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[FU-Student Martin Schäuble berichtet über Kirchenasyl in Brandenburg]

Martin Schäuble (25) studiert Politikwissenschaften am Otto-Suhr-Institut. Er ist im dritten Semester und veröffentlicht gerade sein zweites Buch. Das erste berichtete von Skinheads in Sachsen. Das neue Buch erzählt von Flüchtlingen aus Vietnam, von ihrer Odyssee durch die Ämter und Behörden in Brandenburg. In „Asyl im Namen des Vaters“ spürt er auch der anderen Seite des Landes nach: hilfsbereiten Menschen, wie Pfarrer Schmidt (unten links), denen Humanität wichtiger ist als Paragrafen. Das Interview führte Florian Hertel.

Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch mit dem Thema Kirchenasyl. Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?

Ich erhielt eines Morgens einen Anruf von meinem Dozenten Dr. Ümit Yazicioglu. Er hatte bereits mein erstes Buch über Rechtsextreme in der Sächsischen Schweiz gelesen. Er meinte, er hätte ein spannendes Thema für mich. Auf den ersten Blick hielt ich das Thema Kirchenasyl nicht wirklich für spannend. Aber nachdem ich seine Unterlagen, teilweise studentische Arbeiten und Interviews gelesen hatte, hatte es mich gepackt.

Wie ist das Buch entstanden?

Ich nahm Kontakt mit der Familie Nguyen, die aus Vietnam stammt, und dem Pfarrer auf. Es war wichtig, dass sie mir vertrauten. Denn ich brauchte viel Material. Zwölf Jahre Briefverkehr mit Rechtsanwälten und Abgeordneten, Geburtsurkunden und Duldungsbescheide. Zu meiner Überraschung hat mir Familie Nguyen eigentlich sofort vertraut, obwohl sie so viel Unrecht in Deutschland erlebt hatte. Bevor ich mit dem Schreiben anfangen konnte, musste ich andere wichtige Akteure treffen: Landtags-, Bundestagsabgeordnete, Pressesprecher – alle die etwas mit dem Fall zu tun hatten. Ich musste das Material prüfen und weiter recherchieren. Das dauerte vier bis fünf Monate. Das Buch zu schreiben, nahm dann ein halbes Jahr in Anspruch.

Zwischen 1996 und 2000 gab es in Brandenburg mehr als 900 Fälle von Kirchenasyl. Wieso gerade die Familie Nguyen?

Weil man an dem Beispiel dieser Familie ein typisches Flüchtlingsschicksal in Deutschland verfolgen kann. Wie kommt man aus Vietnam nach Europa? Wie hoch ist die Verlockung, hier zu bleiben? Wie lebt man in einem deutschen Flüchtlingsheim? Wie gehen die Behörden mit diesen Menschen um? Welche Möglichkeit gibt es für Ausländer sich hier zu einzubringen?

Die Familie Nguyen

Hatten die Nguyens diese Möglichkeit?

Nein. Von Seiten der Behörden bestand von Anfang an kein Interesse, der Familie eine Chance zu geben. Die Nguyens haben alles versucht. Sie haben im Heim gearbeitet, für zwei Mark die Stunde. Dann die Zuspitzung, als die Abschiebung tatsächlich drohte. Es blieb nur die Flucht zu einem Pfarrer. Das Kirchenasyl hat die Medien auf den Plan geholt. Politiker begannen, sich für oder gegen sie einzusetzen. Ihre Duldung wurde immer wieder verlängert, mit der Aussicht, dass irgendwann vielleicht ein dauerhaftes Bleiberecht möglich wäre. Dieses Hin und Her, die Flucht und das Kirchenasyl und das ewige Warten, das zermürbt. Dabei haben die Nguyens immer wieder gezeigt, dass sie sich integrieren wollen. Der Junge war bester Schüler in seiner Klasse. Die Familie hat zahlreiche deutsche Freunde.

Wie bewerten Sie, was geschehen ist?

Es ist Unrecht, was da passiert ist. Man sagt schnell: Das sind keine politischen Flüchtlinge, weil Vietnam offiziell zurückgekehrte Flüchtlinge nicht verfolgt. Die Flüchtlinge werden zwar nicht inhaftiert, aber sie werden in so genannte „neue Wirtschaftszonen“ gesteckt. Dort leben eigentlich nur missliebige Dissidenten. Vietnam ist ein totalitärer Staat, in dem die Arbeit von oben verteilt wird. Man kann, wenn man unangenehm aufgefallen ist, unter Umständen nicht mehr arbeiten und seine Familie ernähren. Das Argument: „Das sind ja nur Wirtschaftsflüchtlinge“ ist mir zu einfach.

Das Buch endet ziemlich abrupt. Wieso?

Auch das Schicksal der Nguyens bleibt weiterhin offen. Ihre offizielle Duldung läuft bis Ende Dezember 2003. Ob die Familie bleiben darf, weiß ich nicht. Es dürfte dem Landratsamt beziehungsweise dem Potsdamer Innenministerium jedoch schwer fallen, eine Abschiebung jetzt noch zu begründen. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, wieso man eine Familie zwölf Jahre hier leben lässt und sie dann abschiebt. Die Eltern haben Arbeit und eine eigene Wohnung. Darüber hinaus wäre eine Abschiebung das Zeichen, dass der Staat die Integrationsbemühungen der Nguyens nicht anerkennt. Ein Zeichen, das wir keine Ausländer haben wollen, in einem Bundesland, in dem es mit am wenigsten Ausländer gibt. Für Rechtsextremisten wäre eine solch absurde Handlungsweise wie Wasser auf ihre Mühlen.

Wie geht die Auseinandersetzung weiter?

Das Innenministerium und das Landratsamt haben eine Hinhaltetaktik mit den immer neuen Duldungen gefahren. Allerdings lässt sich die Sache nicht aussitzen. Die Nguyens erfahren noch immer große Unterstützung von Freunden und aus der Politik. Die Helfer der ersten Stunde sind noch immer ihre Helfer. Würde die Familie tatsächlich abgeschoben, dann riskiert Innenminister Jörg Schönbohm neue Widerstände, einen neuen Aufschrei. Er hat den Durchhaltewillen der Brandenburger unterschätzt.

Was erwarten Sie in dieser Situation von den zuständigen Politikern?

Wir brauchen klare Aussagen. Nicht nur Aktionsbündnisse, sondern auch ein Bekenntnis zur multikulturellen Gesellschaft. Wie kann es in Brandenburg vor
dem Hintergrund des latenten Rechtsextremismus und der geringen Ausländerzahlen einen solchen Hardliner als Innenminister geben? Noch dazu aus einer Partei, die sich christlich nennt.

Wie haben Sie die Menschen in Brandenburg während Ihrer Recherchen erlebt?

Natürlich gibt es in Brandenburg viele Rechtsextremisten, aber Pauschalisierungen sind da fehl am Platz. Ich war überrascht, wie viele Menschen sich für die Nguyens eingesetzt haben. Es gab Demonstrationen, die Brandenburger wollten die Familie kennen lernen. Wichtig waren Leute wie Pfarrer Schmidt, der Deutsche und Vietnamesen miteinander in Kontakt gebracht hat. Brandenburg ist nicht ausländerfeindlich. Dieses Image muss man auf jeden Fall relativieren.

Pfarrer Olaf Schmidt (links)

Hat sich mit der Veröffentlichung des Buches das Thema für Sie erledigt?

Man bleibt natürlich noch lange Zeit über das Buch hinaus an dem Thema dran, an den Menschen, die man damit verbindet. Ich werde den Kontakt zu den Nguyens behalten und sehen wie sich ihr Schicksal entwickelt.

Florian Hertel, Martin Schäuble

Fotos: Hertel, Schäuble

Asyl im Namen des Vaters

In seinem Buch berichtet Martin Schäuble über den jungen Vietnamesen Tuan Nguyen, der wie seine Frau Ha Hoang 1986 nach Prag kam, als Gastarbeiter des Weltsozialismus. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks flohen sie nach Deutschland, nach Brandenburg, wo sie Asyl beantragten. Zehn Jahre lebten sie in alten NVA-Baracken, die als Flüchtlingsheime dienen. 1991 wurde ihr Antrag abgelehnt. Vietnam verweigert jedoch die Rückkehr von rund 90.000 Landsleuten. 1992 kam der Sohn Duc Toan Nguyen zur Welt. Obwohl in Deutschland geboren, darf er kein Deutscher sein. Als die Muter später erneut schwanger ist, entscheiden sich die Behörden, vorerst nur Vater und Sohn abzuschieben. Die Kirchengemeinde von Libbenichen, einem Dorf in Brandenburg, gewährt der Familie im Jahr 2000 Asyl. Pfarrer Olaf Schmidt nimmt die drei Menschen und das ungeborene Kind auf. Er geht an die Öffentlichkeit, unterstützt von Bischof Huber. Familie Nguyen gewinnt einen Rechtsstreit und erhält eine befristete Duldung. Die Familie zieht in eine eigene Wohnung. Die Eltern arbeiten. Ihre Tochter Nhat Thao kommt zur Welt. Nguyens erhalten einen Duldungsbescheid nach dem anderen. An ihrem Ende droht immer die Abschiebung. Bis heute hält das Drama an.

Martin Schäuble: „Asyl im Namen des Vaters“
204 Seiten, ISBN 3-8311-5000-1,
Preis: 12,50 Euro
im Internet zu finden unter: www.asylimnamendesvaters.de

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