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Neu am Institut für Judaistik: Giulio Busi
VON SUSANNE WEISS
"Die jüdische Tradition besitzt einen besonderen hermeneutischen Schlüssel, einen Schlüssel, der fast alle literarischen Texte öffnen kann." Vor allem die Lektüre der Werke von Walter Benjamin und Gershom Scholem führt Giulio Busi zu dieser Erkenntnis. "Im Lauf der Zeit habe ich dann bemerkt, dass der Kern dieser Interpretationsmöglichkeit in der jüdischen Mystik liegt." Deshalb widmet er sich verstärkt auch der Erforschung der Kabbala. Busi, geboren 1960 in Bologna, studiert Orientalistik und Judaistik in Venedig. Schwerpunkt: die hebräische und arabische Sprache und Literatur. Die Magisterarbeit 1983 widmet sich dem hebräischen Grammatikstudium zur Zeit der islamischen Herrschaft auf der iberischen Halbinsel. Bereits sie ist publikationswürdig. In den Achtzigerjahren wendet er sich den hebräischen Handschriften zu, die zwischen Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts in Rom kopiert wurden. Forschungsaufenthalte führen ihn an die Hebräische Universität in Jerusalem und an das Martin-Buber-Institut der Universität zu Köln. Mit "The Hebrew Manuscripts Copied in Rome during the 13th and the 14th Centuries" promoviert er 1989 an der Universität Turin. Die Kulturgeschichte der Juden in Italien wird ein Schwerpunkt seiner weiteren Arbeit, auch die Geschichte der jüdischen Geografie des Mittelalters wird ihm, der gern reist, ein Forschungsgegenstand. Seit 1991 war Giulio Busi Professor für Judaistik an der venezianischen Università Ca Foscari. Mit Beginn dieses Wintersemesters ist er C 4-Professor am Institut für Judaistik der FU. "Wenn man aus dem schwierigen Venedig kommt, findet man Berlin fast ruhig und erholsam", meint Busi. Der Liebhaber zeitgenössischer Kunst fürchtet aber angesichts des Berliner Kulturangebots dennoch nicht die Langeweile. Seine neuen Berliner Kollegen zählen ihn "zweifellos zu den führenden Judaisten" in Europa; schon als junger Mann hat er ein bedeutendes uvre vorgelegt. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören eine umfangreiche Anthologie zur jüdischen Mystik des 3. bis 18. Jahrhunderts (Turin, Einaudi, 1995), eine kommentierte italienische Übersetzung von Reuchlins De arte cabalistica (Florenz, Opus libri, 1995) und ein Lexikon der jüdischen Symbole (Turin, Einaudi, 1999). Giulio Busi kommt an ein besonderes Institut. Denn an der Freien Universität Berlin begann überhaupt erst die "judaistische Wirklichkeit" an der deutschen Universität 1963 mit der Berufung von Jacob Taubes.
Foto: Dahl Alle vorhergehenden Versuche im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das Judentum in die universitas litterarum einzubeziehen, waren am antisemitischen Vorurteil der deutschen Universität gescheitert. Die Wurzeln der Judaistik, wie sie heute verstanden wird, reichen in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und sind vor allem mit dem Namen Leopold Zunz (1794-1886) verbunden, der 1818 die programmatische Schrift "Etwas über die rabbinische Literatur" vorlegte. Zunz führte einen langen engagierten Kampf für die Etablierung der Judaistik und ihre Aufnahme in die Universität, doch auch seine Hoffnungen auf die Märzrevolution zerschlugen sich. Sein Antrag von 1848 auf Aufnahme in die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität wird abgelehnt. Im ersten judaistischen Institut Deutschlands etabliert sich ein wohlüberlegtes Konzept nur langsam. Die bedeutenden jüdischen Gelehrten waren emigriert, Schwerpunkt der Forschung sind Israel und Amerika die Verbindungen des Instituts dorthin selbstverständlich und lebensnotwendig. 1983 wird Peter Schäfer (zuvor Martin-Buber-Institut für Judaistik der Universität zu Köln) an das Institut berufen und führt eine umfassende Neuorganisation des Hauses und des Studienganges durch. 1987 kann eine zweite Professur eingerichtet werden, 1989/90 wird eine Arbeitsstelle für Hebräische Textforschung begründet, 1991 eine Arbeitsstelle für Zionismusforschung und 1998 eine Arbeitsstelle für die Martin-Buber-Werkausgabe. 1994 wird Schäfer für seinen wissenschaftlichen Beitrag zur Etablierung der Judaistik im Nachkriegsdeutschland mit dem Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet. Das Fach Judaistik umfasst in seinem idealtypischen Entwurf die Fachgebiete Bibel, Talmud, hebräische Sprache, hebräische Literatur, Geschichte des jüdischen Volkes, jüdische Philosophie und jüdische Mystik. Giulio Busi passt gut in dieses Institut, das trotz begrenzter Kapazitäten ein breites Lehrangebot hat: alle Epochen der Geschichte, Literatur und Religion des Judentums von der Antike, besonders der Spätantike, bis zur Gegenwart. Busi wird sich dem Einfluss der jüdischen Kultur auf die Philosophie und die Kunst des europäischen Humanismus und der Entwicklung der jüdischen Mystik der Renaissance widmen. Und für einen, der eine Kultur erforscht, in deren Zentrum die erste Buchreligion steht, ist klar, dass seine "Träume fast alle zwischen den Seiten von Büchern wohnen, und sie können sich auch nur dort erfüllen." ***
Geschäftsführender Direktor: Anmeldung zur Studienfachberatung (Einzelberatung) unter Studentische Studienfachberatung:
29 011 V 29 018 PS 29 023 S 29 024 S
Pünktlich zur Ankunft von Prof. Busi bietet das Italienzentrum der Freien Universität im Wintersemester eine hochkarätige Vortragsreihe zum Thema an: Italienzentrum der Freien Universität Berlin |
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