MUSEUM FÜR VOLKSKUNDE BERLIN


Votivtafeln
aus Bayern und Österreich

- ein Bilderheft -


Text: Edgar Harvolk (Bilderheft 32, 1977)
Fotos: Ute Franz-Scarciglia (Neuaufnahmen 1996)
Realisation: Arthur E. Imhof (1997)

© Museum für Volkskunde
der Staatlichen Museen zu Berlin Preussischer Kulturbesitz
und Fachbereich Geschichtswissenschaften
der Freien Universität Berlin


Inhalt

    Vorwort
    Votation
    Darstellungsformen
    Votanten und Anlässe
    Die himmlischen Helfer
    Die "Taferlmaler"
    Wallfahrtswesen und Votivbrauchtum


Vorwort

Dass das Museum für Volkskunde heute über einen grossen Bestand an bayerischen und österreichischen Votivtafeln verfügt, darf angesichts der hohen Kriegsverluste dieses Museums als besonderer Glücksfall bezeichnet werden. Die wertvolle Sammlung, hauptsächlich Schenkungen von Marie Andree-Eysn, befand sich in den ausgelagerten Kisten, die 1959 aus Wiesbaden nach Berlin zurückgeführt wurden.

In den folgenden Jahren des Wiederaufbaus trat das Museum mit zwei Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Die Jubiläumsausstellung "Volkskunst und Volkshandwerk" 1964 zum fünfundsiebzigjährigen Bestehen des Museums im Uraniahaus zeigte in ihrer Abteilung "Malerei und Graphik" 62 Votivbilder, wovon 58 aus dem Vorkriegsbestand stammen. Unter den 11 Tafeln, die in der Ausstellung des Jahres 1967, "Kostbares Volksgut", zu sehen waren, befanden sich bereits 7 Nachkriegserwerbungen, vornehmlich Ankäufe aus der Sammlung Busse.

Auch in der Folgezeit nahm der damalige Direktor Lothar Pretzell immer wieder Möglichkeiten zur Erweiterung des Votivbetands wahr. Zur Volkskunstausstellung anlässlich der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko entsandte er 31 Tafeln als Leihgabe und schrieb den Katalog. Damit war die Bedeutung der Berliner Sammlung auch auf internationaler Ebene dokumentiert.

Zur Wiedereröffnung des Museums für (Deutsche) Volkskunde im April 1976 war im neuen Haus in Dahlem die befristete Sonderausstellung "Votivtafeln aus Bayern und Österreich" aufgebaut worden, die 120 Exponate aus der mittlerweile auf nahezu 300 Tafeln angewachsenen Sammlung zeigte. Es erscheint sinnvoll, dem Thema auch ein Bilderheft zu widmen, das zur Betrachtung einzelner Beispiele anregen will. Dies kann das zur jüngsten Ausstellung erschienene Führungsblatt nicht leisten, da es dem Besucher nur in knapper Form die zum Verständnis der Exponate nötigen Informationen gibt. Das Bilderheft mit seiner gezielten Auswahl dagegen will als Einführung in die Thematik verstanden werden.


Votation

Wir bezeichnen die Votivbilder als Tafeln. Damit ist bereits etwas über die gebräuchlichste Art ihrer Herstellung ausgesagt: unter einem Tafelbild versteht man ein Gemälde auf Holz. Das Votivbild ist also gewöhnlich ein kleinformatiges Tafelbild. Gelegentlich wurde jedoch auf Leinwand oder Blech gemalt. Auch andere Materialien und Techniken kommen vor. Abbildung 1 beispielsweise zeigt ein Hinterglasbild. Die Hinterglasmalerei erfordert einige Übung, denn da das Bild sozusagen auf der Rückseite gemalt wird, müssen Buchstaben spiegelverkehrt geschrieben werden. Als der Maler unseres niederbayerischen Votivbildes seine fertige Arbeit umdrehte, musste er erkennen, dass ihm die beiden N in ANNO missglückt sind. Nicht alle Votivbilder sind also eigentlich Tafeln, aber der Begriff Votivtafeln ist als Sammelbezeichnung so geläufig, dass wir ihn hier trotzdem als Überschrift beibehalten dürfen.

Nun zu dem Wort Votiv. Es leitet sich ebenso wie Votant und Votation von dem lateinischen Wort für Gelübde ab: votum. Der Votant ist die Person, die ein Gelübde ablegt. Mit dem Votiv, das der Votant an heiliger Stätte darbringt, löst er das im Gelübde gegebene Versprechen vor aller Welt sichtbar ein. Der gesamte Vorgang heisst Votation. Votive sind nicht immer Bilder. Es kann sich dabei um wertvolle Gegenstände handeln, von denen man sich "ex voto" (auf Grund eines Gelübdes) trennt, indem man sie dankend oder bittend am Gnadenort hinterlegt. Andere Votive sind kleine Plastiken aus Wachs, Holz oder Metall. Sie stellen dar, was den Votanten zu seinem Gelübde veranlasst hat. Da gibt es menschliche Körperteile, Arme und Beine, Augen und Ohren, Lungen und andere Organe. Die Darbringung eines derartigen Votivs ist das sichtbare Zeichen einer Bitte um Genesung oder eines Dankes für die Heilung. Neben erkankten Körperteilen wurden ganze Figuren nachgeformt. Ein Beispiel sind die kleinen wächsernen Wickelkinder. Angesichts der früher sehr hohen Säuglingssterblichkeit drückte sich nicht selten die Sorge um das Neugeborene auf diese Weise aus. Schliesslich gibt es noch Miniaturnachbildungen von Häusern und von Haustieren, mit denen Schutz des bedrohten Eigentums erbeten oder Dank für dessen Rettung abgestattet wurde.

Zu den Votiven, denen man den Grund der Votation ansehen kann, gehören auch die meisten Votivtafeln. Die als Abbildung 2 vorgestellte Tafeln entspricht dem modelgeformten Wachsaugenpaar (vgl. Abbildung 3). Die Gefährdung neugeborener Kinder wird in wächsernen Statuetten ebenso sichtbar wie auf den Tafeln, auf denen Wickelkinder dargestellt sind (vgl. Abbildung 4). Merkwürdig ist eine Tafel aus der Weltenburger Gegend (vgl. Abbildung 10), mit der ein erwachsener Mann seine Rettung gleich nach der Geburt durch folgenden Text publik macht:

A. 1654, den 18. Martzy bin ich Johan Dötter geboren wordten vnd auf ein halbe stundt khain Zaigen des lebens von mir geben daründter ich bin in Wein Milch vnd Waser gebadt wordten in solchen laidt dan haven mich die Vmbstehende fraüen alhero zue Vnser lieben frauen mit ainer Heilligen Mess vnd opfer verlobt dar auf ich dan zaigen des lebens von mir gegeben als dan hat mein vatter Andre dötter der Jünger vnd Christina mein Müetter neben meiner das VOTTVM aüsgericht den 12. Jully A 1656.

Bei den Votationen der Landbevölkerung spielte selbstverständlich die Sorge um das Vieh eine grosse Rolle. Sichtbaren Ausdruck fand das sowohl in den wächsernen oder schmiedeeisernen Pferdchen und Läblchen als auch in Tafeln wie etwas der Abbildung 9, wo sich ein Ehepaar von seinen Haustieren umgeben vorstellt. Auf der als Abbildung 5 wiedergegebenen Votivtafel ist der Votationsanlass nicht bildlich dargestellt, sondern im Text ausgesprochen. Auch hier haben Eheleute ihr ganzes Vieh vertrauungsVoll Anempfohlen.

Mit der Formulierung "anempfehlen" oder "anheimstellen" (sich, jemand, etwas) ist der Charakter der Votation gut beschrieben. Die Anheimstellung an eine höhere Macht kann aus verschiedenen Gründen vollzogen werden. Ein plötzlicher Arbeitsunfall, wie ihn Abbildung 13 zeigt und beschreibt, kann der Grund zur Anheimstellung sein. Laut Text ist 1752 folgendes vorgefallen:

Laurentius Sex von Brunthall gebyrthig schmidtkhnecht in Gräffing wurde auf der shleiffmill gählings von den wasser rath ergriffen mithin in augensheilihe Tods gefahr gesetzet, weill er aber zu Mariam nach hehenkhirchen vmb hillf gerueffen, ist das Lauffente Rath augenblickhlich gestandten, er also von aller gefahr recht wunderlich errettet vnd befreyet worden. gott vnd Mariae seije hehst shuldiger danckh gesagt. anno 1752.

Dem "gählings" des Unfalls steht im folgenden Text in der Abbildung 14 das "langwierig" des Leidens gegenüber:

Anno 1689. hat sich ein Wittfrau von Saltzburg in einer Langwierigen schweren Khranckheit mit einer Kirchfardt vnd dissen Däffel an disses gnadtenreiche ohrt zu vnser Liebenfrauen in die Gern verlobt hat es sich als balt zu bösserung gewendt Gott sey Ewiges danckh gesagt.

Hier fällt die ausdrückliche Erwähnung der Wallfahrt und der Votivtafel auf. Dazu gleich ein zweites Beispiel: Abbildung 11, auch die erfolgreiche Anheimstellung eines Kranken:

Nach dem hl. Herzen Jesus u. Maria verdanke ich es der mächtigen Fürbitte des hl. Leonhart dass ich in einen sehr gefährlichen Brust Leiden Hilfe erlangt habe. Zum ewigen Danke dafür sei diese Kerze nebst der Votiv-Tafel geweiht im Monat Maria 1871.

Solchen Aussagen ist die Vorstellung abzulesen, dass die überirdische Macht, der sich der Votant anempfiehlt, das Vorgefallene in aller Öffentlichkeit dargestellt wissen will. Besonders deutlich wird das aus der Beschriftung der Tafel Abbildung 18:

Mychael Purgmayr von Hehenkhirchen Hatte einen shweren Fall gethan. er verlobte sich also gleich zu der Alhisigen gnaden Muetter wie auch zu S:Notbug jedoch merkhte er gleichwohl 12 Jahr Lang ein gefährliches Trukhen vnd stehen an der Seithen, so balt er aber ein Votiv-Täflein verlobt hat, Hat alles Truckhen vnd stehen aufgehört. 1740.

In den zuletzt genannten Fällen haben sich die Votanten bei Unfall oder Krankheit hilfesuchend an eine höhere Macht gewandt. Daneben gibt es die vorsorgliche Anheimstellung ohne besonderen Anlass. Vergleichen wir die Texte auf zwei äusserlich ähnlichen Tafeln. Mit der einen, Abbildung 5, stellte ein Ehepaar seinen ganzen Viehbestand unter den mächtigen Schutz der Gottesmutter und des Heiligen Leonhard, ohne dass ein akuter Anlass zu erkennen wäre. Die Häufigkeit von Viehseuchen in früherer Zeit war freilich Grund genug, Vorsorge in jeder Hinsicht zu treffen; aber noch scheint kein Unglück geschehen zu sein. Anders bei der Tafel Abbildung 6. Hier wurde in grossen Anliegen die Votation vollzogen, deren Erfolg die Tafel bekundet. Im ersten Fall können wir von einem Bittvotiv, im zweiten von einem Dankvotiv sprechen.

Eine sehr alte Bittafel stammt aus Niederbayern (vgl. Abbildung 17). Der Grafenauer Glashändler Keizl hat sich darauf mit seinem Fuhrwerk darstellen lassen. Unter dem Bild steht folgender Text:

Der Ehr Bare Blassiuss Keizl Burger vnd glass handler in der grauenau hat dissess däff daher versprochen got verley im glick vnd heil zu wasser vnd landt vnd dortten die ewig freid vnd Selligkeidt Anno 1607.

Die Anheimstellung erfolgte also nicht nur für das irdische, sondern auch für das jenseitige Leben. So wie dieser Händler selber die Zeit nach seinem Tod in seine Bitte einschloss, so empfahlen andere Votanten ihre Toten dem himmlischen Schutz an. Ein Beispiel dafür zeigt Abbildung 12. Mann und Frau knien betend, zwischen ihnen liegen in Reih' und Glied zwölf Säuglinge. Die Kreuze über den Köpfen weisen sie als tot aus. Nur ein Sohn überlebte einige Jahre, bis er im Knabenalter starb. Auf der Tafel kniet er neben seinen toten Geschwistern, wie sie mit dem Kreuz gezeichnet. Ein erschütterndes Zeugnis der hohen Kindersterblichkeit (in diesem Fall wohl infolge Rhesusunverträglichkeit) - und einer schier unfassbaren Ergebenheit der glücklosen Eltern.



Darstellungsformen

Nach diesen allgemeineren Betrachtungen, mit denen wir das Wesen der Votation kennenzulernen versuchten, müssen wir uns jetzt mit der besonderen Darstellungsform der Votivtafeln befassen. Die Elemente des Bildes und ihre Anordnung unterliegen bestimmten Gestaltungsgesetzen. In der Regel nimmt die Erscheinung der himmlischen Person, die der Votant anruft, den oberen Bildteil ein, während der Votant selbst und der Votationsanlass im unteren Bildteil zu sehen sind. Zu diesen drei Elementen tritt als viertes der ergänzende und erläuternde Text.

Betrachten wir als Beispiel eine Tafel, die in die Basilika Maria Plain im Land Salzburg gestiftet wurde (vgl. Abbildung 21). In einem Wolkenring erscheint lichtumflutet Maria in Gestalt des in der Wallfahrtskirche verehrten Gnadenbildes. Es ist die gekrönte Gottesmutter mit der Windel, auf der das nackte Knäblein liegt. Darunter ertreckt sich eine weite Landschaft. Links knien die betenden Votanten, eine Frau und ein Junge. Rechts sieht man die beiden Pferde, deren Erkrankung den Anlass des Gelübdes bildet. Knapp ein Viertel der Tafel nimmt das unter dem Bild befindliche weisse Feld ein, das folgende Inschrift trägt:

Anno 1875 verlobten sich zwei gewisse Personen wegen zwei kranken Pferde, und wurden durch die Fürbitte der sl. Gottes-Mutter v. Maria Blain wiederum gesund. Gott u. der sl. Mutter-Gottes sei ewig Dank.

Dieser Text ermöglicht zwar die Datierung der Tafel, macht jedoch sonst keine weiteren Angaben über das Geschehen. Dass es sich um zwei Votanten handelt, die sich zweier Pferde wegen an die Gottesmutter von Maria Plain gewandt haben, ist ohnehin der Darstellung zu entnehmen. Nähere Einzelheiten - etwa die Namen und der Wohnort der Votanten und die Art der Erkrankung - fehlen; im Grunde wiederholt, bestätigt das Geschriebene nur das Gemalte.

Das ist aber nicht immer so. Sehr ausführlich beschreibt die als Abbildung 15 gezeigte Votivtafel das Geschehen:

Anna Nimmerfall, Bauers Tochter von Hiegiessing der Pfarr Aukirchen, verlobte sich zu der Gnadenvolen Mutter zu Altenötting, wegen einen grossen Unglück, weil sie ihr den 16ten July 1837 unvorsichtig eine Nadl in Hals gerent hat, die Docktor haben sie tief in Hals geschnitten und 2 Stund gearbeittet, die Nadl doch nicht heraus gebracht, aber durch die Vorbitt Maria nach 3 Wochen von sich selbst glücklich heraus komen, wie es noch zu sehen ist. Gott u. der seligsten Jungfrau Maria sey ewigen Danck gesagt. Anno 1837.

Bezeichnend ist hier die genaue Schilderung der vergeblichen Operation, die das Wunder der Errettung noch grösser erscheinen lässt. Das Bild stellt zudem das erfolglose Bemühen der Ärzte dar. Wir erinnern uns, dass auch auf der Tafel Abbildung 10 die Versuche beschrieben sind, die zur Rettung des Neugeborenen unternommen worden waren. Auf vielen wegen Krankheit gestifteten Bildern sieht man Medizinfläschchen im Zimmer des Patienten (vgl. Abbildung 16). Auch damit wird das Versagen der irdischen Mittel vor Augen geführt.

Manche Tafeln wären ohne Text gar nicht verständlich. Dass es sich bei Abbildung 22 um die Anheimstellung eines Toten handelt, ist nur der Beschriftung zu entnehmen:

Anno 1703; den 13. december ist georg N. zu Amkhofen vnder die Pferdt gefallen vnd dodt gebliben, Ist Alhero verlobt vnd versprochen.

Die bildliche Darstellung könnte sich ebensogut auf einen Verunglückten beziehen, der nach dem Gelübde wieder von seinen Verletzungen geheilt wurde.

Abbildung 7 ist ein ähnlicher Fall. Das Bild mit der zu Bett liegenden Frau lässt an ein Gelübde wegen Krankheit denken. Tatsächlich aber war, wie uns der Text verrät, nicht das Leiden der Patientin, sondern die Bedrohung des Viehbestandes der Anlass zur Votation:

Zu Maria Hilf, und den H. Leonard, haben zwey Eheleute ihre Zuflucht genohmen, wegen grossen Anliegen ihres Viehes, sind erhöret worden. 1843.

Freilich ist nicht auf allen Tafeln die Beschriftung so ausführlich wie auf den soeben besprochenen. Meist ist sie nur auf die Formel EX VOTO und die Angabe der Jahreszahl reduziert, manchmal fehlt sie sogar völlig. Andererseits gibt es als jüngere Erscheinung die bildlose Texttafel (vgl. Abbildung 19). Das Schema der bildlichen Darstellung - oben die himmlische Erscheinung, darunter Votant und Votationsgrund - ist nicht unteilbar. Auf zahlreichen Tafeln treten die Bildelemente vereinzelt oder in wechselnder Zusammensetzung auf. Die schon erwähnte Tafel eines Augenleidenden (vgl. Abbildung 2) zeigt weder die himmlische Person, der sich der Votant "verlobt" hat, noch den Votanten in der gewohnten Gebetshaltung. Umgekehrt gibt es viele Tafeln, die nur den Votanten vor der Erscheinung des Gnadenbildes zeigen, ohne dass der Votationsanlass zu erkennen wäre.

Der Verzicht auf die gesonderte bildliche Wiedergabe oder Beschreibung des Vorfalls, dessentwegen das Gelübde abgelegt wurde, muss aber nicht unbedingt die völlige Unkenntnis des Votationsgrundes zur Folge haben. Zwar können wir mangels Darstellung und Text nicht entscheiden, ob der Votant auf Abbildung 20 sich bei einem Sturz verletzt oder ob eine Entzündung ihn gehunfähig gemacht hat, ob der Knöchel gestaucht oder angebrochen ist, doch immerhin lassen sich die nicht näher begründeten Beinbeschwerden als Anlass für die Anheimstellung ablesen.

Einer derart eingeschränkten Kennzeichnung des Votationsgrundes stehen wir auch bei den zahlreichen Tafeln mit der Darstellung Bettlägeriger gegenüber, falls nicht der Text oder ein Bilddetail näheren Aufschluss geben. So wissen wir beispielsweise nicht, welcher Art die langwierige schwere Krankheit war, die im Jahre 1689 die Salzburger Witwe auf Abbildung 14 zur "Verlobung" nach Maria Gern bei Berchtesgaden veranlasst hat.

Wir haben schon beobachtet, dass die Votanten sich in betender Haltung befinden: meist kniend, die Hände gefaltet, oft mit dem Rosenkranz, den Blick nach oben gerichtet. Aufmerksamkeit verdient auch die Umgebung des Votanten. Sie kann Teil der Kennzeichnung des Votationsgrundes sein, etwa wenn es sich um ein Krankenzimmer, eine Gefängnis oder einen bestimmten Kriegsschauplatz handelt. Oft aber befinden sich die Votanten in neutralen Räumen oder Landschaften. Die obere Bildhälfte gehört der Erscheinung der himmlischen Person. Betrachten wir nochmals unser Musterbeispiel Abbildung 21. Der Himmel wirkt geradezu aufgerissen; hell leuchtet das ringförmig von Wolken gesäumte Lichtloch, heller noch strahlt der Heiligenschein der Gottesmutter. Wenn auch der Durchbruch des Überirdischen nicht auf allen Tafeln gleichermassen eindrucksvoll verbildlicht ist, so kehren doch meist die Elemente Licht und Wolken wieder. Das Gnadenbild steht auf einer Wolkengirlande (vgl. Abbildung 15), einer Wolkenbank (vgl. Abbildung 18) oder einem kleinen Wolkenbausch (vgl. Abbildung 26). Die Wolkenfront als Grenzzone zwischen den beiden Welten wird von Lichtstrahlen durchbrochen, die von der himmlischen Erscheinung auf den Votanten beziehungsweise auf das Votationsobjekt fallen. Eine Besonderheit weist wiederum die Tafel Abbildung 10 auf. Der Gnadenstrahl ist gleichsam ein Spruchband, auf dem rot geschrieben steht: Schreye zue mir: ich will helfen dir.



Votanten und Anlässe

Wir wenden uns jetzt nochmals den Darstellungen zu, die ihren Platz üblicherweise im unteren Teil des Bildes haben: den Votanten und den Anlässen. Die Votanten treten als Einzelpersonen, Ehepaare, Familie oder auch in grösseren Gruppenverbänden auf. Es gibt "Verlöbnisse" ganzer Gemeinden, etwa in Kriegszeiten oder bei einer Katastrophe. Die Votanten gehören verschiedenen weltlichen und geistlichen Ständen an; das Votivbrauchtum beschränkt sich nicht auf bestimmte Gesellschaftsschichten. Soziale und regionale Herkunft lassen sich durch die Kleidung meist gut bestimmen. Gegenstand der Votation ist der Votant selbst, eine andere Person oder das Eigentum. Tafeln mit einer Bettlägerigen, einem Beinverletzten und einem Augenleidenden haben wir schon besprochen. Doch nicht nur bei körperlichen Gebrechen, sondern auch bei Erkrankungen des Geistes wurde die Hilfe der Himmlischen erfleht, wie der Text unserer Tafel Abbildung 8 zeigt:

Zu dieser gnadenreichen Mutter Maria Hilf, in dieser hl. Kapelen, hat eine gewisse Weibsperson hieher ihre Zuflucht genohmen, weil ihre Schwester lange Zeit ihres Verstandes gänzlich beraubet war, und ist durch die Fürbitte Maria! diese ihre Schwester, von diesem grossen Übel gnädig befreyet worden. 1848. Gott und Maria! sey ewig Dank gesagt.

Auf einer Berchtesgadener Votivtafel von 1718 sehen wir einen Mann, der mit beiden Handgelenken an sein Bett gekettet ist, was ebenfalls auf psychische Gestörtheit schliessen lässt (vgl. Abbildung 24). Die Darstellung macht deutlich, dass wir einen Angehörigen der gehobenen Bürgerschicht vor uns haben.

Zu den häufigsten Gründen für Votationen zählen neben Krankheiten die Unfälle jeglicher Art. Die Tafel aus Kleinhöhenkirchen mit dem vom Mühlrad erfassten und wunderbar erretteten Laurentius Sex (vgl. nochmals Abbildung 13) haben wir bereits erwähnt. Vom selben Gnadenort stammt eine Tafel mit der Darstellung eines Transportunfalls. Der Text lautet:

Baulus gärner von Sollach hatte dass vnglück, dass ihme ein mit 4 pferdten shwerbeladner wagen sambt einen grossen fass wasser auf den Eis gerutshet, vnd yber einen hochen berg hinabgepurtzlet, 2 pferdt wurdten zugleich mit hinunder gerissen, in solchen Ellend verlobte er sich zu der gnaden Muetter nach Hehenkhirchen, nach abgelegten gelibd seint beyde pferdt glikhlich ohne shaden errettet worden, gott vnd mariae Seye ewiger danckh gesagt. Anno 1755.

Das Bild zeigt, wie die beiden vorderen Pferde davonsprengen, während die abgestürzten auf dem Rücken liegen; das Fass rollt den Berg hinunter, die Bänder platzen ab (vgl. Abbildung 37).

Ein weiteres Beispiel ist die Tafel Abbildung 25, die einen mit Fässern beladenen Wagen darstellt. Die Votantin ist zweimal zu sehen, einmal im Augenblick des Unfalls, dann auf einer Betbank kniend. Unter dem Bild ist die Beschreibung des Vorgangs:

Ein Weib Rufte Jesus, und Maria um Hilf an als ein geladner Wagen über ihren rechten Fuss gieng, und auch an Kopf verletzt wurd, aber balt Kurird. Gott sey es gedankt, 1818.

Auch eine Tafel aus Ach an der Salzach (vgl. Abbildung 26) zeigt den Votanten auf einer Betbank und im Hintergrund bei seinem Sturz vom Dach.

Jose: Neubauer v. Hochbur: welch: d: Glokenzuk machte, durch unglüklicher Weise v. dem Dache Stürzte, u. dadurch 3 Rippen ledirte, durch Fürbitte Gnädig erhöret worden. A 1859.

Beim Obstpflücken abgestürzt ist eine Frau auf Abbildung 23

Maria Feichtner von Panzing fiel den 29ten April 1855 von Baum herunter u. auf Fürbit Maria blieb sie unbesch(...).

Verletzungen bei der Waldarbeit, beim Fällen eines Baums (vgl. Abbildung 29) oder beim Holztreiben (vgl. Abbildung 30) waren ebenso häufige Votationsanlässe, desgleichen Unfälle, die sich im Umgang mit Tieren ereignet haben. Neben dem ausschlagenden Pferd (vgl. Abbildung 27) ist das wildgewordene Rind, das einen Menschen auf die Hörner nimmt, oft auf Votivtafeln zu sehen. Abbildung 28 schildert mit genauen Zeitangaben, wie eine Bäuerin durch einen Stier verletzt wurde:

Anna Maria Hager, Meindlbäuerin in Hochburg wurde am 27ten Juni 1868 durch einen Stier verunglückt. Um 6 Uhr Abends, liess Sie den Stier zur Kuh heraus, da stiess Sie derselbe zu Boden, u: schleiderte Sie im Hof herum, die Tochter schrie um Hilfe, bis die Nachbarleute kammen. Sie lag 3 Stunden Bewusstlos, dan empfand Sie erst Schmerzen, und war im ganzen Leibe voll Wunden u: Flecken. Sie verlobte sich zur Maria Hilf Kappelle hieher, und ist wieder gesund geworden. Gott und Maria sei ewiger Dank.

Eine wichtige Gruppe von Votanten sind die Soldaten und ihre Angehörigen, die um unversehrte Rückkehr aus dem Feld bitten oder für den Schutz im feindlichen Kugelhagel danken. Abbildung 34 ist die Tafel eines bayerischen Chevaulegers, der sich der Schmerzhaften Muttergottes anheimstellte. Unter den Gelübden, die den Schutz des Eigentums betreffen, sind im bäuerlichen Bereich, dem die meisten unserer Tafeln entstammen, die Anheimstellungen der Haustiere besonders häufig, wie wir gesehen haben. Abbildung 31 zeigt die Votivtafel eines Ehepaars, das sein brennendes Anwesen dem Schutz der Maria-Hilf anempfohlen hat.



Die himmlischen Helfer

Nach dem kurzen Überblick über die häufigsten Votationsanlässe wenden wir uns jetzt den himmlischen Erscheinungen zu. Die Bildform mit Licht und Wolke haben wir bereits erörtert, jetzt muss noch der Bildinhalt untersucht werden. In den meisten Fällen ist es ein Heiliger, den der Votant zu Hilfe gerufen hat; gelegentlich ein Seliger. Auch die göttlichen Personen treten in Erscheinung, wie wir noch sehen werden.

Der Betrachtung einzelner Tafeln müssen wir etwas Grundsätzliches voranstellen. Die Votivtafel mit dem betenden Votanten vor der Gestalt eines Heiligen könnte nämlich leicht missverstanden werden. Auf den ersten Blick scheint diese Bildform zu bestätigen, was nicht selten irrtümlich behauptet wird: dass die Katholiken die Heiligen anbeten. Tatsächlich aber gilt das Gebet der Gottheit, während der Heilige nur als Mittelsmann beansprucht wird. Die katholische Glaubenslehre sagt, dass die Heiligen und Seligen für die Menschen bei Gott fürbitten. Selbstverständlich kann der Gläubige auch unmittelbar die höchste Instanz ansprechen. Wie eben bemerkt, gibt es Votivtafeln, auf denen die göttlichen Personen in Erscheinung treten. Der bevorzugte Weg aber führte ganz offensichtlich über einen Gott in jeder Hinsicht näherstehenden Fürbitter. Die Heiligen und Seligen auf den Tafeln sind sozusagen die Schaltstellen und Verstärker des Menschen, der sich letztlich an den Allmächtigen wendet. Die typische Darstellungsweise des Votivbildes ist also eine formelhafte Verkürzung. Unmissverständlich aber sind Texte wie durch die bitte des Heil: Leonhart Gott sei Danck (vgl. Abbildung 32). Der Begriff "Fürbitte" ist auf vielen der abgebildeten Tafeln zu lesen. Formeln wie Dank sey Gott u. Maria! (vgl. Abbildung 6) sind ebenfalls typisch: erst der Retter, dann die Fürbitterin.

Grundsätzlich kann sich der Mensch in jeder Notlage an jeden Heiligen wenden. Jedoch ist es üblich, dass für bestimmte Anliegen bestimmte Heilige als Fürbitter in Anspruch genommen werden. Dazu ein Beispiel. Nicht zufällig ist der Heilige Leonhard auf unseren Tafeln besonders häufig dargestellt. Die hohe Popularität bei der Landbevölkerung verdankt er seinem Ruf als bewährter Schutzheiliger der Pferde und Rinder. Als den Bayerischen Herrgott hat man ihn bezeichnet, weil zahlreiche Kirchen und Kapellen in Bayern seinen Namen tragen. Noch heute finden am 6. November mancherorts Umritte zu Ehren des Heiligen statt. Der berühmteste unter diesen Bräuchen ist die Tölzer Leonhardifahrt.

Leonhard kam auf Umwegen zum Viehpatronat. Dass er Schutzheiliger von Kranken (vgl. Abbildung 11) und vor allem von Gefangenen wurde, geht auf seine Lebensbeschreibung zurück. Im 6. Jahrhundert liess sich der fränkische Edelmann taufen und zum Priester weihen, vollbrachte Wunderheilungen und befreite mit königlicher Erlaubnis Gefangene, um sie - zeitgemäss ausgedrückt - zu resozialisieren. Schliesslich zog er sich in die Einsamkeit zurück und gründete ein Kloster. Gewöhnlich wird er im Mönchsgewand mit dem Abtstab und einer Kette abgebildet. Im 11. Jahrhundert setzte in Süddeutschland seine Verehrung ein, doch war er zunächst noch kein Schutzheiliger des Viehs. Dieses Patronat kam erst im Spätmittelalter hinzu. Es wird vermutet, dass die Gefangenenkette, die er am Arm trägt, zur Stallkette umgedeutet wurde.

Überhaupt kann man sagen, dass Missverständnisse nicht selten zu Patronaten geführt haben. So lässt sich vielfach das Entstehen volkstümlicher Heiligenkulte gar nicht mehr genau feststellen. Hat ein Heiliger sich erst einmal in einem bestimmten Wirkungskreis bewährt, so war ihm die Anhänglichkeit der Gläubigen sicher - unabhängig davon, ob die Amtskirche dies ablehnte, duldete oder förderte. Geduldet, wenn auch nie offiziell anerkannt, war die Verehrung der Heiligen Kümmernis, jener christlichen Prinzessin, die einem Heiden vermählt werden sollte. Durch das Wunder plötzlichen Bartwuchses entging sie dieser Ehe, wurde aber von ihrem Vater zum Tode durch Kreuzigung verurteilt. Abbildung 35 zeigt die bärtige Heilige im Langkleid, mit Stricken ans Kreuz gebunden. Bartlos, durch die Dornenkrone Christus ähnlich, sehen wir sie auf Abbildung 33 ans Kreuz genagelt.

Über die Entstehung der Legende existieren verschiedene Anschauungen. Die heute gängige Meinung betrachtet das Bildnis der Kümmernis als eine missverstandene altertümliche Darstellung Christi, die ihn bekleidet, beschuht und gekrönt als Triumphierenden am Kreuz zeigt. Die Lebensbeschreibung der Kümmernis ist demnach völlig frei erfunden. Das sie von kirchlicher Seite nicht kanonisiert war, tat der grossen Popularität der Kümmernis keinen Abbruch. Wer immer sich ihr anvertraute in seinem Kummer, wozu ihr Name ja auffordert, war sicher, ebenso erhört zu werden wie jener arme Musikant, von dem eine Legende erzählt, er habe vor dem Kultbilde gespielt und dafür einen kostbaren Schuh der Heiligen erhalten. Abbildung 36 stellt diese Szene dar. Der kniende Mann mit der Geige ist also nicht der Votant und Stifter der Tafel!

Besonderes Vertrauen hatten die Gläubigen zu Maria, um deren Fürbitte an zahlreichen Gnadenstätten geworben wurde - in dem weithin berühmten bayerischen Wallfahrtsort Altötting ebenso wie in vielen kleinen Kapellen. Oft erscheint sie auf Votivtafeln zusammen mit einem speziellen Patron, so etwa dem Heiligen Leonhard auf den in Viehnöten versprochenen Tafeln Abbildungen 5, 6 und 7. Die Muttergottes mit dem Jesuskind kommt in mannigfachen Darstellungen vor. In diese Gruppe gehört das Altöttinger Gnadenbild (vgl. Abbildungen 15 und 16) ebenso wie die Maria-Hilf. Dieser Typus ist ein Beispiel dafür, wie durch Kopien ein Gnadenbild zu weiter Verbreitung gelangen konnte. Das erste Kultzentrum war Passau, wo eine Kopie des Gemäldes von Lucas Cranach dem Älteren verehrt wurde, das sich heute in der Jakobskirche zu Innsbruck befindet. Das Passauer Gnadenbild wurde nun seinerseits immer wieder kopiert, und so kam es vielerorts zur Verehrung der Maria-Hilf (vgl. Abbildungen 5, 6, 7, 8, 28 und 31).

Kopien einer byzantinischen Ikone, die 1499 von der Insel Kreta in die Matthäuskirche zu Rom gekommen war, erfreuten sich besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erneut grosser Beliebtheit. Dieser Typ heisst "Unsere Liebe Frau von der immerwährenden Hilfe" und erscheint auf einem blechernen Votivbild von 1885 in Verbindung mit der Heiligen Kümmernis (vgl. Abbildung 33). An anderen Wallfahrtsorten wurde Maria in Gestalt der Schmerzhaften Muttergottes verehrt, deren Brust von einem (vgl. Abbildung 25 oder von sieben Schwertern durchbohrt ist (vgl. Abbildung 20 und Abbildung 34); in der volkstümlichen Wiedergabe kommt oft noch das Tränentüchlein hinzu (vgl. Abbildung 25). Keine Schmerzhafte, sondern eine verklärte Muttergottes mit Krone zeigt die Pietà auf einer niederbayerischen (?) Tafel (vgl. Abbildung 38). Den Bildnissen Mariens als irdische Mutter des neugeborenen, leidenden und toten Christus steht das Bild ihrer Krönung zur Himmelskönigin durch die Heilige Dreifaltigkeit gegenüber (vgl. Abbildung 22).

Mit der Darstellung (oder schriftlichen Nennung wie auf Abbildung 29) der Dreifaltigkeit haben wir die schon erwähnte unmittelbare Hinwendung an die Gottheit vor uns. Eine niederbayerische Tafel von 1701 (vgl. Abbildung 39) zeigt in der linken Bildhälfte den Votanten, der betend auf dem Fussboden kniet. Auf den breiten grauen Wolken, die das Lichtloch säumen, sehen wir die Erscheinung des weissbärtigen Gottvaters mit der Weltkugel, Christi mit dem Kreuz und des Heiligen Geistes in Gestalt einer Taube. Ein anderer Bildtypus begegnet uns auf einer oberbayerischen Tafel von 1852 (vgl. Abbildung 40). Die göttlichen Personen erscheinen hier als drei völlig gleich aussehende Männer. Solche Darstellungen gab es in der abendländischen Kunst seit dem frühen Mittelalter, wurden jedoch in der Barockzeit seltener. Zu den bekanntesten derartigen barocken Dreifaltigkeitsgruppen zählt die zu Weihenlinden in Oberbayern, einer seit dem 18. Jahrhundert stark besuchten Wallfahrtskirche. Auf älteren Votivtafeln ist gewöhnlich über dem eigentlichen Gnadenbild, einer Muttergottes mit Kind, die Dreifaltigkeit dargestellt. Unser Bild des Jahres 1852 erfüllt dieses Schema nicht mehr und benügt sich mit einer recht mässigen Wiedergabe der Dreiergruppe. Diese Votivtafel belegt die noch im 19. Jahhrundert herrschende Verehrung der drei bärtigen Tiaraträger, obschon bereits 1745 Papst Benedikt XIV. vor einer solchen Verbildlichung der Dreifaltigkeit gewarnt hatte.

Von den Votivtafeln mit der Dreifaltigkeit unterscheiden müssen wir jene Tafeln, die Christus an einer Station seines irdischen Lebensweges, vornehmlich in seinem Leiden, zeigen. Als Beispiel betrachte man Abbildung 9. Der Eingekerkerte ist hier nicht als Gottheit, wie in den Dreifaltigkeitsbildern, sondern als besonders einflussreicher Fürbitter gedacht.

Auf den Votivtafeln erscheinen aber nicht nur göttliche, heilige und selige Personen, sondern mitunter auch heilige Gegenstände. Ein Biespiel sind die drei heiligen Hostien von Andechs. Wir sehen sie auf einer Tafel des Jahres 1869 (vgl. Abbildung 41) mit einem bäuerlichen Votantenpaar, das seinen gesamten Viehbestand dem himmlischen Schutz anempfiehlt. Von zwei der drei Hostien, die im 11. Jahrhundert von Bamberg auf den "Heiligen Berg" Andechs gekommen sein sollen, erzählt die Legende, sie seien von Papst Gregor dem Grossen konsekriert worden. Das Wunder der Gregoriusmesse, bei der im Augenblick der Wandlung ein blutiges Kreuz erschien, ist durch viele Bildzeugnisse weithin bekannt. Auch von der dritten Andechser Hostie, angeblich von Papst Leo IX. konsekriert, wird berichtet, zur Beschämung der an der Wandlung zweifelnden Irrlehrer habe sich das Christusmonogramm blutrot gefärbt.



Die "Taferlmaler"

Die auf den Tafeln dargestellten Votanten sind nur in seltenen Fällen zugleich die Maler ihrer Votivbilder. In der Regel handelt es sich um Auftragsarbeiten, die von zumeist anonymen nebenberuflichen "Taferlmalern" ausgeführt wurden. Zwar gelang es vereinzelt, einen Taferlmaler namentlich festzustellen, doch über die meisten wissen wir nichts. Auch von den hier wiedergegebenen vierzig Tafeln ist nicht ein einziger Maler bekannt. Unzweifelhaft ist, dass die Abbildungen 5, 6, 7 und 8 von derselben Hand stammen, desgleichen die Abbildungen 18, 26 und 37. Eine Eigenart des Malers der Kleinhöhenkirchener Tafeln ist das Röten der Enden des Schriftbandes unter der sehr sorgfältig ausgeführten bildlichen Darstellung. Vertraut, aber namenslos ist auch der Maler der Altöttinger Tafel von 1837 (vgl. Abbildung 15). Die Fachliteratur nennt ihn den Meister zwischen Rott und Vils, weil in mehreren Wallfahrtskirchen dieses Gebietes Bilder von seiner Hand gefunden wurden. Typisch sind die kugeligen Wolken und das etwas unförmig in die rechte untere Bildecke gedrängte grosse Schriftfeld.

Der Votant bestellte also in der Regel bei einem im Ort oder in der näheren Umgebung lebenden Maler das Votivbild. Mitunter mag er sich an den Schreiner gewandt haben, der auch die Möbel bemalte. In einigen der grossen Kultzentren nahm die Wallfahrtsleitung Tafelbestellungen entgegen, die sie an bestimmte Maler weitergab. Entscheidend war, dass der Maler das Anliegen des Votanten möglichst anschaulich darzustellen verstand. Gelegentliche Notizen auf den Rückseiten von Votivtafeln beweisen, dass die Besteller grössten Wert auf die präzise Wiedergabe des Geschehens legten, das der Anlass zum Gelübde war. Auf der Rückseite unserer Tafel des Meisters zwischen Rott und Vils (vgl. Abbildung 15) etwa entdecken wir folgenden Bleistiftvermerk: Unser liebe Frau von alten Etting wie ein Docktor ein Weibsbild in den Hals schneidet und ein Docktor haltet auf einen Stuhl fest. Darauf also kam es an - die künstlerische Qualität spielte dagegen eine untergeordnete Rolle.



Wallfahrtswesen und Votivbrauchtum

Nun, da wir anhand unserer bayerischen und österreichischen Beispiele des 17., 18. und 19. Jahrhunderts Form und Zweck der Votivtafel kennengelernt haben, müssen wir uns noch mit den bis jetzt ausgeklammerten Fragen zur Geschichte von Wallfahrtswesen und Votivbrauchtum befassen. Die ersten volkstümlichen Votivtafeln treten am Ende des 15. Jahrhunderts in Italien auf. Ihre massenhafte Darbringung im katholischen Mitteleuropa - genauer: in dessen rekatholisierten Teilen - setzt im 17. Jahrhundert ein. Die Voraussetzungen schufen die Aktivitäten der gegenreformatorischen Orden, besonders die Propagierung des Heiligenkults. Das Ergebnis, vor allem in Bayern und Österreich, war eine Vielzahl wiederbelebter und neuer Wallfahrtsstätten, entstanden und genährt durch eine schier grenzenlose Wundergläubigkeit. Landauf, landab waren die Erzählungen von überirdischen Erscheinungen und mirakulösen Vorgängen in aller Munde. Da gab es Berichte von zu Boden gefallenen Hostien, die nicht mehr von der Stelle bewegt werden konnten oder denen das Vieh Ehrbezeugungen erwies, von wandernden Marienbildern, die nachts ihren Standort wechselten, von Statuen, die von den Sockeln gefallen und doch unversehrt geblieben sind, von geschwärzten Madonnen, die unbeschadet aus abgebrannten Kirchen geborgen wurden und von wieder anderen, die sich an ihren Schändern furchtbar gerächt haben.

Fasst man diese und andere Legenden zusammen, so lassen sich zwei Vorstellungen ablesen: erstens, dass gewisse Bildnisse durch bestimmte Zeichen als wundertätig und somit der besonderen Verehrung würdig ausgezeichnet werden, und zum andern, dass die hinter dem Bildnis stehende himmlische Macht den Menschen wissen lässt, wo sie den Platz ihrer Verehrung eingerichtet haben will.

Zu diesen Plätzen, allgemein als Gnadenorte bezeichnet, kamen die Gläubigen als Einzelwallfahrer oder in Gruppen, um teilzuhaben an der Wunderkraft des Gnadenbildes. Dabei ist die erstaunliche Feststellung zu machen, dass die Bildnisse gegenüber den von ihnen dargestellten himmlischen Personen ein gewisses Eigenleben entwickelten. Man kann geradezu von einer Konkurrenz der Gnadenmadonnen sprechen. Auch die Texte unserer Votivtafeln bringen zum Ausdruck, dass die Anheimstellungen nicht zur Muttergottes schlechthin, sondern zu der Gnadenmutter von Höhenkirchen, Altötting oder Maria Plain erfolgt sind. Auch die von ihrem Stier auf die Hörner genommene Meindlbäuerin (vgl. nochmals Abbildung 28) verlobte sich zur Maria Hilf Kappelle hieher, und dorthin, in diese und keine andere Kapelle brachte sie nach ihrer Genesung die versprochene Votivtafel. Der Verbleib der Tafel an heiliger Stätte war nicht nur das Dankzeichen des wunderbar Erhörten und die Anheimstellung an die bewährte Macht für das weitere Leben, sie wandte sich zugleich an andere Gläubige als sichtbares Beweisstück für die Wundertätigkeit des Gnadenbildes. Also "verlobten" sich auch andere Personen in ihren Nöten zu diesem Gnadenbild, und so häuften sich mancherorts die Votive nach und nach zu immenser Zahl. In vielen Kirchen hingen sie in unvorstellbaren Mengen an den Wänden, Decken und Pfeilern.

Neben zahlreichen neuen Wallfahrten gab es auch wiederbelebte Wallfahrten des Mittelalters, wie bereits angedeutet. Ein Beispiel dafür ist die marianische Kultstätte Maiselberg, wo im 14. Jahrhundert ein Muttergottesbild Wunder bewirkt haben soll. Trotz einer Prophezeiung von 1667 geschahen keine neuen Wunder.Schliesslich hat das bischöfliche Konsistorium 1707 das Bildnis kurzerhand für wundertätig erklärt und in einer feierlichen Prozession umhertragen lassen. Derart propagiert, fand die Maiselberger Madonna bald wieder regen Zulauf und wurde von danbkaren Wallfahrern mit Votiven verschiedener Art reich bedacht. Das Beispiel lehrt: auch eine Wallfahrt braucht, um am Leben erhalten zu werden, ein gutes Management. Die mehr oder weniger geschickte Anpreisung des jeweiligen Gnadenbildes war gewiss nicht der einzige, doch zweifellos ein wichtiger Grund dafür, dass manche Wallfahrten nur kurz auflebten und alsbald wieder erloschen, andere sich hingegen zu langlebigen und überregional bekannten Kultzentren entwickelten.

Andererseits hatte sich das Wallfahrtswesen in gewisser Weise verselbständigt und drohte unkontrolliert auszuufern. Das bekam niemand deutlicher zu spüren als jene reformfreudigen Geistlichen des 18. Jahrhunderts, die, alsbald von der weltlichen Obrigkeit unterstützt, die volksbarocke Frömmigkeit mit ihrem naiven Wunderglauben und ihrem übersteigerten Bedürnis nach sinnlichem Ausdruck einzudämmen versuchten. Ein zäher jahrzehntelanger Kampf war notwendig, ehe wieder weitgehende Kontrolle über die Religiosität der Landbevölkerung gewonnen werden konnte. Im Zuge dieser aufgeklärten Kirchenreform waren schon Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhundert zahlreiche Wallfahrtsstätten ihrer Votivtafeln und Votivgaben entledigt worden, und vieles von dem, was die Aufklärung übrigliess, fiel jüngeren Kirchenrestaurierungen zum Opfer - ganz zu schweigen von den häufigen Diebstählen. Rechnet man die jetzt noch in Kirchen und Kapellen befindlichen und die in Museen und Privatsammlungen verwahrtenVotivtafeln zusammen, so hat man wohl nur einen klien Teil der eisnt massenhaft gestifteten Bilder.

Das Erhaltene lässt uns den Verlust doppelt schmerzlich spüren, sind doch die Votivtafeln nicht nur wichtige Zeugnisse der Volksfrömmigkeit, sondern darüber hinaus durch ihre Darstellung von Häusern, Möbeln, Geräten, Fahrzeugen, Trachten und Uniformen sowie durch die Beschreibungen der medizinischen Behandlung von Mensch und Tier kulturhistorische Quellen ersten Ranges. Das Votivbrauchtum ist heute keineswegs völlig erloschen. Wer die katholischen Gnadenorte im Süden des deutschen Sprachgebiets und vor allem in romanischen Ländern besucht, wird in begrenzter Zahl Votive aus jüngerer Zeit vorfinden. Die gemalte Votivtafel ist meist einem einfachen beschriebenen Zettel gewichen; manchmal sieht man Fotos der anheimgestellten Personen oder Zeitungsausschnitte mit Unfallberichten. Noch scheint der Augenblick nicht gekommen, solche modernen Nachfolger der Votivtafel für "museumsreif" zu erklären, doch werden in absehbarer Zeit sich die öffentlichen Sammlungen dieser Erscheinungen anzunehmen haben.



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Zusätzliche Literatur und Online-Links

A. E. Imhof