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[Wie funktionieren neuronale Netzwerke? FU-Neurobiologin Dr. Petra Skiebe erforscht dies exemplarisch an Krebstieren]

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Puristen mögen ihn am liebsten gekocht, nur mit etwas Butter. Einige wenige schwören auf die gratinierte Variante: Hummer „Thermidor“. Petra Skiebe liebt ihn kalt – eiskalt. Und sie will ihn lebend, denn sie interessiert sich für sein Nervensystem. Hummer (Homarus americanus) sind allerdings nur ihre zweite Wahl.

Das Modelltier der Neurobiologin ist eigentlich der australische Flusskrebs. Doch der ist im Moment wieder einmal nicht lieferbar. Und wenn, dann ist er so rar, dass sie mit Berlins Spitzenköchen darum kämpfen muss, dass auch ein paar Exemplare den Weg nach Dahlem finden. Allein wegen der 100 bis 150 Krebse pro Jahr, die an der FU der Forschung dienen, lohnt sich für eine Münchner Feistkosthandlung die Order in Übersee nicht. „Tja, und so nehm’ ich ersatzweise Hummer“, erzählt Petra Skiebe.

Etwas verschlafen wirkt er. Acht dezent gepunktete Beinchen bewegen sich in Zeitlupe. Doch die blanken, schwarzen Augenstiele gucken treuherzig und interessiert. Zuerst nach vorn, drehen dann nach rechts und links ab – unabhängig von einander und wie von winzigkleinen Elektromotoren gesteuert. Der Hummer hat in einer Eisbox gelegen und ist durch die Kälte betäubt. Maurice Meseke knipst mit der Schere rasch die dürren Beinchen weg. Dann ein kurzer Schnitt durch das Bauchmark und Studienobjekt „HA-17/10“ spürt nichts mehr, ist sozusagen „hirntot“. Gourmets kennen diese Stelle leider meist nicht, sondern lassen ihn im kochenden Wasser minutenlang zappeln. Wirbellose Tiere verfügen nicht über Schmerzrezeptoren wie wir, merken aber natürlich, dass da etwas mit ihnen passiert. Schwanz und Scheren kommen jetzt weg und wieder auf Eis. Abends werden sie im Kochtopf des Doktoranden landen. (Er gehört übrigens zu den Puristen.) Wär’ ja auch schade drum.

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Fünf Nervenknoten (Ganglien) hat der Hummer zur Steuerung der Magenbewegungen. Das stomatogastische Ganglion (orange) enthält die wesentlichen 30 Neuronen (links). Rechts eine Laserscanning-Mikroskop-Aufnahme des STG mit einzelnen Neuronen (weiße Knötchen).

Die Krebstier-Connection

Petra Skiebe erforscht neuronale Netzwerke am Beispiel des Stomatogastrischen Nervensystems von Crustaceen – also dem Teil des „Gehirns“, der die Magenbewegungen von Krebstieren steuert. Skiebes kleines Team kooperiert mit einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern, die Crustaceen auf den Nerv fühlen. Um einmal das komplexe Gehirn des Menschen verstehen zu können, das unvorstellbare 1011 Nervenzellen (Neuronen) enthält, macht es Sinn, einfacher aufgebaute Lebewesen zu untersuchen. „Je weniger Nervenzellen, desto besser“, meint Petra Skiebe. „Den Herzschlag eines Krebses steuern beispielsweise nur neun Neuronen.“

Der Hummermagen ist völlig anders aufgebaut als der menschliche, aber ein ideales Modellsystem für das Zusammenspiel von Nerven und Muskeln. Nur 30, dafür aber recht große Neuronen steuern die gesamten Bewegungsabläufe. „Und die sind uns alle persönlich bekannt.“ Besonders interessieren Skiebe die neuromodulatorischen Substanzen, Hunderte von Eiweißstoffen (Peptiden), die die Neurone stimulieren, bestimmte „Verschaltungen“ aktivieren und dadurch spezifische Bewegungsmuster der Magenmuskulatur auslösen. Viele dieser Peptide kommen auch in höheren Lebewesen vor – auch beim Menschen.

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Dr. Petra Skiebe

Vom Magen hinter den Stielaugen

"Den Kopf voll haben mit anderen Dingen." Bei Krebstieren gewinnt diese Redewendung eine völlig neue Bedeutung, denn gleich hinter dem Gehirn liegt der Magen. Maurice hat inzwischen den Hummer auf das für ihn Interessante reduziert: Kopf und „Hals“ – falls man das so nennen kann, denn bei diesen Tieren sind Kopf und Rumpf miteinander verschmolzen. Nun arbeitet er mit feinsten Werkzeugen unter dem Mikroskop weiter. Cremefarben ist das Gewebe, das jetzt in einer Glasschüssel mit Nährlösung unter dem Lichtkegel liegt und aus dem es den Magen frei zu präparieren gilt. Mit feinen, suchenden Schnitten tastet sich der Biologe in einem Wirrwarr aus Muskelfasern und Bindegewebe vor. Immer auf der Hut, keine wichtige Nervenfaser zu durchtrennen. Das sind hauchdünne, milchig-weiße Fädchen, die sich farblich kaum vom umliegenden Gewebe unterscheiden. Manchmal zieht er an einem, um zu sehen, wo es hinführt. Dann liegt der Magen endlich frei – groß wie eine Walnuss. „Mal sehen, ob er noch was gefressen hat.“ Maurice schmunzelt und öffnet vorsichtig den Speisesack. Doch da, wo sich sonst Reste von Artgenossen finden, herrscht gähnende Leere. Arme Kerl! Er hat sich hungrig für die Wissenschaft geopfert. Doch was ist das? Die räumliche Lage ist nicht das einzige, was am Hummermagen ungewöhnlich ist. Drei rotbraune, raspelartige Zähne kommen zu Tage – eine anatomische Anpassung an ungewöhnliche Essmanieren. Mit den Scheren zerreißen Krebstiere das „Futter“ nur grob, bugsieren es dann mit Hilfe der Manibeln (kleinen Mundwerkzeugen) in den Ösophagus, eine Art Speiseröhre. Im sich anschließenden Speisesack wird enzymatisch vorverdaut, dann geht’s weiter in die „Gastrische Mühle“, wo die Zähne die Nahrung zermalmen. Im vierten Magenteil, dem Pylorus, werden schließlich die Nährstoffe aus dem Brei herausgefiltert.

Nach zwei Stunden Feinstarbeit ist es soweit. Das Nervensystem ist vom Magen getrennt und wird nun mit feinen Nadeln in einer Petrischale aufgespannt. Vier kleine Nervenknoten und ein ganz winziger – der wichtigste: das stomatogastrische Ganglion (STG) – sind über fadenförmige Nerven miteinander verknüpft. Im STG sitzen die besagten 30 Neuronen, kleine Knötchen, die den Fruchtsäckchen einer Himbeere ähneln und deren Aktivität sich noch über 24 Stunden mit Elektroden messen lässt. Doch das ist heute nicht das Ziel. Maurice will später untersuchen, welche Neurone das Peptid Tachykinin enthalten. Dazu wird das Gewebe zuerst fixiert, gewaschen und entfettet, anschließend für zwei Tage mit Tachyikinin-Antikörpern getränkt und erneut gewaschen. Mit einem zweiten Antikörper, an dem ein Fluoreszenzmaker hängt, wird dann der erste aufgespürt. Unter dem Laserscanning-Mikroskop erscheinen am Ende die Tachykinin-haltigen Neurone als farbige Kleckse.

Basics für die Gehirnforschung

Zusammen mit dem Biochemiker Mathias Dreger (AG Hucho) gelang es Petra Skiebe kürzlich, winzigste Peptidmengen in einzelnen Neuron nachzuweisen und zu identifizieren. Verfeinerte analytische Methoden wie die MALDI-TOF-Massenspektroskopie machen es möglich. Ergänzende elektrophysiologische Untersuchungen zeigen, welchen Einfluss das bewusste Peptid auf das neuronale Netzwerk hat.

Krebstiere sind nur eines unter mehreren Modellsystemen, an denen Wissenschaftler rund um den Globus im Rahmen des Human frontier Science Program versuchen zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert. Wie es entsteht, sich im Laufe der Entwicklung verändert und was den Unterschied zwischen einem gesunden und einem kranken Nervensystem ausmacht. „Doch erst wenn wir die kleinen neuronalen Netzwerke verstanden haben, können wir die Geheimnisse des komplexen menschlichen Gehirns entschlüsseln“, resümiert Petra Skiebe. Ein Ziel, das noch in weiter Ferne liegt. Da werden FU-Doktoranden noch lange Hummer essen müssen.

Catarina Pietschmann

Fotos: FU; Pietschmann

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