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[Eine moderne Form der Islamwissenschaft]

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Seit dem 11. September 2001 ist das Interesse am Islam so groß wie nie zuvor. „Allein an der FU haben sich am Institut für Islamwissenschaft im Vergleich zum vorigen Wintersemester fünfzig Prozent mehr Studierende immatrikuliert“, weiß Stephan Rosiny, Dozent am Institut für Islamwissenschaft. Der Trend setzt sich fort. Mangelnde Kenntnisse über das Wesen des Islam haben in der letzten Zeit zu unbegründeten Vorurteilen und Misstrauen gegenüber muslimischen Mitbürgern geführt.

„Unser Ziel ist es, die Islamwissenschaft aus der „Buchwissenschaft“ herauszuholen. Wir möchten vor Ort forschen, um uns einen persönlichen Eindruck von der Realität zu verschaffen“, erklären Stephan Rosiny und Annabelle Böttcher, die ebenfalls Dozentin am Institut für Islamwissenschaft ist. Deshalb haben die beiden Wissenschaftler im vergangenen Sommersemester interessierten Studierenden die Möglichkeit gegeben, Feldforschung unter dem Thema „Religiöse Autoritäten der Muslime in Berlin“ zu betreiben. Die Studierenden waren begeistert. In einem theoretischen Abschnitt des Seminars lernten die rund 25 Studierenden, darunter rund 30 Prozent Muslime, Methoden der Feldforschung kennen. Sie entwickelten Fragebögen, bereiteten Interviews vor und knüpften erste Kontakte. Danach folgten Gespräche mit islamischen Vereinigungen.

Behutsames Herantasten an Interviewpartner

Aufgeteilt in elf Kleingruppen untersuchten die Studierenden muslimische Moscheegemeinden, Koranschulen, Studienzirkel und verschiedene Vereine, darunter die Islamische Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime in Berlin, drei türkische Sufi-Orden, eine Moschee palästinensischer Muslime, zwei arabische schiitische Gemeinden und verschiedene Aleviten-Gemeinschaften.

Die ersten Versuche, Kontakte zu den unterschiedlichen religiösen Gruppierungen herzustellen, waren nicht immer von Erfolg gekrönt. Stephan Rosiny und Annabelle Böttcher sensibilisierten die Studierenden, behutsam mit den Interviewpartnern vorzugehen. So wurde die nötige Vertrauensbasis geschaffen, wodurch die meisten Gesprächspartner zugänglicher waren als erwartet. Sprachliche Hindernisse gab es kaum, denn ein Großteil der Studierenden verfügte über Grundkenntnisse in Arabisch oder Türkisch und viele der Interviewten sprachen Deutsch.

Dennoch waren Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl gefordert, um mögliche Tabugrenzen nicht zu überschreiten. Häufig wollten die Befragten im Hintergrund bleiben und nicht an die Öffentlichkeit treten.

Das Hauptinteresse der Nachwuchsforscher richtete sich vor allem auf Sufi-Orden und Aleviten. Sufi-Orden sind spirituell orientierte muslimische Organisationsformen. Sie charakterisieren sich durch Meditationstechniken, die dem Buddhismus ähneln. Zu Sufi-Orden Kontakt aufzunehmen, ist nicht unproblematisch. Leichter gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Aleviten, die mit über 6000 Mitgliedern in Berlin vertreten sind. Das Alevitentum unterteilt sich in anatolische und kurdische Aleviten, die friedlich zusammenleben. Weder zwischen den religiösen Oberhäuptern noch zwischen den Gemeinden gibt es Rivalitäten aufgrund unterschiedlicher Auffassungen von Ethnizität. Die alevitischen Autoritäten in Berlin werden sowohl von den kurdischen als auch den anatolischen Aleviten anerkannt.

Lebendiges Lernen

Die Motivation der Studierenden, an dem Seminar teilzunehmen, war durchaus unterschiedlich. So entdeckte die Iranistik- und Turkologie-Studentin Kathrin ihre Liebe zum Fach während eines Aufenthaltes in Israel. „Ich habe ein halbes Jahr in Israel verbracht und dort Arabisch gelernt. Die Kultur hat mich von Anfang an fasziniert und für mich war klar, dass ich mich auch weiterhin mit dem Islam beschäftigen möchte.“ Dem Turkologie-, Islamwissenschaften- und Soziologie-Studenten Steffen half das Schicksal nach. Als der gelernte Drucker plötzlich arbeitslos wird, freundet er sich mit einer Gruppe Kurden an und entscheidet sich für ein Studium. „Die Gespräche mit meinen kurdischen Freunden zeigten mir, wie interessant der Islam ist, und so wollte ich unbedingt mehr darüber erfahren.“
Durch das Projekt entwickelten sich über das wissenschaftliche Interesse hinaus eine Reihe neuer Freundschaften zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Glaubensrichtungen. „Mein Interesse an den Aleviten ist nicht nur von wissenschaftlicher Natur. Ich werde die neu gewonnenen Kontakte auf jeden Fall auch privat weiter pflegen“, sagt Paula, die Turkologie, Religionswissenschaften und Ethnologie studiert und ausspricht, was auch andere Seminarteilnehmer(innen) denken. Die Erfahrung dieses Projekts zeigt: Die gewonnen Informationen dienen der wissenschaftlichen Forschung, die auf diese Weise neu gewonnen Freunde dienen der Völkerverständigung.

Susanne Lettau

Foto: Krämer

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