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[Kaffeeklatsch im Internet]

Von Anja Hermann

[Foto]

Foto: Ausserhofer

„Es wird Internetcafés im Stil von Fast-Food-Restaurants geben: Wer schnell mal was zu erledigen hat, z.B. E-Mails checken, muss Zugang zum Netz haben.” Davon ist Niko, Operator im Internetcafé „Website“, überzeugt.

„Was aber genau ist ein Internetcafe?” mussten wir uns fragen, als wir auf der Suche nach diesen Etablissements auf so unterschiedliche Einrichtungen stießen wie die Cafébar bei Karstadt Sport, in der etwa 10 Computer mit Internetanschluss dicht nebeneinander stehen, oder Computerläden, die in einer Ecke auch Zugang zum WWW anbieten. Das Website-Team versucht höchsten technischen und kulinarischen Anforderungen zu genügen und verbindet gleichzeitig das Flair einer futuristisch anmutenden Werkshalle mit Wärme und Gemütlichkeit. Bequem, vom edlen Ledersofa aus, oder schnell, fast im Vorübergehen an der Bar, kann man sich auf die Reise in virtuelle Welten begeben. Geht der Gesprächsstoff unverhofft aus, lässt sich ein Terminal, montiert auf einen Schwenkarm, wieder zum Tisch heranziehen.

Im Wintersemester 99/00 initiierte Dr. Jörg Strübing am Institut für Soziolgie das Seminar „Forschungspraktikum Internetcafés”. Die Studierenden sollten dabei aber nicht nur graue Theorie betreiben, sondern den Besuchern von Intenetcafés über die Schulter schauen – ins „Feld” gehen, soziologisch gesprochen.

Erst im Verlauf der Untersuchungen sollten sich die Hypothesen herausbilden. Das hört sich einfacher an, als es ist. Wo und wie aber berühren und beeinflussen sich die Realität und die Virtualität?

Die Angst des Forschers vor dem Untersuchungsgegenstand

Hingehen, beobachten und protokollieren ist eine Sache, fremde Menschen ansprechen und um ein Interview bitten, eine andere. Die Angst, abgewiesen zu werden oder vor Aufregung die wichtigsten Fragen zu vergessen und die Befürchtung, man könne von unlösbaren Problemen und sozialen Abgründen hören, treiben dem angehenden Sozialforscher schon mal die Röte ins Gesicht und lassen die Stimme zittrig werden. Was sind das für Menschen, die im Internetcafé zu finden sind, und was tun sie dort? „Es ist ein Irrtum anzunehmen, der typische PC-Fan sei der verpickelte 20-Jährige mit Übergewicht – alle nutzen den Computer. Manche arbeiten, manche wollen auch einfach nur mal sehen, wie Internet geht, manche wissen nicht mal, wie eine Maus funktioniert.” Diese Einschätzung von Niko fanden wir im „Website“ bestätigt. Tatsächlich trafen wir auf ein sehr heterogenes Publikum: Ein großer Teil der Nutzer sind Touristen, andere recherchieren im Netz oder schreiben Bewerbungen. „Von Löcherjeans bis Krawatten und Leute jeden Alters”, beschreibt Geschäftsführerin Britta ihre Kundschaft. Gespielt und gechattet wird überwiegend in kleinen Gruppen männlicher Teenies. Einige kommen täglich ins Website und verbringen dort einen großen Teil ihrer Freizeit, beziehungsweise der Zeit, die sie eigentlich in der Schule sein sollten. Da kann dann monatlich schnell mal eine Summe von 2000 Mark zusammen kommen.

Was kostet die Welt?

Dass Kinder und Jugendliche ihre Nachmittage am Computer verspielen, kennt man auch sehr gut im „Netzwerk”, einem Internetcafe in einer Seitenstraße hinter dem Ostbahnhof. Allerdings lassen die Kids hier nur ein Zehntel dessen, was ihre Altersgenossen im feinen Charlottenburger „Website“ ausgeben. Das mag zum einem an den niedrigen Preisen liegen, sicher aber auch am anderen sozialen Milieu, das das Netzwerk umgibt. So erzählte uns Stefan (20) gelernter Postbote, z.Zt. arbeitslos, dass er seit seinem 15. Lebensjahr durchschnittlich 10 Stunden täglich am Computer spiele – überwiegend Rollen- und Charakterspiele. „Dabei ist man halt der große Held und kämpft gegen Monster und so.” Meistens tut er das allerdings zu Hause. Trotzdem gibt er etwa 200 Mark pro Monat im „Netzwerk” aus. Er kommt dorthin, um Leute zu treffen. „Leute”, das sind die etwa 15 Jungs und das eine Mädchen seiner Clique. Sie telefonieren nie, sie verabreden sich nicht, sie treffen sich so, wie sie sich kennengelernt haben: zufällig im „Netzwerk“. Jörgs (22) persönlicher Rekord – verkündet er mit einem gewissen Stolz und gleichzeitiger Verachtung – liegt bei 36 Stunden nonstop, natürlich ohne Schlafen. Gelegentlich muss er morgens um 5 Uhr von Gustav hinaus komplimentiert werden. Ob er zu denen gehört, die Gustav als die „Angeschlossenen” bezeichnet, ist wohl eine Frage der Interpretation.

Der Ego-Shooter und das richtige Leben

„Du musst runterspringen, du Hampel” – „Ick bin hier oben” – „Oh, das war mindestens ein Kopfschuss” – Ich habe bloß noch vier Lebenspunkte” – „Äh, shit, Striker.” Diese Kommunikation zwischen vier Jugendlichen während eines „Ego-Shooter-Spiels” zeigt, dass dabei auch „echt“ geredet wird. Das Spiel wird zum Gesprächsthema, und das nicht nur beim Tun selber, sondern auch davor und danach: Man unterhält sich, „über wat man halt so spielt”. Hier wird die virtuelle Welt zur Motivation, sich zu treffen und gleichzeitig zum Thema.

„Sich alleine durch den Computer zu surfen, ist ja auch langweilig, erklärt Marko, zuständig für die Computer im „Website“. „Da kann man ja auch den anderen etwas zeigen.”

Peinlich kann es werden, wenn man beim Chatten feststellt, dass man nicht nur virtuell im gleichen Raum sitzt, sondern auch tatsächlich. Perdu die Anonymität des Netzes, eine Konfrontation mit seh-, fühl-, und riechbaren Realitäten wird unausweichlich. Andere verabreden sich mit ihrer virtuellen Bekanntschaft im Internetcafe. „Wenn man sich nicht versteht, setzt sich jeder wieder an einen Rechner und chattet.” So jedenfalls hat es Britta beobachtet.

Beim „Real-Chat” treffen sich Menschen, die nichts verbindet außer ihrer Leidenschaft fürs Chatten. Zu solchen Anlässen werden Polaroids fürs „Familien-Photoalbum” gemacht und mit den erfundenen Namen der vituellen Identitäten betitelt. Anschließend werden sie ins Netz gestellt. Auf der Homepage des Alpha-Internetcafés findet man eine Sammlung von Fotos, unten denen so denkwürdige Sätze stehen wie „Alpha und Snow beim Biertrinken.” So virtuell lässt sich die Realität darstellen oder: So real kann die Virtualität sein.

Die Autorin studiert Soziologie an der FU

 
 
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