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[Prof. Dr. Hubert Rottleuthner zeichnet Juristenkarrieren im 20. Jahrhundert nach - Immer sich beugen]

Dr. Fritz Bauer (1903–1968) war einer der bedeutendsten Vorkämpfer für Strafrechts- und Strafvollzugsreformen, für Resozialisierung und für eine gesellschaftliche Verantwortung des Justizwesens beim Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft.

„Der Neigung zur Reglementierung und Rationalisierung ein Gegengewicht zu bieten, ist die historische Aufgabe des Juristen aus Freiheitssinn, vom Amtsrichter, der Übergriffe der polizeilichen Verordnungsgewalt als solche kennzeichnet, bis zum Verteidiger, der die Kunst gegen unzüchtige Richter schützt. Diese Juristen sind die Vorposten des Rechtsstaats gegen unseren angeborenen Hang zum Polizeistaat.“ Die Stellen in der Radbruch‘schen Einführung in die Rechtswissenschaft hatte sich der Rechtsstudent Fritz Bauer 1910 dick angestrichen. Als Sohn eines jüdischen Großhändlers 1903 in Stuttgart geboren, machte er schnell Karriere: Zwei Jahre nach dem zweiten Staatsexamen folgte 1930 die Berufung zum jüngsten Amtsrichter Deutschlands.

Die Nationalsozialisten beendeten die Karriere des Unbeugsamen, der sich 1933 im Konzentrationslager wiederfand, während seine Justizkollegen sich mit dem neuen Regime arrangierten. „Die meisten haben die Nationalsozialisten begrüßt“, stellt Prof. Dr. Hubert Rottleuthner fest. Seit 1998 untersucht der Rechtssoziologe im Rahmen eines DFG-Projekts, welche Karrieren Richter und Staatsanwälte in der Zeit des Nationalsozialismus machten und was aus den NS-Justizjuristen nach 1945 wurde. Dazu war Kärrnerarbeit nötig. Rottleuthner und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wühlten sich durch Personalverzeichnisse, Handbücher und Beamtenkalender, verfolgten Personalmeldungen in Amtsblättern und lasen Dokumentationen von belasteten Richtern. „Erstmals konnten damit systematisch und flächendeckend Justizkarrieren im 20. Jahrhundert nachgezeichnet werden“, sagt Rottleuthner.

Ernüchterndes Ergebnis

Während Bauer 1936 nach Dänemark flüchtete und seit 1943 mit Willy Brandt in politischen Exilkreisen aktiv war, arbeiteten die meisten Richterkollegen konstruktiv für den NS-Staat. Richterlichen Widerstand hat es kaum gegeben. Dabei wurden nur etwa 700 höhere Beamte zwischen 1933 und 1938 aus dem Justizdienst ausgeschlossen, entweder weil sie jüdisch waren und/oder den Sozialdemokraten nahe standen. Mit dem großen Rest konnte das NS-Regime gut arbeiten. Neben einer positiven weltanschaulichen Einstellung macht Rottleuthner dafür ein hohes Maß an Arbeitszufriedenheit verantwortlich: Der Geschäftsanfall nahm ab, das Gehalt nahm zu und es bestanden gute Karrierechancen. Parteimitgliedschaft allein reichte selbst den Nationalsozialisten nicht. „Um Karriere zu machen, musste man meist auch gute Examensnoten vorweisen können“, so Rottleuthner.

Angst vor Entlassung brauchten die NS-Juristen nach 1945 nicht zu haben. Im Gegensatz zur sowjetisch besetzten Zone (und dann der DDR) gab es in den Westzonen (und dann in der Bundesrepublik) keine Regelung, die es verbot, NS-Juristen, die in der NSDAP auch nur formelles Mitglied waren – und das waren 1945 über 80 Prozent –, im Dienst zu belassen oder wieder in den Dienst zu nehmen. Nach 1954 nahmen auch die politischen Bedenken deutlich ab: In der Adenauer-Ära konnten vielmehr alte erfahrene Juristen – welche „Erfahrungen“ auch immer sie gemacht hatten – auf Grund des traditionellen Karrieremusters in der Justiz eher aufsteigen als die neuen, noch nicht so „erfahrenen“ Juristen. So setzten sich beispielsweise 1954 74 Prozent der Justizjuristen bei den Amtsgerichten, 68,3 Prozent bei den Landgerichten, doch 88,3 Prozent bei den Oberlandesgerichten und 74,7 Prozent beim Bundesgerichtshof (BGH) aus „alten“ Justizjuristen zusammen. Während in den unteren Instanzen der Anteil junger, nachwachsender Juristen stetig zunahm, blieb der Anteil der Justizjuristen, die bereits vor 1945 tätig waren, in den oberen Instanzen bis in die 60er Jahre konstant oder stieg sogar noch etwas an.

Der aufrechte Demokrat, der bis zur Selbstaufgabe um die juristische Aufarbeitung der Verbrechen des NS-Regimes kämpfte, blieb in der bundesrepublikanischen Justiz eine Ausnahmeerscheinung. So hatte sich Bauer drei Jahre bemüht, bis er 1949 zum Landgerichtsdirektor, dann zum Generalstaatsanwalt in Braunschweig und schließlich 1956 vom hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn zum Generalstaatsanwalt nach Frankfurt am Main berufen wurde.

Recht auf Leben

Eine besondere Situation herrschte beim Bundesgerichtshof. Von den dort in der Zeit von 1953 bis 1964 tätigen Richtern und Staatsanwälten hatten über siebzig Prozent bereits während der NS-Zeit als Juristen gearbeitet. Rottleuthner vermutet, dass sich damit auch die sehr verständnisvoll-milde Rechtsprechung des BGH in Rechtsbeugungssachen erklären lässt. Immerhin saßen ja hier meist Richter zu Gericht über ihre früheren Berufskollegen.

Außerdem gibt es deutliche regionale Unterschiede: Vor allem die Gerichte in den nördlichen Oberlandesgerichtsbezirken in der (ehemaligen) britischen Zone waren noch nach 1954 zu hohen Prozentsätzen mit NS-Juristen besetzt. Nicht nur diesen aber war der Außenseiter Fritz Bauer ein Dorn im Auge, vertrat er doch die unpopuläre Meinung einer „Bejahung des durch keinen Gesetzgeber antastbaren Kernbereichs des Rechts – ein Minimum an Menschenrechten wie das Recht auf Leben“. Diese Auffassung vertrat er nicht nur im Remer-Prozess von 1952, bei dem es auch um die Beteiligung der deutschen Justiz an der NS-Euthanasie ging.

Das wichtigste Anliegen Bauers war der Auschwitz-Prozess, der 1963 in Frankfurt stattfand. Der Versuch, in einem exemplarischen Prozess auch die Justizelite wegen Beihilfe zum Anstaltsmord vor Gericht zu stellen, scheiterte. Nach dem plötzlichen Tod des Generalstaatsanwalts 1968 wurde das Verfahren 1970 eingestellt. Die umfassende Aufarbeitung der Justizkarrieren im 20. Jahrhundert kann dafür eine Erklärung liefern.

Felicitas von Aretin

Foto: Schindler

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