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Das Scheinselbständigen-Gesetz bringt Hochschulen in Schwierigkeiten
Hoffen auf die Gesetzesänderung

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Das Scheinselbständigen-Gesetz bringt Hochschulen in Schwierigkeiten


Hoffen auf die Gesetzesänderung

Hoffen auf die Gesetzesänderung: Wer nur für einen einzigen Auftraggeber arbeitet und keine Knechte hat, gilt leicht als scheinselbständig. Foto: Zydor

Will man Dr. iur. Peter Hanau, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität zu Köln, glauben, ist die "Scheinselbständigkeit für die Hochschulen ein Scheinproblem ohne große Bedeutung". An der FU sieht man das anders. Das "Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" – wie es offiziell zunächst hieß, wirft eine ganze Reihe von Problemen auf, auch noch in der novellierten Fassung als "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit". Deshalb wurden an den Hochschulen Arbeitsgruppen gebildet – ebenso wie im Land Berlin, wo es eine senatsübergreifende Arbeitsgruppe gibt – um angemessene Verfahren zur Umsetzung des Gesetzes zu entwickeln. Allerdings hat die einzelne Hochschule wenig Handlungsspielraum, da das Verwaltungshandeln innerhalb des Landes einheitlich sein muss und die Hochschule auch nicht beschließen kann, das Gesetz einfach nicht zu beachten. Zur Erinnerung: scheinselbständig ist, wer:

  1. im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit mit Ausnahme von Familienangehörigen keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt,
  2. regelmäßig und im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist,
  3. für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen erbringt, insbesondere Weisungen des Auftraggebers unterliegt und in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert ist, oder
  4. nicht aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt auftritt.

Das trifft – ganz oder zum Teil – auf einen großen Teil derjenigen zu, die auf Werkvertragsbasis in allen Bereichen der FU arbeiten. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass mit dem Gesetz etwas Gutes beabsichtigt war, aber oft die Falschen getroffen werden. "Es mehren sich allerdings die Anzeichen dafür, dass die Politiker, die diesen Unsinn zu verantworten haben, Reue über ihr eigenes Werk empfinden. Das lässt hoffen, dass zum Beginn des Jahres 2000 – eventuell sogar rückwirkend – bessere Regelungen über die 'Scheinselbständigkeit' in Kraft treten. Vielleicht ist damit sogar weniger Bürokratie verbunden", sagt Eberhard Metz, Leiter des Referats Haushaltswirtschaft an der FU. Eines der Anzeichen ist das jüngst erwachte Interesse von Bundestagsabgeordneten an den Gesetzesfolgen für die Universität. Der kürzlich vorgelegte Entwurf für eine Novelle bringt allerdings derzeit noch wenig Erleichterung.

Wie sich diese Folgen derzeit manifestieren, beschreibt Dr. Armin Triebel, Koordinator des Graduiertenkollegs "Gesellschaftsvergleich in historischer, soziologischer und ethnologischer Perspektive".

Seit Monaten erschüttert das Scheinselbständigkeitsgesetz die Arbeitsmärkte und verunsichert Beschäftigte, Krankenkassen und Sozialversicherungen. Eine Ausführungsbestimmung jagt die andere, und die interpretierenden und frühere Interpretationen korrigierenden Merkblätter werden immer länger. Regierung, Gewerkschaften und Krankenkassen versuchen, der Öffentlichkeit weiszumachen, das Gesetz richte sich gegen Missbräuche im Speditionsgewerbe und beim Einsatz von Verkaufsfahrern. Dieses Vernebelungsargument lenkt indes von der politischen Bedeutung des Gesetzes und von dessen Auswirkungen ab. Ordnungspolitisch stärkt das Gesetz zentrale Bürokratien und führt zur Zwangseingliederung der Einzelnen in kollektive Systeme. Es bedroht damit einen gesellschaftlichen Bereich, für den Individualität und Flexibilität konstitutiv sind – Wissenschaft und Forschung. Haushaltspolitisch läuft das Gesetz auf eine verdeckte Kürzung der Mittel für Forschung und Lehre hinaus. Sozialpolitisch reduziert es die Einkommen einer Gruppe von Dienstleistern, deren akute Lage ohnehin durch unsichere Arbeitsverträge und geringe Einkommen gekennzeichnet ist. Universitäten und Hochschullehrer haben die Tragweite dieses Gesetzes vielfach nicht erkannt.

An der Verwaltung der Graduiertenkollegs lassen sich die Folgen demonstrieren. Für die Koordination stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Graduiertenkollegs einen separaten Festbetrag zur Verfügung, ohne ihnen Verwendungsvorschriften im Detail zu machen. Wenn sich das Graduiertenkolleg entschließt, die Koordination über einen Werkvertrag ausführen zu lassen, dürfte der Koordinator in der Regel als "Scheinselbständiger" bzw. "arbeitnehmerähnlicher Selbständiger" im Sinne des "Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte", wie es bisher hieß, gelten. Wenn die Koordination konsequent gehandhabt wird, bedeutet sie zweifellos ein "out-sourcing" von Verwaltungsfunktionen. Ist das schlimm? Es war jedenfalls notwendig, denn wie ein x-beliebiger Speditionsunternehmer waren die Universitäten nicht bereit, für die Verwaltung eines Studienangebots mit zwei Dutzend Studenten und einem Dutzend Hochschullehrern ordentliche Arbeitsverträge abzuschließen. Wenn man aus diesen Koordinationsmitteln der DFG einen Arbeitsvertrag einschließlich Sozialabgaben (Auftraggeber- und Auftragnehmeranteil rd. 41%) hätte bezahlen wollen, wäre das Honorar unakzeptabel geworden. Das ist die Situation, die das neue Scheinselbständigkeitsgesetz jetzt unausweichlich herbeiführt.

Jede Person, die heute über Werkvertrag, oft am Rand der Erwerbslosigkeit, hochflexibel und in mehr oder weniger kurz befristeten Arbeitsverhältnissen, Dateien anlegt, Bücher kopiert, Umfragen durchführt oder koordinierende Dienstleistungen erbringt, gewärtigt Zwangsabzüge von 20,5%. Recht so, spricht der wackere Festangestellte: Endlich geht's diesen Schleichern, die womöglich noch nicht mal gewerkschaftlich organisiert sind, an den Kragen – und übersieht dabei, dass bei diesen ein 20%iger Abzug das Budget aus der Balance bringen kann. Der fürsorgende Staat, der jedem qua Gesetz das Glück sozialer Sicherheit zuteilen will, zerstört erst mal seine finanzielle Grundlage.

Damit der "echte" Selbständige von dem unterschieden werden kann, der es nur "zum Schein" ist, muss die Bürokratie aufgebläht werden. Die Senatsarbeitsgruppe hat einen dreiseitigen Fragebogen mit zwei Seiten Erläuterungen entwickelt, den der Auftraggeber (das kann auch der Koordinator eines Graduiertenkollegs sein) in "Amtshilfe" für die Krankenkasse als Inkasso-Stelle für die Sozialversicherung ausfüllen lassen muss. In diesem Fragebogen hat der Auftragnehmer (auch dies kann der Koordinator eines Graduiertenkollegs sein) über die Art seiner Tätigkeit und seine weiteren Beschäftigungsverhältnisse Auskunft zu geben. Aus Fürsorge für die Honorarmitarbeiter hat die Arbeitsgruppe einen weiteren Fragebogen entwickelt, auf dem der Mitarbeiter alle Merkmale seiner Tätigkeit ankreuzen kann, die zur Widerlegung einer Vermutung seiner Scheinselbständigkeit beitragen könnten – auch damit ab zur Krankenkasse. (Vielleicht wird diese dem unter Verdacht Geratenen noch einen eigenen Fragebogen zuschicken.) Der einfache Vorgang einer Werkvertragsvergabe (ein Auftrag zum Auftragnehmer, eine Rechnung von ihm zurück) wird so zu einem komplizierten siebenstufigen Verfahren, welches die Korrespondenz mit Krankenkassen, Fristenüberwachung, Mahnung und ggf. ratenweise Auszahlung des Honorars umfasst. Die Senatsverwaltung für Inneres verlangt über das ganze Hin und Her außerdem eine fortschreibende Statistik: 14 Spalten für jede mögliche Tätigkeitsart, vom Auftraggeber, z.B. dem Koordinator, auszufüllen.

Die Probleme, die sich daraus für den Datenschutz ergeben, seien am Rande erwähnt. Es ist halt immer so: Wenn dem Staat die Aufgabe zugewiesen wird, soziale Gerechtigkeit herzustellen, bekommt man erst einmal eine Bürokratie der Überwachung – ob später auch soziale Gerechtigkeit, ist die Frage.