labor der Freien Universität Berlin, und fährt fort, dass das Skelett schon mehr Demonstrationserfahrung habe als mancher anderer. Jahrelang stand das Oskar-Helene-Heim auf der Abschussliste, wo das hoch-spezialisierte Biomechanik-Labor der Gruppe Bergmann bis zur Schließung angesiedelt war. Damals kam der eingespielten Gruppe die Idee, mit einem Skelett auf die drohende Abwicklung dieser bekannten orthopädischen Klinik hinzuweisen. Genutzt hat es nichts. Umso mehr wollen die Biomechaniker gegen die nun drohende Schließung des Fachbereichs Humanmedizin am Universitätsklinikum Benjamin Franklin demonstrieren. Vier Mal in der vergangenen Woche hat sich Dr. Friedmar Graichen schon das Skelett auf den Rücken gebunden, während Bergmann und der Dritte im Bunde, Dr. Antonius Rohlmann, ihre Meinung mit Plakaten kund taten.

Die Angst im Nacken und den „letzten Forscher“ auf den Schultern – Dr. Friedmar Graichen und das Skelett des biomechanischen Labors kennt inzwischen fast jeder Berliner.

„Damit es nicht ganz so grausig aussieht, haben wir unserem Knochenmann einen Hut aufgesetzt“, erinnert sich Bergmann. Jeder, der das Büro im Untergeschoss des Universitätsklinikums besucht, stößt als erstes auf das notdürftig bekleidete Skelett, das demonstrationsbereit im Eingang steht. Auf den langen Holztischen liegen verschiedene Banner-Entwürfe. Fast meint der Besucher, hier in einem professionell arbeitenden Protestbüro und nicht in einem Biomechanischen Labor zu stehen.

Das ändert sich, betritt man das aufgeräumte Büro von Georg Bergmann. Sauber aufgeschichtet befinden sich auf dem Beistelltisch Bewerbungen für eine zusätzliche Stelle; die Bewerber fragen allerdings schon kritisch nach den Zukunftsaussichten. Die Schiebewand schmückt ein großes Foto von Bergmanns drei Kindern in London, und auf dem weißen Regal steht das, was hier in mühseliger Tüftlerarbeit entwickelt wird: künstliche Hüft-, Schulter- oder Kniegelenke. So betreibt das Biomecha-nik-Labor Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Orthopädie mit dem Ziel einer Verbesserung des Gelenkersatzes. „In Deutschland werden pro Jahr rund 150.000 Hüftgelenke eingebaut“, erklärt Bergmann und „das Problem ist, die Patienten werden immer jünger.“ Der Hüftgelenks- und Knieersatz gilt inzwischen als Routine, obwohl nach zehn Jahren immer noch mehrere Prozent der Patienten eine zweite Prothese brauchen. Sehr viel komplizierter verlaufen Implantationen von künstlichen Schultergelenken. Ein besonderes Problem stellt dabei der mögliche Grad der Belastung dar, über den es vor zehn Jahren keine genauen Angaben gab. Seit 25 Jahren arbeitet Bergmanns eingespieltes Team an mechanischen Prüfmaschinen und Computermodellen, für die es weltweit führend ist. Um den Grad der Belastung tatsächlich ermitteln zu können, gelang den Biomechanikern eine Sensation: In Implantate für Hüfte, Schulter und Wirbelsäule werden speziell entwickelte kleine Mikrochips eingebaut, die somit vor Ort die Belastung messen und diese per Mikrosender aus dem Körper des Patienten übertragen. Eine enge Kooperation gibt es mit dem Institut für Mikroelektronik der Technischen Universität Berlin. Selbstverständlich ist das Fachwissen und Know-how der Gruppe auch bei den drei großen Implantatfirmen im Berliner Raum gefragt, die ebenfalls mit dem weltweit führenden Biomechanik-Labor zusammenarbeiten und so ein unverzichtbares Netzwerk bilden.

Erste verlässliche Daten ermittelt

„Es ist ein Riesenvorteil, dass unsere Gruppe schon so viele Jahre zusammen tätig ist“, erläutert der gebürtige Berliner. Nur so könne man derart kreativ und effektiv arbeiten. Die Stimmung im Labor hat fast familiären Charakter. Bergmann ruft: „Sag mal, Fred, wie viele Schultergelenks-Operationen gibt es denn jährlich in Deutschland“, und fügt hinzu: „Ich kann mir einfach keine Zahlen merken.“ Dafür stundenlang programmieren und eine Menge mathematischer Probleme lösen, damit jeder Patient wirklich das für ihn passende Implantat erhält. Weltweit ist das Biomechanik-Labor auf seinem Spezialgebiet führend und somit über den Globus vernetzt: Gemeinsam mit Schulter-Patienten fährt das Team zur Universität Delft, im Bereich Kniegelenk arbeitet Bergmanns Gruppe eng mit dem Royal National Orthopaedic Hospital in London zusammen. Bis vor einem Jahr war das Team an dem EU-Projekt „Pre-clinical-testing of hip-implants“ beteiligt und hat gemeinsam mit anderen Arbeitsgruppen erstmals verlässliche Daten über die Belastung orthopädischer Implantate ermittelt. Außerdem ist Bergmanns Team an einer klinischen Forschergruppe beteiligt und arbeitet an drei weiteren mehrjährigen Projekten der DFG. Ein Kongress-Hopping betreibe er nicht, meint Bergmann bescheiden, lieber arbeite er im Team an guten Publikationen.

Dr. Georg Bergmann

Der Erfolg des biomechanischen Labors überzeugte die Freie Universität derart, dass sie dem Team nach Verkleinerung und Verlagerung des Oskar-Helene-Heims sofort eine neue Wirkungsstätte anbot. „Wir werben rund eine Viertelmillion Euro pro Jahr als Drittmittel ein“, erzählt Bergmann bescheiden, aus denen vier Ingenieure und sechs studentische Hilfskraftstellen bezahlt werden. Ziel sei es, „immer an die Grenzen des technisch Machbaren zu kommen“, so Bergmann. „Das Konzept für neue Implantate muss zur fixen Idee werden.“ Und damit geht die Arbeit weit über das rein technische Denken hinaus. „Als ich an der TU anfing, biomedizinische Technik zu studieren, wollte ich etwas Sinnvolles machen“, sagt der dreifache Vater. Dieser Wunsch treibe ihn bis heute an. Umso mehr ärgert es den begeisterten Gärtner und Hobbytischler, dass sein Team nun erneut bangen muss, im Zuge der Schließung des Fachbereichs Humanmedizin an der FU abgewickelt zu werden. „Wir wollen einfach in Ruhe forschen und arbeiten“, meint Bergmann, dessen Frau inzwischen vor Reichelt steht und Unterschriften gegen die Umwandlung des UKBF sammelt. Eine unbehinderte Weiterarbeit sei diesem Weltklasse-Team in der Tat selbst in Berlin vergönnt.

Felicitas von Arentin

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