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[Am 25. Mai starb Prof. Dr. Friedrich-Wilhelm Marquardt]


Am 2. Dezember 1928 wurde Friedrich-Wilhelm Marquardt in Eberswalde geboren und studierte nach dem Krieg zunächst bei Rudolf Bultmann in Marburg und dann bei Karl Barth in Basel evangelische Theologie. Kurz nach der Berufung von Helmut Gollwitzer an die Freie Universität kam Marquardt als Pfarrer der Rheinischen Kirche 1957 nach Berlin, um dort seinen Dienst als Studentenpfarrer anzutreten. 1963 wurde er dann Assistent von Helmut Gollwitzer und promovierte mit einer Dissertation über die Bedeutung Israels in der Theologie Karl Barths, für die er mit der Buber-Rosenzweig Medaille ausgezeichnet wurde. Bereits am Anfang der sechziger Jahre war er zusammen mit Helmut Gollwitzer, dem Düsseldorfer Rabbiner Robert Raphael Geis und anderen an der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag beteiligt, die bis heute maßgeblich den jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland vorantreibt. Um die Habilitationsschrift von Marquardt „Theologie und Sozialismus. Das Beispiel Karl Barth“ kam es dann 1971 zu einer ebenso heftigen wie folgenreichen Auseinandersetzung zwischen der Kirchlichen Hochschule Berlin und Helmut Gollwitzer, der sich dort für die Annahme dieser Arbeit stark machte. Schließlich beendete Gollwitzer seinen Lehrauftrag an der Kirchlichen Hochschule, und Marquardt wurde an der Freien Universität habilitiert.

Die Habilitationsschrift ist inzwischen in der dritten Auflage erschienen und wurde um ein umfängliches Nachwort ergänzt, das auf die heftigen Auseinandersetzungen zurückblickt. Die Rekonstruktion sozialistischer Fragestellungen im Werk des vordergründig weithin geschätzten Theologen Karl Barth wurde in Theologie und Kirche von vielen als ein Tabubruch und Sakrileg empfunden. 1976 wurde Marquardt schließlich Nachfolger von Helmut Gollwitzer am Institut für Evangelische Theologie. Hier lehrte und forschte er bis zu seiner Emeritierung 1997 und war dessen langjähriger geschäftsführender Direktor.


Kritik an restaurativer Kirchenpolitik

Von Anfang an konnte sich Marquardt eine Theologie nach Auschwitz nur noch in einer verantwortungsvoll wahrgenommenen konkreten Zeitgenossenschaft vorstellen. Diese Zeitgenossenschaft hatte für ihn stets drei zusammengehörige Dimensionen. Erstens galt es, die Theologie zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit ihrer schuldbeladenen Vergangenheit zu bewegen. Ermahnungen in diese Richtung standen dem entschiedenen Selbstkonsolidierungswillen einer restaurativ ausgerichteten Kirchenpolitik krass entgegen. Zweitens bestand die Zeitgenossenschaft in einer wachen Begleitung der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der Bundesrepublik Deutschland. Die polarisierende Dynamik der einseitigen Westbindung und die Remilitarisierung Deutschlands waren exponierte Anlässe, die politische Dimension der Theologie aus ihrem Schlummer zu wecken, um ihr die traditionelle Bindung an die konservativen Machteliten aufzukündigen. Schließlich aber galt es drittens, die Theologie immer wieder an die bescheidende Kompromisslosigkeit zu erinnern, in der sie auch in der säkularen Welt das Bekenntnis des christlichen Glaubens in vernehmbarer Klarheit zu buchstabieren hat. Wenn nicht mehr erkennbar ist, wofür die Kirche steht, droht sie zu einem religiösen Dienstleister zu verkommen. In diesem Sinne hat Marquardt die gegenwärtige kirchliche Entwicklung mit großer, aber unaufgeregter Sorge immer wieder beklagt.


Triumphalistisches Selbstbewusstsein erschüttert

Im Zentrum der Theologie von Marquardt stand die als notwendig erkannte Aufgabe, die Theologie konsequent von ihrem geschichtlich angestammten Antijudaismus zu befreien. Der christliche Antijudaismus ist nicht nur eine der verschiedenen Quellen des Antisemitismus, sondern er ist zugleich eine programmatische Desorientierung aller theologischen Lehrzusammenhänge. Wenn die Theologie das Verhältnis von Judentum und Kirche in eine Typologie von »alt« und »neu« hineindrängt, unterstellt sie ihr Selbstverständnis einem Dualismus, der sie permanent mit Abgrenzungsproblemen in Atem hält und damit zutiefst dem integrativen Charakter ihrer Versöhnungsbotschaft entgegensteht. Marquardts Theologie erschüttert das traditionelle triumphalistische Selbstbewusstsein der Kirche und verpflichtet die Theologie entschieden darauf, all ihre Themen und Denkmotive, ihre Lehren und öffentlichen Bekundungen konsequent darauf hin zu überprüfen, ob sie den genuinen Zusammenhang von Judentum und Christentum zu schützen helfen oder nicht. Seine siebenbändige Dogmatik ist der weltweit erste Versuch, die gesamte christliche Lehre unter der Maxime zu reformulieren, dass alle Selbstaussagen des christlichen Glaubens ohne die Negativfolie der Herabsetzung insbesondere des Judentums auszukommen haben. Hier hat er einen richtungweisenden Weg vorgezeichnet, der nicht nur die evangelische Theologie noch lange beschäftigen wird. Die Freie Universität hat einen Wissenschaftler verloren, dem das Institut für Evangelische Theologie einen großen Teil seines weit über Deutschland hinausreichendes Renommees verdankt.

Prof. Dr. Michael Weinrich

Foto: MAC LEAN OF COLL


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