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[Im Zentrum für Weltraummedizin entwickeln Berliner Forscher Versuche für die Internationale Raumstation
Test für den Aufstieg]

Steffi Barbirz

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Vom „Folterkeller“ in den Weltraum: Die Folgen von Langzeitmissionen ins All auf den menschlichen Organismus werden sowohl in de Raumstation als auch auf der Erde untersucht
Foto: Portnoi

Wer in den Weltraum reist, der verliert den Boden unter den Füßen, buchstäblich. Und auch unter meinen Füßen beginnt ein Gummibrett zu vibrieren, schneller und schneller. Dazu ertönt ein ohrenbetäubender Lärm. Ich klammere mich an eine Eisenstange und einen Sandsack und bin froh, dass es nur wenige Zentimeter bis zum Boden sind. Dr. Hanns-Christian Gunga drückt einen Knopf. Es kehrt wieder Ruhe ein im Keller des Instituts für Physiologie, wo ich soeben eine Versuchsanordnung ausprobieren durfte, die vor den negativen Folgen der Weltraumfahrt bewahren soll. Gemeinsam mit drei Arbeitsgruppen vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) sowie der Charité gehört das Institut für Physiologie zum neu gegründeten Zentrum für Weltraummedizin Berlin, dessen Sprecher Gunga ist. Hier werden die Folgen von Langzeitmissionen ins Weltall auf den menschlichen Organismus untersucht. Die Experimente finden dabei sowohl auf der Erde als auch auf der International Space Station (ISS) statt. Seit 3. November 2000 bewohnen Astronauten die Station ständig, führen Experimente durch, sind aber auch selbst Versuchsobjekte. Denn die Forschung am Menschen im Weltall bringt Erkenntnisse für die Medizin auf der Erde.

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Schwerkraft einmal anders – mit dem Sandsack auf den Schultern und dem Rüttelbrett unter den Füßen werden die Erschütterungen erzeugt, die das menschliche Knochengerüst braucht, um gesund zu bleiben
Foto: Portnoi


In extremen Umwelten verändert sich der menschliche Körper

Rütteln und Schütteln spüren die Astronauten allerdings höchstens während des Flugs in die 400 km hoch gelegene Station. Oben angelangt, schweben sie sanft durch die Schwerelosigkeit. Das menschliche Knochengerüst braucht jedoch regelmäßige Erschütterung, um gesund zu bleiben, also müssen die Astronauten auf’s Rüttelbrett. Das soll dem Calciumverlust vor allem in den Beinknochen vorbeugen, ein Phänomen, das die Gruppe von Prof. Dieter Felsenberg am Zentrum für Muskel- und Knochenforschung untersucht. Mit therapeutischem Nutzen auch für Krankheiten auf der Erde: „Man könnte sich vorstellen, dass es eines Tages selbstverständlich ist, dass Frauen täglich kurze Zeit das Rüttelbrett besteigen, um so der Osteoporose vorzubeugen.” erläutert Gunga. Der Körper des Menschen verändert sich grundsätzlich in extremen Umwelten, in alpinen oder polaren Gebieten auf der Erde genauso wie im Weltall. Dort müsse allerdings zwischen einer Vielzahl von Einflüssen unterschieden werden, betont der Physiologe Gunga. Auch auf Hormone und Blutbild kann sich die fehlende Gravitation auswirken. Denke man jedoch an psychische Belastungen durch die monatelange Isolation auf einer Raumstation oder einem Flug zum Mars, dann, so Gunga, „ändert sich der Hormonspiegel dort oben in jedem Fall.” Deshalb simuliert man auf der Erde an Probanden die rein physiologischen Auswirkungen sogenannter Mikrogravitationsbedingungen, d.h. der Schwerelosigkeit. Denn auch ohne Erdanziehung bleibt der Mechanismus wirksam, dass der Mensch normalerweise im aufrechten Gang ständig gegen die Schwerkraft Flüssigkeit im Körper nach oben pumpen muss. Will man hier Flüssigkeitsveränderung und Blutvolumenverteilung, die Menge der roten Blutkörperchen und des Plasmas über längere Zeit beobachten, dann werden Testpersonen in Spezialbetten gesteckt. Dort liegen sie permanent in „Kopf-Tieflage”, d.h. über einen Zeitraum von 6-10 Wochen um 6 Grad geneigt. Eine Versuchsanordnung, die einerseits vergleichbar ist mit einem Aufenthalt in der Schwerelosigkeit. Zusätzlich liefert sie aber auch Erkenntnisse, die für lange Zeit bettlägerige und unbewegliche Krankenhauspatienten wichtig sein können. Vor allem zeigt die Langzeit-Bettruhe, wie gut sich der Organismus an veränderte Bedingungen anpasst: Muskeln bilden sich zurück und die Erythropoietinproduktion wird deutlich vermindert, so dass weniger rote Blutzellen gebildet werden. Das sind Anpassungen, die die verringerte physische Belastung des Organismus unter Schwerelosigkeit (Mikrogravitation) reflektieren.

Astronauten dagegen müssen alles andere als ruhig liegen; ohne Training bauen sie sonst die Muskeln ab, die für die Gravitation zuständig sind wie die Bein- oder die große Rückenmuskulatur. Mit der „Pinguinweste” schnallen sie sich mit Gummibändern an Laufbänder. Damit es beim Training nicht eintönig zugeht wie in einem Hamsterrad gibt es mittlerweile auch einen Rudersitz für exzentrische Muskelbewegungen. „Schließlich wollen sie hinterher auch z.B. auf dem Mars oder dem Mond herumlaufen”, sagt Gunga, „die Anpassung des Menschen an die Schwerelosigkeit ist nur bedingt gut, schließlich sollen die Astronauten einsatzfähig bleiben.”

Von Big Brother lernen heißt für den Weltraum lernen

Ihre volle Leistungsfähigkeit müssen die Bewohner der Raumstation oder Teilnehmer an Langzeitflügen ins All dabei auf engstem Raum unter Beweis stellen, in internationalen Teams und ohne die Möglichkeit, abends einfach nach Hause zu gehen. Isolation, veränderte Ernährung und psychischer Stress sind Faktoren, die genau wie die Schwerelosigkeit auf den Menschen einwirken. Diese Einflüsse untersucht die Psychophysiologie. Wenn die Mitglieder eines Teams z.B. unterschiedliche Essenszeiten gewöhnt sind, dann „scheint es erst einmal simpel, sie alle an einen kulturellen Ablauf auf der Raumstation anzupassen”. Doch bei mehrmonatigen Aufenthalten bedeutet es erheblichen psychischen Stress, „wenn der Norweger sagen würde: ‘Ich habe jetzt Hunger’, während der Italiener um sechs Uhr abends noch nicht essen mag”, meint Gunga. Wie das Zusammenleben organisiert ist, welche Aufgabenverteilung und Verantwortung die Menschen im All haben, das alles hat Einfluss auch auf ihre Physiologie. Die Wissenschaftler haben deshalb Tests ausgearbeitet, in denen nach dem Befinden zu verschiedenen Tageszeiten gefragt wird. Während Belastungstests am Computer messen sie Hautwiderstand und Hauttemperatur sowie die Herzfrequenz, zusätzlich beobachten Videokameras das Leben der Astronauten. Der Unterschied zu „Big Brother” liegt dabei auf der Hand: Hat ein Crewmitglied Schwierigkeiten, dann kann es nicht mal so eben aussteigen. Deshalb wird zuvor auf der Erde tatsächlich das Leben im Container geprobt: In mehreren sogenannten Isolationsstudien haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die dritte und die vierte Woche eines Aufenthalts im All besonders kritische Phasen für die Gruppe sind. Schließlich hat die ESA das komplette Arbeitsleben der Astronauten einer Langzeitmission simuliert, von der gemeinsamen Teilnahme an Experimenten bis zur Hausarbeit, denn schließlich muss selbst eine Raumstation geputzt werden.

Umso mehr ist man jetzt an der FU auf die in der ISS anlaufenden Experimente gespannt, vor allem im Vergleich zu allen Simulationen, die man zuvor auf der Erde durchgeführt hat. Besonders froh ist Gunga, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Gründung des Zentrums für Weltraummedizin in Berlin intensiv unterstützt haben, denn wer am ganzen Menschen arbeiten will, der muss interdisziplinär arbeiten. Wichtig ist es jetzt auch, Studenten für das Thema zu begeistern, die in einigen Jahren dann selbst bei Versuchsaufbau, -planung und -organisation Verantwortung übernehmen können und dabei von einem Netzwerk der Weltraummedizin in Berlin profitieren sollen.

 
 
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