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Zum Tode von Prof. Nespital

Am 10. Mai ist Prof. Dr. Helmut Nespital einem Krebsleiden, das erst Ende Januar festgestellt wurde, erlegen – tapfer und hellwach fast bis zum letzten Tage. Nicht nur unser Institut, die Indienwissenschaften in Deutschland und der ganzen Welt verlieren einen ihrer bedeutendsten, für die lebenden indischen Sprachen verantwortlichen Linguisten und Philologen.
Helmut Nespital wurde am 4. August 1936 in Berlin-Prenzlauer Berg geboren, wo er die Schule bis zum Abitur besuchte. Ein Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität brach er aus ideologischen Gründen wieder ab, um sich von 1955 bis 1960 vorwiegend indischen, aber auch anderen orientalischen Sprachen wie Altpersisch, Neupersisch, Türkisch und Arabisch zu widmen. Nach seiner Diplomarbeit über „Leben und Werk des Urdu-Schriftstellers Krishan Candar“ zog es ihn nach Prag zu dem damals bedeutendsten Vertreter der Linguistik des Hindi, Vincenc Porizka, an der Karls-Universität. Seine Dissertation über die „Formen und syntaktischen Funktionen des Adverbs in der modernen Hindi-Schriftsprache“ verteidigte er im März 1965 in Prag.

Im Mai 1965 zum Oberassistenten an der HU ernannt, forschte und lehrte er weiter, vorwiegend zur Sprache und Literatur des Hindi und Urdu: Von September 1968 ab ein ganzes Jahr an der Universität Allahabad.

Trotz Habilitation im Juli 1977 fühlte sich Helmut Nespital immer mehr eingeschnürt und nutzte einen weiteren Indienaufenthalt, um nicht nach Ost-, sondern nach West-Berlin zurückzukehren. Die weiteren Stationen waren: Umhabilitation an der FU (1980), Heisenberg-Stipendium für den Forschungsschwerpunkt „Verbalaspekt, Tempus und lexikalische Verbbedeutung im Indoarischen.“

Phänomenale Kenntnisse

Im Juli 1982 wurde er zum Professor für „Allgemeine und Kontrastive Sprachwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung von Deutsch als Fremdsprache“ an der Universität Bamberg ernannt.

Seit 1986 lief sein wichtigstes DFG-Projekt, ein Spezialwörterbuch zum Verbsystem des Hindi, das im Oktober 1997 in Indien erschien und ihm international Anerkennung verschafft hat.

Im September 1990 hatten wir am Institut für Indische Philologie und Kunstgeschichte der FU die große Chance, Helmut Nespital auch als Lehrer wieder ins Kerngebiet seiner Forschung zu holen. Er wurde zum Professor für Indologie/Philologie neuindischer Sprachen berufen und begeisterte über zehn Jahre Studenten und Kollegen mit seinen phänomenalen Sprach- und Literaturkenntnissen. Eine Grammatik des Hindi zu schreiben, blieb ihm verwehrt.

Vom Tode bereits gezeichnet hielt er mir in der Charité eine einstündige Vorlesung über die Wurzeln dieser Sprache (Braj Bhasha) und die Gründe für ihre Ausbreitung. Helmut Nespital lebte mit und in Sprachen. Auch Tschechisch blieb wichtigste Referenzsprache für seine Studien zum doppelgleisigen, perfektiven und imperfektiven Verbsystem des Hindi. Nespital arbeitete nicht nur linguistisch mit vielen Sprachen – das tun viele Sprachwissenschaftler, die aber nach einem Wort des Wiener Linguisten Kronasser dann doch nicht in der Lagre sind, auf Französisch in Paris ein paar Schnürsenkel zu kaufen – er sprach die meisten dieser Sprachen fließend. Und wenn der erste Präsident der tschechoslowakischen Republik T. G. Masaryk recht hat mit seinem Wort: „So viele Sprachen wie Du sprichst, so viele Male bist Du Mensch“ – dann hat unser früh verstorbener Kollege ein langes Leben gehabt. Er war nicht nur Wissenschaftler, er fühlte sich geborgen und gab Geborgenheit seiner Familie, er war ein Hochschullehrer aus Passion und kümmerte sich um Studenten wie um seine Kinder. Jeder Verstellung, jeder Hinterhältigkeit abhold, konnte er wütend werden, wenn er derlei entdeckte.

Die Tatsache, dass seine Studienrichtung, die neuindische Philologie, nach seiner Pensionierung an der FU nicht fortgesetzt werden sollte, hat ihn nicht nur tief getroffen, sie hat nach meiner festen Überzeugung die Krankheit verschlimmert.

Niemand, der ihn gekannt hat, wird den Sprachvirtuosen, den Kärrner im Garten der Linguistik, den humorvollen und geselligen Berliner, den Lehrer und Freund seiner Studenten und Kollegen je vergessen.

Adalbert J. Gail

Der Autor ist Professor für Indische Kunstgeschichte am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften

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