FU|Nachrichten 10/99
Leute

Neu an der FU: Prof. Hans-Ulrich Reißig
"Organische Synthese muss spielerisch sein"

Zum Tode von Prof. Dr. Hermann Blei
Verpflichtung auf das Wort des Gesetzes

Neu am Institut für Judaistik: Giulio Busi
Die Erfüllung des Traumes im Buch

Gesine Schwan leitet ab Oktober die Europa-Universität Viadrina
Glückwunsch nach Frankfurt

Zum 75. Geburtstag von Eberhard Lämmert
Der zuverlässige Sinn für das Angemessene

Iris Kammerer produziert zwei Mal im Jahr ein Kunststück
Die Herrin des Vorlesungsverzeichnisses

Zum Tode von Professor Gerhard Bourwieg
Begleiter einer ganzen Generation

Zum Tode von Professor Ulf Schramm
Andenken heißt uns weiterdenken

Personalien

Letzte Meldung

   
Vorheriger Artikel

Zum 75. Geburtstag von Eberhard Lämmert


Der zuverlässige Sinn für das Angemessene

Umgeben von einem stattlichen Kreis von Freunden und Schülern – darunter etliche, die ihrerseits bereits wieder akademische Lehrer sind –, von Vertretern der DFG und des DAAD, der Brandenburgischen und Berliner Wissenschaftsministerien sowie der Leitungen der Universitäten und Wissenschaftlichen Zentren dieser Region hat der Literaturwissenschaftler Professor Dr. Eberhard Lämmert in den Räumen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Ende September seinen 75. Geburtstag gefeiert. Seitens der Freien Universität hat der Erste Vizepräsident Prof. Dr. Dieter Lenzen den Jubilar gewürdigt.

Es war wohl eher dem Protokoll als der Entbindung des Emeritus von der Lehre geschuldet, dass Studenten bei dieser Gelegenheit fehlten. Lämmert war 1976 auch mit den Stimmen der Studentenvertreter zum Präsidenten der Freien Universität gewählt worden und hatte sich in dieser Funktion gegen die politische Überprüfungspraxis dieser Jahre erklärt. Am Leben des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, das er auch während seiner Präsidentschaft geleitet hat, nimmt er nach wie vor tätigen Anteil. Die Schwerpunkte seiner Tätigkeit haben sich heute freilich auf überregionale Aufgaben verlagert. So ist Lämmert Vorsitzender der Deutschen Schiller-Gesellschaft und beeinflusst damit wesentlich die Geschicke des wichtigsten Forschungsinstruments, über das die Literaturwissenschaft in Deutschland verfügt, des Literaturmuseums in Marbach am Neckar; eine Art Schatzkanzler der Germanistik. – Man kann Schätze hüten wollen, indem man sie vergräbt. Lämmert empfiehlt sie im Gegenteil der öffentlichen Aufsicht und Pflege durch erweiterte Nutzung. In seiner Abneigung gegen falsch formulierte Alternativen sorgt er dafür, dass an diesem Ort fachwissenschaftliche Spezialisierung und weitestmögliche Öffnung – statt gegeneinander ausgespielt zu werden – sich wechselseitig relativieren und stützen.

Es gibt kein Max Planck Institut für Literaturwissenschaft. De facto hat Lämmert aber Institutionen definiert und Funktionen gebündelt, die diesen Mangel ausgleichen. So hat er nach der deutschen Einigung im Auftrag des Wissenschaftsrats für die Zukunft derjenigen Wissenschaftler und ihrer Projekte gesorgt, die – aus dem Nachlass der Akademie der Wissenschaften und der Künste der DDR – in einem Niemandsland zwischen Kunst und Wissenschaft unterzugehen drohten. Hier bewährt sich, neben institutioneller Vorstellungskraft, Lämmerts Loyalität mit Menschen. Was aus den derzeit aus Drittmitteln finanzierten "Wissenschaftlichen Zentren” am Ende wird, ist noch immer nicht gänzlich sicher, gewiss aber, dass Lämmert wie wenig andere seiner Kollegen als Dolmetsch, Interpret und Anwalt Vertrauen in Ost und West genießt: kein kolonisierender Abwickler, ein kompetenter Gutachter stattdessen mit sozialer Phantasie und urbanen Lösungsvorschlägen. Vielleicht ist diese gesamtdeutsche Glaubwürdigkeit eine besonders gute Voraussetzung seiner hohen internationalen Gegenwärtigkeit: ein schier unermüdlich wirkender Mittler auch zwischen den Kontinenten, wie sein Fach in dieser Generation keinen überzeugenderen hat. Fachliche Kompetenz ist hier die selbstverständliche Voraussetzung. Ohne Lämmerts Augenmaß, intellektuelle Liberalität und menschliche Großzügigkeit wäre sie in seinen Ämtern vergeudet. Als Peter Szondi (u.a. auf Betreiben Lämmerts) als einer der ersten Juden nach Hitler, Professor nicht der aufgenordeten Germanistik, sondern der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Freien Universität wurde, berief er sich gegenüber seinen skeptischen jüdischen Freunden auf den neuen Kollegen Lämmert als einen Mann von mediterranem Geist. Das mag auch den zuverlässigen Sinn für das jeweils Angemessene einschließen, der Eberhard Lämmert bis heute in keiner Phase seines Lebens im Stich gelassen hat.

Gert Mattenklott